Ein Wagen fürs Leben

Tobias Jordi, Betriebsleiter des Holzlabors, hat seine Passion zum Beruf gemacht. Bild: Franziska Hidber

Holzlabor.  Das genossenschaftlich organisierte Holzlabor hat sich auf Wagenbau spezialisiert: Auf dem idyllischen Hof im zürcherischen Thalheim an der Thur entstehen lauter Unikate – oft in Zusammenarbeit mit der Kundschaft, die sich mit Ideen und Tatkraft selber einbringt.

Die Äpfel hängen schwer an den Bäumen, Regentropfen zieren ihre roten Wangen. Aus der Werkstatt dringen Schleifgeräusche, eine getigerte Katze pirscht durchs Gras. Das Scheunentor gegenüber steht weit offen und gibt den Blick frei auf den Wagen, der darin steht: Lang ist er, und sein Kupferdach glänzt neu. Ein Mann verschwindet im Wageninnern: «Das ist der Wagenbesitzer», sagt Tobias Jordi, Betriebsleiter und Initiator des Holzlabors. «Er legt hier selbst Hand an, wir unterstützen ihn nach Bedarf und stellen die Infrastruktur zur Verfügung.» Im alten Busdepot in Winterthur stehen die anderen Wagen, an denen geschraubt, geschliffen oder gemalt wird – dort seien fachliche Beratung und Mithilfe nur phasenweise gefragt. Ohne Depot ginge es nicht mehr. Jordi umreisst mit einer Armbewegung das Anwesen mit den zwei ehemaligen Bauernbetrieben, den Apfelbäumen, dem Garten und den Scheunen: «Der Platz hier wurde zu knapp für alle.» Mit «alle» meint er jene, die sich mithilfe des Holzlabors den Traum vom eigenen Wagen erfüllen möchten – wie jene Familie, die ihn für ihre einjährige Reise in den Osten braucht. Oder jene junge Frau, die einen mobilen Verkaufsstand plant. Oder der Mann, der das Wohnen im Wagen einem Haus oder einer Wohnung vorzieht. Und dann gibt es Zirkusse oder Kleintheater, die beim Holzlabor anklopfen, weil sie zum Beispiel einen neuen Küchenwagen benötigen. Mit den Zirkuswagen hat es überhaupt angefangen. Oder nein, vielleicht noch viel früher – in jener Zeit, als der leidenschaftliche Jongleur Jordi selber in einem Wagen wohnte. Er lacht. Das Leben im Wagen habe ihn immer fasziniert.

Zusammenspiel und Austausch

Während seiner Ausbildung zum Schreiner arbeitete Jordi zwei Jahre in einer Wagnerei, was seine Leidenschaft für den Wagenbau zusätzlich befeuerte. «Jeder Wagen ist eine komplexe Geschichte und tangiert mehrere Bereiche – von der richtigen Holzwahl über die Verkleidung und Dämmung, Luftzirkulation, Heizung, Elektroinstallation, Spenglerarbeiten für das Dach und je nach Nutzung sanitäre Einrichtungen.»

Das Zusammenspiel und den Austausch mit Berufsleuten aus den verschiedenen Bereichen von Forstwirtschaft bis Spenglerei schätzt er ebenso wie das Begleiten seiner Kundschaft von der ersten Idee bis zur Oberflächenbehandlung.

Jordi ist gefordert als Tüftler, Projektleiter, Wagner, Schreiner, Berater, Organisator und Budgetkalkulator in Personalunion. Allein ist der Betriebsleiter nicht: Fünf Mitarbeitende gehören fix zur Belegschaft, dazu Personen, die hier ein Praktikum absolvieren oder auf Wanderschaft für einige Monate einen Job annehmen.

30 Mitglieder zählt die Genossenschaft. Sie ist offen für alle, die ihr eigenes Projekt verwirklichen wollen und dafür fachlichen Support, Werkzeug und Raum benötigen. In der Werkstatt werden noch immer Schreinerarbeiten auf Bestellung gefertigt. Zur Spezialität zählen Einzelanfertigungen – zum Beispiel gestemmte Flügeltüren aus Massivholz wie jene, die an diesem Tag an der Wand stehen, rund 3,40 Meter hoch.

Herzstück Wagenbau

Längst ist der Wagenbau zum Herzstück des Holzlabors geworden. Etwas weiter unten in der Wiese steht ein grüner Wagen, er ist bereits fertig und wohnlich eingerichtet. Ein Bett, ein Tisch, ein Schrank und ein nostalgischer Ofen erzählen von Gemütlichkeit auf kleinstem Raum. Dass Leute sich einen Wagen als Wohnalternative wünschen, komme immer häufiger vor, sagt Jordi. Auch er selber liebäugelt wieder damit. «Aber mir fehlt das Vierteljahr Zeit, um einen eigenen Wagen zu bauen», erklärt er. Die aktuellen Projekte füllen die Tage, Wochen und Monate.

Da ist zum Beispiel der 100-jährige Wagen auf dem Platz, der einen komplett neuen Innenausbau verlangt – und auch eine Isolation. «Die Dämmung ist eine Herausforderung. Anders als bei einem Haus sollen die Wände dünn und leicht sein – und trotzdem isolierend. Wir verwenden dafür Holzfaserplatten oder Schafwolle.»

