Eine emotionale Achterbahnfahrt zur Medaille

Volle Konzentration bei Möbelschreiner Elmar Wyrsch während des Wettkampfs an den World Skills in Lyon. Bild: Michael Zanghellini (Swiss Skills)

Mit seinem Möbel an den World Skills in Lyon (F) Mitte September war Elmar Wyrsch nicht zufrieden. «Die Aufgabe war nicht besonders kompliziert. Die grösste Herausforderung war die Zeit, die sehr knapp bemessen war», erzählt der 20-Jährige aus Attinghausen UR. «Der dritte Wettkampftag lief nicht gut.» Er sei irgendwie neben der Spur gewesen und hätte in der letzten Stunde am Möbel nichts mehr Schlaues gemacht. Da dachte er, dass die Berufs-WM für ihn vorbei wäre, er kein gutes Ergebnis abliefern würde. «In der Nacht zuvor hatte ich bis um 3 Uhr am Arbeitsablauf gearbeitet, um so viel wie möglich herauszuholen. Im Nachhinein wäre ich besser früher schlafen gegangen. Dann wäre ich am dritten Tag fitter gewesen.» Zum Glück konnte ihn sein Experte, Tobias Hugentobler, aufbauen und ermutigen, weiterzumachen. «Am letzten und vierten Tag habe ich dann nochmals Vollgas gegeben und konnte das Möbel fertigstellen. Aber eben, zufrieden war ich damit nicht, und ich dachte auch nicht, dass das für eine Medaille reichen könnte.»

Als der Urner bei der Siegerehrung für die Medaillenvergabe bei den Möbelschreinern (Englisch: «Cabinetmaking») nach vorne gerufen wurde, konnte er es kaum fassen. «Es lief mir kalt den Rücken runter. Doch eine Medaille zu bekommen, war umso schöner. Ich freue mich noch immer riesig darüber.» Wyrsch gewann Silber, zusammen mit den Wettkämpfern aus China und Frankreich. Den Weltmeistertitel sicherte sich der Möbelschreiner aus Taiwan.

Ein Korpus mit Frontklappe

Die Aufgabe für die 22 Möbelschreiner an der WM war ein Korpus mit Frontklappe, einem Untergestell und zwei Schubladen. Von den Teilnehmern wurden unter anderem ein Furnierbild, verschiedene Zapfen-, Lamello- und Dübelverbindungen gefordert sowie Zinkenverbindungen bei den Schubladen. Hier kamen auch zwei verschiedene Auszugssysteme zum Einsatz. Während die obere Schublade am Ende auf metallenen Auszügen lief, war die untere klassisch mit Laufleisten ausgeführt.

Zeit hatten sie 22 Stunden, die auf vier Wettkampftage verteilt waren. Wie die Aufgabe aussehen könnte, wussten die Möbelschreiner ungefähr. Denn im Vorfeld wurden drei Testobjekte bekannt gegeben, von denen es hiess, es könnte an der WM eine Mischung oder eine Abwandlung als Aufgabe gestellt werden. Am Schluss war es allerdings ein neues Möbel mit einigen bekannten Elementen.

«Die World Skills waren für mich eine emotionale Achterbahnfahrt. Es war wie in einem Film. Es ist nicht so verlaufen, wie erwartet, aber mit einem tollen Ende», sagt Wyrsch und lacht. Die ganze Reise mit der monatelangen Vorbereitung im Betrieb seines Experten in Braunau TG, der Zeit im Swiss National Team und der Berufs-WM selbst sei für ihn eine tolle Erfahrung gewesen. «Der ganze Aufwand hat sich gelohnt.» Sein Fazit lautet: «Bis zum Schluss dranbleiben und Vollgas geben. Wenn etwas nicht gelingt, das sofort abhaken, weitermachen und sich aufs Nächste konzentrieren.»

