Der Fachkräftemangel ist eine zentrale Herausforderung vieler Branchen. Der Bausektor gehört zu den am stärksten betroffenen Gewerben, und deshalb beschäftigt das Thema auch so manche Schreinerei. Beim Blick in die Branche entdeckt man zweierlei Firmen. Die einen haben beim Recruiting, also dem Finden von Fach- und Führungskräften, scheinbar wenig Probleme, die anderen haben trotz langer Suche grosse Mühe.
Um einen differenzierten Blick zu erhalten, hat die Schreinerzeitung im nachfolgenden Interview mit Tom Sahli, Experte Personalgewinnung bei kohler + partner Personalgewinnung und Organisationsentwicklung aus Bern, nachgefragt, an welchen Umständen und Einflussfaktoren das liegen könnte.
- Schreinerzeitung: Herr Sahli, wie hat sich der Fachkräftemangel in der Schweiz in den letzten Jahren entwickelt?
- Tom Sahli: Wie allgemein bekannt ist, spitzt sich der Fachkräftemangel zu. Der demografische Wandel, der technologische Fortschritt und veränderte Arbeitsanforderungen begünstigen diese Entwicklung zusätzlich. Schreinereien müssen heute viel mehr tun, um Fach- und Führungskräfte sowie Lernende zu finden und ihnen ein attraktives Aufgabengebiet zu bieten. Die junge Generation zeigt zudem ein verstärktes Interesse an vielfältigen Erfahrungen, angetrieben durch die zahlreichen Möglichkeiten, die der technologische Fortschritt bietet. In dieser neuen Arbeitswelt haben traditionelle Erwartungen, wie eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit oder lineare Lebensläufe, an Bedeutung verloren. Unternehmen, die sich auf diese Veränderungen einstellen, haben die Nase vorn. Wer den Fokus von starren Anforderungen auf Soft Skills, wie beispielsweise die Kommunikationsfähigkeiten, verlagert und Arbeitsbedingungen an die heutigen Gegebenheiten anpasst, wird im Wettbewerb um die Talente von morgen deutlich besser dastehen.
- Welche Schreiner-Spezialisierungen oder Fähigkeiten sind am stärksten vom Fachkräftemangel betroffen?
- Im heutigen Arbeitsumfeld liegt der Fokus oft auf rascher Weiterbildung nach der Lehre. Das führt dazu, dass erfahrene Monteure oder Bankschreiner rar sind. Allerdings fehlen Fachkräfte auf allen Ebenen, insbesondere Techniker HF und Schreiner mit Weiterbildung zum Projektleiter oder Avor. Teilweise sind auch Holzingenieure gewillt, in einer Projektleitungsfunktion mit entsprechenden Zusatzaufgaben zu arbeiten, was für Schreinereien eine zusätzliche Chance sein könnte.
- Welche Massnahmen kann ein Unternehmer ergreifen, um qualifizierte Schreiner erfolgreich zu rekrutieren und langfristig an das Unternehmen zu binden?
- Wir sprechen bewusst nicht mehr von Rekrutierung, sondern von Personalgewinnung, da Unternehmen um ihre zukünftigen Mitarbeitenden werben müssen. Die Arbeitsbedingungen sollten deshalb an die individuellen Bedürfnisse und Lebensphasen der Mitarbeitenden angepasst werden. Das erfordert einen höheren Koordinationsaufwand, ist aber aus meiner Sicht in jedem Fall lohnenswert. Ich konnte beispielsweise für ein KMU sowohl einen Techniker als auch eine Holzbauingenieurin gewinnen, weil die Möglichkeit bestand, die Arbeitspensen flexibel zu gestalten. Ein Blick auf die Website des Maler- und Gipserverbandes bietet hier wertvolle Impulse.
- Ist die Förderung und Ausbildung des eigenen Nachwuchses ein Instrument, um dem Fachkräftemangel aktiv zu begegnen?
- Unbedingt, und dabei muss das Ziel sein, die ausgebildeten Berufsleute im eigenen Betrieb zu halten. Falls dies nicht möglich ist, sind berufliche Netzwerke wie beispielsweise Linkedin ein gutes Tool, um in Kontakt zu bleiben und die Mitarbeitenden allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt mit neuen Anreizen zurückzuholen.
- Wie hat sich der Bewerbermarkt entwickelt, und wieso funktioniert ein einfaches Stelleninserat nicht mehr so gut wie früher?
- Aktive Bewerbende auf Stellensuche sind in der Minderheit. Unser Fokus liegt daher bei vielen Vakanzen auf den möglichen passiven Kandidatinnen und Kandidaten. Diese sind nicht aktiv am Suchen, jedoch offen für Neues. Um sie für einen Wechsel zu gewinnen, muss mehr geboten werden als nur interessante Projekte und Kunden. Die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber spielt daher eine immer grössere Rolle.
- Wie kann der Schreiner eine zeit- gemässe Personalgewinnung aufgleisen und seine Attraktivität steigern?
- Um erfolgreich Fachkräfte zu gewinnen, sollten Schreinereien sich selbst einige Fragen stellen: Was sind die Unique Selling Propositions, kurz USP, meines Unternehmens in Bezug auf das Gewinnen und Halten meiner Mitarbeitenden. Welche Rahmenbedingungen kann ich bieten, welche die Konkurrenz nicht hat? Auf welchen Plattformen bewegen sich meine potenziellen Mitarbeitenden? Der Unternehmer muss sich überlegen, ob das erforderliche Knowhow für eine zeitgemässe Personalgewinnung intern aufgebaut wird oder ob externe Profis beauftragt werden. Dabei sollte der Fokus nicht nur auf Fachkompetenzen liegen, sondern auch auf Potenzialen in Kombination mit Sozialkompetenzen. Hierbei gilt es, die direkten und indirekten Einflussfaktoren zu kennen und diese gezielt einzusetzen und zu kommunizieren.
- Welche Rolle spielen die Unternehmenswerte beim Recruiting?
- Eine grosse Rolle. Nur wenn die Werte der Bewerbenden zu den gelebten Unternehmenswerten passen, entsteht eine langfristige Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Zudem stellen sich langfristige Erfolge in der Personalgewinnung ein, wenn die Aussenwirkung eines KMU und die gelebte Unternehmenskultur übereinstimmen.
www.k-p.ch
Zur Person
Tom Sahli (43) ist Experte für Personalgewinnung. Er ist gelernter Schreiner, dipl. Techniker HF Holztechnik, hat einen EMBA in General Management und ist spezialisiert auf die Gewinnung
von Fach- und Führungskräften in der Bauhaupt- und -nebenbranche. Zudem ist er als Dozent im Bereich Recruiting an der Berner Fachhochschule und als Prüfungsexperte tätig.
Noah Gautschi, njg
Veröffentlichung: 26. Oktober 2023 / Ausgabe 43/2023