Sozial handeln, unternehmerisch denken
Die Mitarbeitenden fühlen sich wohl bei den auf sie zugeschnittenen Arbeiten. Bild: Franziska Hidber
Die Mitarbeitenden fühlen sich wohl bei den auf sie zugeschnittenen Arbeiten. Bild: Franziska Hidber
Sozialunternehmen. Die Mitarbeitenden in der Schreinerei von Valida, einem Unternehmen mit sozialem Hintergrund, sind Experten. Sie beherrschen ihre Arbeitsschritte und freuen sich an der Routine. Das setzt die Schreinerei unternehmerisch klug ein.
Die Pause ist vorbei. Kaum sind die rund 30 Mitarbeitenden mit ihren Gruppenleitern in den Maschinensaal zurückgekehrt, erinnert die Atmosphäre an das emsige Treiben in einem Bienenstock. Hier wird geschliffen, dort gebohrt. Ein Mitarbeiter kontrolliert hoch konzentriert die eben gefertigten Kleinteile, bevor er sie sorgsam in eine Schachtel legt. Sein Kollege stemmt eine schwere Holzplatte auf die Beige, ein anderer stellt die Säge ein, wieder ein anderer wechselt Sägeblätter. Die Maschinen rattern, gelb leuchten die Gehörschütze; es riecht nach Holz. Auf den ersten Blick ist es ein ganz gewöhnlicher Dienstagmorgen in einer ganz gewöhnlichen Schreinerei.
Wie überall werden auch hier Kundenwünsche umgesetzt – stets den Terminplan vor Augen und den Anspruch an hohe Qualität im Kopf. Selbst der Blick in die Angebotspalette offenbart nichts Aussergewöhnliches: Arbeitsvorbereitung, inklusive 3D-Planung, Visualisierung, Massivholzarbeiten, Serienfertigungen, CNC-Bearbeitungen, vollautomatischer Plattenzuschnitt, Halb- und Fertigfabrikate, Oberflächenbehandlung. Und doch ist in der Schreinerei des Vereins Valida in St. Gallen alles ein wenig anders.
Hinter der Glasfront im Obergeschoss steht Abteilungsleiter Stefan Schmidheiny und beobachtet das Tun seines Teams. Er ist mitverantwortlich für eine hochkomplexe Planung im Hintergrund. «Ja, wir unterscheiden uns erst auf den zweiten Blick von einer herkömmlichen Schreinerei», sagt der ausgebildete Schreiner und Agoge. «Wir brauchen zum Beispiel mehr Maschinen, da viele Mitarbeitende ein etwas gemächlicheres Arbeitstempo haben. Somit können wir Wartezeiten vermeiden.»
Den wichtigsten Unterschied ortet er in der Verteilung der Aufgaben sowie im Splitten des Arbeitsprozesses: «Viele Schreiner sind Generalisten und übernehmen eine Aufgabe von der Planung bis zum letzten Schliff. Unsere Leute sind im Gegensatz dazu Experten für einen bestimmten Arbeitsschritt: Die Wiederholungen geben ihnen die nötige Routine und damit Sicherheit.»
Insgesamt 30 Mitarbeitende und 5 Gruppenleiter arbeiten im Maschinensaal, nochmals so viele im Bankraum ein Stockwerk höher. Dazu kommt die Lehrwerkstatt. Einige der Mitarbeitenden sind körperlich eingeschränkt, sie brauchen zum Beispiel einen Sitzplatz. Andere mögen komplexe Aufgaben, sind aber nach fünf Stunden erschöpft. Wieder andere können nur einen kurzen Arbeitsschritt überblicken. Einige stellen mit grösster Präzision filigrane Kleinteile her, andere schleppen am liebsten schwere Platten, die nächsten leimen geschickt, wieder andere fühlen sich beim Bedienen der Maschinen richtig wohl. Den Produktionsprozess auf die verschiedenen Talente und Bedürfnisse abzustimmen, gestaltet sich mitunter knifflig. Oberstes Gebot: Niemand soll sich unter- oder überfordert fühlen.
Die Teilhabe am Arbeitsprozess sei das Wichtigste, sagt der Abteilungsleiter: «Die Leute fühlen sich gebraucht, sie haben ein Resultat in den Händen, soziale Kontakte, und sie verdienen Geld.» Der Leistungslohn motiviere sie zusätzlich. «Wie jedes Unternehmen müssen wir wirtschaftlich denken. Unsere Schreinerei ist mehr als ein Beschäftigungsprogramm, obwohl sie den Mitarbeitenden eine wertvolle Tagesstruktur bietet.» Doch da sind die Kosten. Nur schon die aufwendige Infrastruktur schlägt zu Buche. Und auf fünf bis sechs Mitarbeitende kommt ein Gruppenleiter. Das sind Schreinerfachleute mit Zusatzaufgabe in Agogik.
Sie begleiten zwei Prozesse parallel: Einerseits sind sie verantwortlich für eine professionelle, termingerechte Produktion. Andererseits sind sie auch ein wenig «Sozialarbeiter»: Sie motivieren, leiten an, ermutigen, überprüfen, erfassen Stärken und Schwächen und schlichten Konflikte. «Es ist nicht die Idee, dass die Gruppenleiter aus Zeitnot die Schreinerarbeiten übernehmen. Sie sind in erster Linie fürs Coaching und die Sicherheit zuständig», erklärt Stefan Schmidheiny beim Gang durch das hauseigene Lager, in dem sich regionale Hölzer stapeln.
