Für jede Öffnung gibt es ein Fenster
Martina Bischof sieht Architektur, Planer-wesen und Politik in der Pflicht, zukunftsfähige Prozesse und Strategien zu entwickeln, um Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft zu etablieren. Bild: Martina Bischof
Martina Bischof sieht Architektur, Planer-wesen und Politik in der Pflicht, zukunftsfähige Prozesse und Strategien zu entwickeln, um Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft zu etablieren. Bild: Martina Bischof
Re-Win. Martina Bischof ist Architektin und Kunsthistorikerin. Sie engagiert sich bei Re-Win. Der Verein möchte Mehrwert durch Wiederverwendung generieren. Dies manifestiert sich auch im aktuellen Projekt «Windows for Ukraine». Dazu gibt Bischof im Gespräch mit der SZ Auskunft.
Martina Bischof: Bereits im Mai 2022 startete unser humanitäres Pilotprojekt «Windows for Ukraine». Anna und Barbara Buser organisierten zusammen mit Johann Petersmann und in Kollaboration mit Pool Architekten aus Zürich einen Lkw mit Fenstern für den Wiedereinbau in der Ukraine. Ich schloss mich dem Team zur Vereinsgründung im September 2022 an.
Wir sind eine Gruppe von etwa 30 Architekturschaffenden und Fachpersonen in angrenzenden Disziplinen und engagieren uns ehrenamtlich für die Wiederverwendung von Bauteilen, um die Zirkularität in der Bauwirtschaft zu fördern und damit den CO2-Fussabdruck zu verringern. Wiederum fokussieren wir uns darauf, einen sozialen Beitrag zu leisten und Hilfe für Menschen in Not bereitzustellen. Die Mitglieder von Re-Win verbindet ein tiefes Interesse an der Kreislaufwirtschaft und am humanitären Engagement. Das Projekt «Windows for Ukraine» verknüpft beide Anliegen in intelligenter Weise.
Wir sammeln gebrauchte Fenster in der Schweiz, die in der Folge von Sanierungs- oder leider auch Abbruchsmassnahmen demontiert werden, und liefern sie in die Ukraine.
Weil Bauträger und Architekturschaffende konsequent im Bestand bauen müssen. Wir dürfen keine Gebäude mehr abreissen. Der Erhalt baulicher Strukturen und damit die Schonung von Ressourcen ist überlebenswichtig für unseren Planeten – für uns und alle anderen Lebewesen. Die Bauwirtschaft ist für einen Grossteil der klimaschädlichen CO2-Emissionen verantwortlich. Wir haben die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. Re-Win will auf praktische Art zeigen, dass die Wiederverwendung, übrigens weit vor dem Recycling, maximalen Sinn macht, und verbindet dies mit einer Hilfeleistung für Menschen in Not. So werden, um auf Ihre Frage zurückzukommen, die ausgebauten Fenster entweder direkt zum Transport in die Ukraine verladen oder in einem unserer vier Zwischenlager in Basel, Bern, Zürich oder Winterthur gesammelt, um sie dann, sobald ein Lager voll ist, in die Ukraine zu transportieren. Derzeit versuchen wir, in Liechtenstein und dem Rheintal einen weiteren Standort aufzubauen. Der Transport in die Ukraine ist ein zeitintensiver Akt, der mit aufwendiger Administration am Zoll verbunden ist. Schliesslich übergeben wir die Fenster in Kiew unserer Partnerin, der NGO Proactive Generation. Von dort aus werden die Fenster im Land verteilt.
Diese Frage wird uns oft gestellt. Tatsächlich werden die Fenster unbeschadet mit dem Rahmen ausgebaut. Blessuren gibt es, doch die Fenster bleiben intakt. In den allermeisten Fällen ist die sorgfältige Demontage kein Problem. Von sehr grossen Verglasungen haben wir aber auch schon nur die Glasscheiben entnommen. Diese werden fachgerecht aus der Öffnung ausgebaut und in der Ukraine durch Fachleute vor Ort verwendet. Das Verladen in der Schweiz sowie in der Ukraine ist ein arbeitsintensiver Prozess, bei dem wir auf freiwillige und abrufbare Helfende angewiesen sind. Auch zum Einsatz kommen Hilfsmittel vom Gurt bis hin zum Kran – man bedenke, dass ein Fenster, je nach Grösse, rasch 100 Kilo wiegt. Transportiert werden die Fenster bevorzugterweise auf Paletten, welche beispielsweise in Bern vom Team um Nicolas Grandjean selber gebaut werden.