Loïc Santschi war der zweite Schweizer Schreiner, der an der Berufs-WM teilgenommen hat. Der 21-Jährige aus La Chaux-de-Fonds NE war in der Kategorie «Massivholzschreiner» («Joinery») am Start und bekam es dort mit 18 Konkurrenten zu tun. Das zu fertigende Objekt bestand aus zwei Modulen: einer Tür inklusive Rahmen. Gestartet haben die Kandidaten mit der Tür. Als Allererstes musste ein 1:1-Aufriss erstellt werden, damit die einzelnen Werkstücke überhaupt angerissen werden konnten. Die Knacknuss lag besonders bei den Mittelfriesen. Davon fanden sich nämlich gleich drei in der Konstruktion der Tür, wobei alle in einem anderen Winkel angeordnet waren. In drei der vier entstandenen Zwischenräume mussten Füllungen eingepasst werden. Ein Zwischenraum blieb als Öffnung in der Tür frei. Die Form dieser Öffnung wurde über einen Rundbogen definiert, der über alle drei Mittelfriese läuft. Bei den Eckverbindungen der Rahmenfriese waren Doppelzapfen gefragt, wobei auch hier verschiedene Winkel die Aufgabe erschwerten.

Die Massivholzschreiner wussten im Gegensatz zu ihren Kollegen nicht, wie die Aufgabe aussehen könnte. Dieser Modus wurde auf die WM 2024 neu eingeführt. Santschi hatte die Aufgabe aber schnell verstanden, sie schien nicht unmöglich zu sein. «Der Wettbewerb verlief insgesamt gut. Natürlich gab es einige unvorhergesehene Probleme, aber ich konnte das Projekt rechtzeitig beenden», blickt Santschi zurück. «Leider durfte ich keinen speziellen Stemmbohrer verwenden. Also musste ich die vom Wettbewerb bereitgestellten Bohrer verwenden, was es mir schwer machte, präzise und saubere Arbeit zu leisten.» Als einer von wenigen Teilnehmern überhaupt konnte er sein Objekt in der Zeit fertigstellen.

Etwas enttäuscht, aber zufrieden

Aufs Podest hat es der Neuenburger aber knapp nicht geschafft. Er wurde Fünfter und erhielt ein «Medaillon d’Excellence», was mit einem olympischen Diplom vergleichbar ist. Die Goldmedaille ging nach China, den zweiten Rang teilten sich die Teilnehmer aus Deutschland und Grossbritannien. «Ich bin ein wenig enttäuscht, dass ich keine Medaille gewonnen habe. Aber ich bin zufrieden mit dem, was ich geleistet habe. Denn ich weiss, dass ich mein Bestes gegeben habe.» Es sei eine intensive und bereichernde Zeit gewesen. «Die WM verlief für mich sehr emotional, und die Atmosphäre im Schweizer Nationalteam war toll», bilanziert Santschi.

Er denkt, dass sich die lange Vorbereitung und die dafür nötigen Opfer gelohnt haben. «Ich habe Erinnerungen mit nach Hause genommen, die mich für immer begleiten werden. Alle Personen, die ich während des WM-Abenteuers kennengelernt habe, haben mir viel Wissen sowie Weltoffenheit vermittelt.»

Nicht gross ausgeruht

Die Woche nach den World Skills hat Loïc Santschi zu Hause etwas ruhiger genommen, um sich auszuruhen und zu erholen. Gearbeitet hat er dennoch. Denn auf dem elterlichen Landwirtschaftsbetrieb gibt es immer was zu tun. Nächste Woche kehrt er zu seinem Experten, Roger Huwyler, nach Bex im Kanton Waadt zurück, um das ganze Material zu verstauen. Denn in dessen Betrieb hatte er sich monatelang auf die WM vorbereitet und während dieser Zeit in der Nähe gewohnt.

Wyrsch vermisst die Vorbereitung

Damit hat hingegen Elmar Wyrsch etwas zu kämpfen. «Bis im Januar 2025 arbeite ich im Schreinereibetrieb meines Vaters», sagt er. «Derzeit ist es mir fast etwas langweilig, nur normal zu arbeiten.» Vor Lyon hat sich natürlich lange Zeit alles um die World Skills gedreht. Er hat jede freie Minute für die Vorbereitung aufgewendet. «Der Druck und der Stress sind jetzt weg, was natürlich schön ist. Aber irgendwie fehlen sie mir, wie die ganze Vorbereitung allgemein.» Der Urner möchte allerdings die nächsten Wochen geniessen und sich bei der Arbeit erholen. Denn im Januar heisst es auch für ihn, in die Rekrutenschule einzurücken. Er geht ins Tessin und wird Grenadier.

www.worldskills2024.comwww.swiss-skills.ch

nicole d’orazio/sven bürki

Veröffentlichung: 03. Oktober 2024 / Ausgabe 40/2024

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