Sicherheit ist ein weiterer Punkt, der sich bei der Valida-Schreinerei zeitintensiver gestaltet. Auch nach einer sorgfältigen Einführung und vielen Wiederholungen ist immer wieder der Blick des Gruppenleiters gefragt. Das verlangt Präsenz, die dann anderswo fehlt. Hinkt die Produktion dem Zeitplan hinterher, kommt die Flexibilität zum Tragen. Gemäss Schmidheiny hat Valida hier ein gewichtiges Plus: «Insgesamt haben wir fast 70 Leute und einen grosszügigen Maschinenpark. Bei Bedarf ziehen wir für ein Projekt geeignete Mitarbeitende und Leitende aus anderen Gruppen hinzu.» Dass das funktioniert, zeigen die zahlreichen langjährigen Stammkunden der Schreinerei, darunter auch Grossverteiler.
Inzwischen geht es gegen Mittag, doch von nachlassender Konzentration ist nichts zu spüren. Sergio Frei (Name geändert) bohrt mit Leidenschaft. Ob das schwierig sei? Jetzt lacht er herzhaft: «Nein, nein, das mache ich schon 30 Jahre.» Sein Kollege am Arbeitsplatz nebenan ist ebenfalls seit 30 Jahren hier. Mit 73 ist er zwar pensioniert, doch die Aufgabe bei Valida ermöglicht ihm eine willkommene Aufgabe und Tagesstruktur. Wer weiss, ob Michael Karrer (Name geändert) so lange bleiben wird? Der junge Mann produziert gerade einen Kasten für ein Bienenhäuschen. «Ich liebe alles!», ruft er und wiederholt: «Alles! Ich kann alles selber machen!»
Für Stefan Schmidheiny ist es mit das Schönste, wenn jemand hier sein Talent entfalten kann. Er erzählt von jenem Mitarbeiter, der mit seiner exakten Arbeit selbst die Gruppenleiter in den Schatten stellte und jetzt in einer auswärtigen Schreinerei eine Anstellung erhalten hat. Talente können die rund 70 Mitarbeitenden von Valida auch in den Weiterbildungskursen und Sportstunden entdecken, zum Teil während der Arbeitszeit. Das Wohlbefinden und der Austausch untereinander gehören zur Unternehmensphilosophie.
Müsste Jan Keller, Bereichsleiter der Schreinerei, eine Philosophie nennen, so wäre es diese: «Die Mitarbeitenden sollen möglichst viel am Produkt arbeiten, die Gruppenleiter möglichst wenig.» Auch er betont die Eigenständigkeit. Eine seiner wichtigsten Aufgaben sei es deshalb, «Arbeiten reinzuholen, die zu unserer Zielgruppe passen». Er muss sozial denken und gleichzeitig unternehmerisch handeln. Das kennt Avor-Projektleiter Paul Huber nur zu gut: «Ideal sind für unseren Produktionsbetrieb grosse Serien.» Einzelanfertigen seien in der Lehrwerkstatt besser aufgehoben. Dort lernen junge Menschen mit Unterstützungsbedarf das Handwerk im geschützten Rahmen. Möglich sind alle Abschlüsse vom Praktiker Schreinerei bis zum Schreiner EFZ.
Interessant für die Valida-Schreinerei sind Anfragen wie jene eines Grossverteilers, der als Dekoration für seine Filialen raumhohe Holzrahmen wünschte. «Wir fertigten 265 Stück an und hatten dafür zwei Monate Zeit, das waren schon fast traumhafte Bedingungen», erinnert sich Huber.
Apropos Serie: Das berühmteste Beispiel ist vermutlich der Davoser Schlitten, der vollständig von Valida produziert wird. Grossverteiler wünschen eine nachhaltige Produktion mit Schweizer Holz und finden in Valida den perfekten Partner.
Die Produktion von Fensterläden aus Holz gehört seit Jahrzehnten zu den Kernkompetenzen des St. Galler Unternehmens, die Auftrags- und Herstelltechnik ist ISO-zertifiziert.
Den strengen denkmalpflegerischen Auflagen begegnet Valida mit reichem Erfahrungsschatz und modernem Maschinenpark. Markenzeichen des Unternehmens ist die stabile Konstruktion mit verzapften Eck- und Mittelverbindungen. Verarbeitet werden weitgehend einheimische Hölzer, vor allem Fichte, Tanne, Lärche und Eiche, und auf Kundenwunsch auch andere Holzarten. Bei der Oberflächenbehandlung setzt Valida auf eine ökologische Grundierung auf wässeriger Basis, die das Holz nachhaltig schützt.
Veröffentlichung: 12. März 2020 / Ausgabe 11/2020
Nachfolgeregelung. Die Stadtbasler Schreinereien Voellmy und Tschudin bündeln ihre Kräfte für die Zukunft. Die 1895 gegründete Voellmy AG wird ab dem 1. Januar 2025 ihre Kompetenzen und ihre operativen Tätigkeiten im Privatkundenbereich in das neu geschaffene Dienstleistungsangebot «Holzmanufaktur Voellmy» der 85-jährigen Tschudin AG einbringen.
mehrReform Weiterbildung. 2025 tritt ein reformiertes Weiterbildungssystem für die höhere Berufsbildung (HBB) in Kraft. Die umfassenden Anpassungen versprechen eine bessere Qualifizierung, mehr Flexibilität und praxisorientierte Lerninhalte.
mehrPaidPost. Die orangefarbenen Service-Busse von Schreiner 48 stehen im Dauereinsatz. Möglich ist das nur, dank dem Garagist Philipp Huber und seinem Team
mehr