Ja, momentan erhalten wir sehr viele Fenster, was uns bestätigt und freut. Wir haben das Glück, inzwischen eine beachtliche Präsenz durch die Medien zu haben. Unterdessen kennt man uns vor allem in der Bau- und Architekturszene sehr gut. Das ist sehr wichtig, denn so können wir unsere Nachhaltigkeitsanliegen direkt vermitteln und Partnerschaften in zirkuläre Prozesse einbinden. Es besteht eine grosse Bereitschaft, uns gebrauchte Fenster zukommen zu lassen. Das ist beeindruckend und alles andere als selbstverständlich, denn der Ausbau sowie die Anlieferung bis zum Zwischenlager ist für die Bauträgerschaft mit Kosten verbunden. Momentan sind unsere Lager proppenvoll. Wir hoffen, dass wir die Finanzierung sichern können, um Transporte zu organisieren und wieder Stauraum generieren zu können: Fensterspenden absagen zu müssen, ist bedrückend für uns. Ein Transport kostet zwischen 3000 und 12 000 Franken, je nach Transportmodus ab Baustelle oder ab Lager. Unser Ziel ist es, im nächsten halben Jahr und für die Zukunft eine stabile Finanzierung zu erreichen.
Neben vielfältiger Unterstützung aller Art erhalten wir Mittel von privaten Personen, Stiftungen, öffentlichen Stellen und Unternehmen. Derzeit versuchen wir ausserdem, Toolboxen zusammenzustellen, um nicht allein der Materialknappheit entgegenzuwirken, sondern auch eine Möglichkeit anbieten zu können, um mit den vorhandenen Materialien zu arbeiten. Hier stellen uns entsprechende Firmen ihre Hilfe in Aussicht.
Diese Frage ist wichtig, denn sie zeigt, dass wir mit einem verklärten, vielleicht sogar einem sehr westlichen Auge auf unsere Umwelt blicken. Denn wir leben in einer Gesellschaft, in der die Reparatur als Fürsorgetechnik erst wieder entdeckt und als Wert geschätzt werden muss. Um bei den Fenstern zu bleiben: Natürlich finden wir für jedes gespendete Fenster eine passende Öffnung, denn noch immer übersteigt die Nachfrage das Angebot bei Weitem. Man stelle sich vor, dass eine Detonationswelle im Umkreis von bis zu drei Kilometern das Zerspringen von Glas bewirken kann. Damit ist die Anzahl an kaputten Fenstern in Siedlungsgebieten nahezu unzählbar, während aber nicht unbedingt die gesamte Bausubstanz zertrümmert wurde und Gebäude im Grunde bewohnbar wären, wenn durch Fenster die Gebäude geschlossen würden. Es ist beim Wiedereinbau selbstverständlich, dass hie und da ein Fensterrahmen durch eine Rahmenverbreiterung leicht angepasst oder eine Stelle versäubert werden muss. Selbst wenn teilweise etwas mehr Bauschaum zum Einsatz kommt als üblich – ganz ehrlich – was solls! Denn vor Ort geht es vor allem um den Nutzen eines funktionsfähigen Fensters, den Schutz vor Wind, Wetter und ungebetenen Gästen. Und ist die Improvisationsfähigkeit des Reparierenden letztlich nicht auch ein Merkmal grossartigen Handwerks und Quelle von Kreativität?
Die Neuproduktion von vier Fenstern entspricht dem CO2-Verbrauch von einer Fahrt mit 150 gebrauchten Fenstern. Damit lohnt sich die Wiederverwendung der Schweizer Fenster in der Ukraine um ein Vielfaches: In der Wiederverwendung von Bauteilen liegt ein enormes CO2-Sparpotenzial.
Es kommt darauf an, was wir letztlich unter «hochstehend» verstehen. Wenn wir die Grundlagen unserer eigenen Existenz und jener anderer Arten mit dem Einsatz von kopflosen baulichen Massnahmen zerstören, kann man schwer von einer hochstehenden Architektur und damit auch nicht von einer hochstehenden Baukultur sprechen. Die Wiederverwendung, ebenso wie der Fokus auf nachhaltige Bauweisen, ist nichts Neues. Nicht nur in Kriegsgebieten wird wiederverwendet. Auch unsere Vorfahren wussten, wie man repariert und mit dem baut, was da ist. In vielen Kulturen jenseits des westlichen Kanons ist dies bis heute die vorherrschende Praxis. Diese maximal effizienten Fähigkeiten sind als Teil unserer Kultur in einem Wirtschaftssystem untergegangen, das die klimapolitische Agenda nicht einbindet. Wir benötigen nun tragende Strukturen und Prozesse seitens Politik und Industrie für einen Wandel.
Veröffentlichung: 11. Mai 2023 / Ausgabe 19/2023
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