Hohe Ansprüche als Stolperfalle

Eine Kombination verschiedener Ursachen steht hinter jedem Burn-out. Bild: Anna Tarazevich (Pexels)

Interview.  Selbstständige Handwerker sind aus mehreren Gründen prädestiniert, sich ein Burn-out einzuhandeln. Sie können nicht einfach den Job wechseln wie Angestellte. Experte Rolf Düggelin rät dazu, sich helfen zu lassen und Ballast abzuwerfen.

Schreinerzeitung: Wieso geraten KMU-Unternehmer in ein Burn-out?
Rolf Düggelin: Der Unternehmer ist Perfektionist mit viel Verantwortung und in der Regel mutiger Einzelkämpfer. Das muss er auch sein, denn während ein Angestellter den Job wechseln kann, wenn es ihm in seiner Situation unwohl wird, ist ein Unternehmer auf Gedeih und Verderb mit seiner Firma verbunden. Fällt er Wochen oder Monate aus, kann das existenzbedrohend sein. Und das Schlimme ist – nicht nur für ihn, sondern auch für seine Mitarbeitenden und seine Familie. Dieser enorme Druck prädestiniert sie zur Risikogruppe.
Vor und nach dem Burn-out kann man sich doch Hilfe beim Psychiater oder Psychologen holen.
Das stimmt. Ich will und kann diesen auch nicht ersetzen. Psychiater und Psychologen machen einen guten und ungemein wichtigen Job und können, wie das beim Burn-out notwendig ist, zum Überdenken unheilbringender Verhaltensmuster anregen.
Und dieses Wissen kann man dann eins zu eins in die Praxis umsetzen?
Die Praxis ist eben oft ein wenig anders, als in den Lehrbüchern dargestellt. Ich selbst bin Pragmatiker, Konfliktmanager und Organisationsentwickler. Ich beurteile die Situation und erarbeite Lösungsmöglichkeiten gemeinsam mit dem Unternehmer aus dieser praktischen Optik. Das geschieht direkt vor Ort und in der Familie.
Wie erlangten Sie diese praktische Kompetenz?
Nach einer handwerklichen Ausbildung war ich selbst 30 Jahre lang Unternehmer. Firma, Mitarbeiter, Aufträge, Kunden, Familie, Hobbys, Verpflichtungen. Da gerät man ganz schön unter Druck. Ich rede aus eigener Erfahrung. Zeitweise bin ich sogar selbst am Rande eines Burn-outs herumspaziert. Als ich dann einige meiner Aufgaben abgab, war es für mich so, als würde ich bei der Ballonfahrt Ballast abwerfen. Aber dazu braucht es ungeheuer viel mentale Kraft. Die Sandsäcke sind nämlich oft zu schwer, um sie alleine über Bord zu werfen.
Aber wie merkt der Unternehmer, dass ihn sein Ballast zum Absturz bringt?
Interessanterweise merkt es oft der Partner zuerst. Permanent schlechte Laune und Gereiztheit, diffuse Magen- oder Rückenschmerzen belasten die Beziehung. Wenn es aber beide schaffen, mit der Hilfe eines Mediators einen Ausweg zu finden, so kann das ein Burn-out verhindern.
Ein betroffener Schreiner sagte mir, dass seine Katze merkte, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Ist das möglich?
Absolut. Es ist ja auch bekannt, dass Tiere in der Familie so etwas wie die Rolle eines Mediators einnehmen. Ein verbindendes Element auf anderer Ebene. Eine neutrale Person sozusagen. Ich könnte mir schon vorstellen, dass die Frau zu ihrem Mann sagt: «Du, wir müssen etwas unternehmen. Sogar die Katze merkt schon, dass du mit der Arbeit übertreibst.»
Was ich noch nicht ganz verstehe ist, wie ausgerechnet Schreiner ein Burn-out haben können? Man nimmt sie doch als naturverbundene, starke und bodenständige Menschen wahr.
Ja genau. Grundsätzlich hat der Schreiner ein extrem hohes Qualitätsempfinden sowie viel Gespür und Liebe für Details. Eine Schublade, die klemmt, ein Fenster, das nicht schliesst, eine Maserung, die nicht optimal verläuft – das geht gar nicht. Es gibt nicht ein bisschen Qualität. Entweder es passt, oder es passt nicht, und rentieren muss es ja auch noch. So gesehen, hat der Schreiner sogar ausgesprochenes Talent zum Burn-out.

Zur Person

Als Mediator und Konfliktmanager ist Rolf Düggelin aus Scherz AG seit 15 Jahren im Sektor Burn-out-Prävention und Burn-out-Bewältigung zu Hause. Seine Klienten sind vor allem KMU-Unternehmerinnen und -Unternehmer. Vor und nach einem Burn-out kann es sich durchaus lohnen, die Dienste einer Fachperson in Anspruch zu nehmen.

www.burnout-neustart.chwww.dueggelin.ch

Beatrix Bächtold, BEB

Veröffentlichung: 11. März 2021 / Ausgabe 11/2021

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