Die Grundkonstruktion aus Esche wird auf beiden Seiten verkleidet. Aussen folgt erst eine Dämmung und Hinterlüftung, danach kommen die horizontalen Schalungsbretter, je nach Wunsch und Budget aus Weisstanne, Lärche oder Eiche. Die Innenverkleidung erfolgt mit Massivholzbrettern, manchmal auch Pappel- oder Birkensperrholz, der Blindboden ist aus Pappel, für den Deckbelag werden Eschenriemen-, Buchen- oder Eichenparkett verwendet.

Holz aus der Region

Abgesehen vom Lärchenholz, das aus Bergün geliefert wird, stammt das Holz aus der näheren und weiteren Region zwischen Tösstal, Zürcher Unterland und dem Bodensee, häufig aus dem Thurtal selbst. Mit heimischen Hölzern zu arbeiten, gilt im Holzlabor als Ehrensache.

Eine steile Treppe führt zum Holzlager. Jordi nimmt ein Stück Pappel in die Hände: «Die Pappel ist leicht und biegsam, sie eignet sich hervorragend für die Dachschalung unter dem Blech.» Auch das Holz der Waldkirsche mit seiner schönen, aber unaufdringlichen Faserung kommt zum Zug: «Es ist für den Innenausbau oder kleine Möbel wie gemacht», findet der Wagenbauer. Die richtige Holzwahl und die Qualität sind laut Jordi vor allem bei den Bögen für die Wagendächer und die Konstruktion entscheidend. Er hatte lange gepröbelt, bis er auf die beste Variante stiess, wie man stabile Bögen mit einem kleinen Querschnitt fertigt. So entwickelte er seine eigene Biegetechnik: Drei durchgehende Latten werden zu einem Bogen zusammengefügt. Dies reduziert die Verschnitte – nur noch 30 statt bis zu 70 Prozent, wie beim Biegen oft üblich –, ausserdem benötigt man so weniger Leim. Beides sind wichtige Kriterien für das Holzlabor, in welchem nach baubiologischen Grundsätzen gearbeitet wird.

Bis 7000 Schrauben

Bedingung für diese Biegetechnik ist allerdings die richtige Holzqualität. Also wird das Rundholz bereits im Wald ausgewählt und in der Sägerei nach Vorgabe eingeschnitten. Die Biegelatten kommen nach dem Zuschneiden für einige Tage ins Wasserbassin, anschliessend werden sie gedämpft und getrocknet. Wie für die Grundkonstruktion, schwört Jordi auch bei den Bögen auf Eschenholz.

Bei der äusseren Verschalung hingegen darf es auch Lärche sein – wie bei jenem fertigen Wagen, der vom Fenster des Holzlagers zu sehen ist. Seine goldenen Schrauben glitzern im Regen und geben ihm ein elegantes Äusseres. Bis zu 7000 Schrauben stecken in einem Wagen, aber keine einzige in den Verbindungen. Die Rahmen werden mit Schlitz und Zapfen verbunden sowie mit Holznägeln fixiert. «Das hält ein Leben lang», sagt Jordi.

Die Wagen, die das Holzlabor verlassen, seien langjährige Begleiter und nachhaltig. Oder wie er es nennt: «Es sind Wagen fürs Leben.» Behandelt werden sie mit Öl, nie mit Lack. Das Exemplar aus Lärche ist nur eines von rund 30 Unikaten, die im letzten Jahrzehnt hier entstanden sind. Bei manchen haben die Besitzerinnen und Besitzer den Grossteil der Arbeit selber übernommen, bei anderen war vor allem das Holzlabor-Team gefragt. Einige Wagen sind schon nach wenigen Monaten in die weite Welt oder wenigstens über das Thurtal hinaus-gerollt, bei anderen dauerte es fast ein Jahr – abhängig davon, wie viel Zeit die Leute für den Wagenbau investieren können.

Jeder Wagen ein Abenteuer

So unterschiedlich wie der Nutzungszweck sowie die Besitzerinnen und Besitzer, sind auch die Entstehungsgeschichten. Genau das ist es, was dem 44-Jährigen gefällt – jeder Wagen bedeutet wieder eine neue Herausforderung. Dies beginnt bereits bei der Finanzberatung: «Oft ist das Portemonnaie kleiner als der Idealismus. Dann zeige ich auf, was möglich ist und wie man die Kosten durch die richtige Holzwahl und Eigenleistung reduzieren kann.»

Bei den Bögen, der Grundkonstruktion, den sanitären Anlagen oder dem Dach seien zwar Fachwissen und handwerkliches Können gefragt; Dämmung, gewisse Montagearbeiten und Oberflächenbehandlung hingegen schafften unter professioneller Anleitung auch Laien.

Soeben hat sich wieder eine Familie gemeldet, die einen Wagen bauen lassen will. Jordi wird ihnen seinen allerersten Auftrag zeigen – ebenfalls einen Familienwagen. Mit der Besitzerfamilie steht er nach wie vor im Kontakt. Denn durch die enge Zusammenarbeit entstehe eine Verbindung, die weit über die Bauphase hinaus halte.

Jeder Wagenbau sei ein Abenteuer, an das man sich gerne erinnere, erklärt Jordi. Der ausgebildete Schreiner mit der reichen Erfahrung als Wagner freut sich bereits auf das neue Projekt. Und: Sollte sich doch endlich ein Zeitfenster von einem Quartal auftun, wird er sich endlich seinem eigenen Abenteuer widmen – einem weiteren Unikat der Marke Holzlabor.

www.holzlabor.org

HiD

Veröffentlichung: 29. August 2019 / Ausgabe 35/2019

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