Auch die Zweijährige ist eine Grundlage


Nach neun Jahren bei seinem Ausbildungsbetrieb arbeitet Roger Rossetti (32) nun als Maschinist bei der Schreinerei Wieland in Zürich. Bild: Stefan Hilzinger
Nach neun Jahren bei seinem Ausbildungsbetrieb arbeitet Roger Rossetti (32) nun als Maschinist bei der Schreinerei Wieland in Zürich. Bild: Stefan Hilzinger
Berufsbildung. Jährlich starten rund 200 Jugendliche eine Ausbildung als Schreinerpraktikerin oder Schreinerpraktiker. Die zweijährige Attestlehre geniesst nicht überall den besten Ruf. Dennoch ermöglicht sie den Start ins Berufsleben, wie die Beispiele von EBA-Schreinern zeigen.
Rund 15 Prozent aller Lernenden, die einen Schreinerberuf ergreifen, starten mit der Ausbildung zum Schreinerpraktiker, zur Schreinerpraktikerin ins Berufsleben. Sie schliessen im Erfolgsfall nach zwei Jahren mit einem Eidgenössischen Berufsattest (EBA) ab. Die Gründe, warum junge Menschen «nur» eine zweijährige Lehre absolvieren, sind vielfältig – meist sind aber nicht die handwerklichen Interessen oder Fähigkeiten der Jugendlichen der Grund, als vielmehr schulische Defizite oder anerkannte Beeinträchtigungen wie beispielsweise Autismus oder Legasthenie. Die Schreinerpraktikerausbildung löste 2006 die sogenannte Anlehre ab. Für viele Jahre lag die Zahl der Lehrverträge gemäss Statistik des VSSM bei über 250 neuen Lehrverhältnissen pro Jahr. Seit 2020 ist die Zahl rückläufig.
Die EBA-Ausbildung geniesst nicht überall in der Branche eine guten Ruf, dennoch ist auch die zweijährige Lehre in vielen Fällen eine gute Basis für den Start ins Erwerbsleben. Das findet auch Christian Mettler, Geschäftsführer des Lehrbetriebsverbundes Schreinermacher in Zürich, der jährlich mehrere EBA-Lernende ausbildet.
Wie die Karrieren von EBA-Schreinerpraktikern aussehen können, zeigen die Beispiele von Roger Rossetti, Elias Keller und Joshua Alachu, die in diesem Beitrag zu Wort kommen. Sie alle haben vor nicht allzu langer Zeit unter der Obhut der «Schreinermacher» die zweijährige EBA-Lehre abgeschlossen.
«Die Schreinerlehre war für mich bereits die zweite Ausbildung», sagt Roger Rossetti im Sitzungszimmer der Schreinerei Wieland. Nach drei Monaten als Temporärkraft ist er seit Anfang Jahr beim Traditionsbetrieb im Zürcher Seefeld-Quartier als Maschinist angestellt und dort unter anderem für den Plattenzuschnitt zuständig. «Die Arbeit hier gefällt mir sehr gut. Ich kann das Tempo zu einem gewissen Teil selbst bestimmen», sagt er. Bei Bedarf hilft er auch im Bankraum aus. Er ist aber auch für die Entgegennahme und den Umschlag der Holzwerkstoffe zuständig. Bevor Rossetti ein Hölziger wurde, schloss er die ebenfalls zweijährige Ausbildung zum Metallbaupraktiker ab. Doch Metall ist nicht sein Ding. «Holz ist das Material, mit dem ich gerne arbeite. Holz lebt.» Also hängt er eine Lehre zum Schreinerpraktiker an. Diese schliesst er 2014 bei der Fensterfabrik Albisrieden ab. Danach war er neun Jahre bei seinem ehemaligen Lehrbetrieb tätig. Der heute 32-Jährige wohnt mit seiner Verlobten auf dem Mutschellen im Kanton Aargau. Die Pendelei nach Zürich sei für ihn kein Problem, im Gegenteil: «Ich hatte noch nie einen so luxuriösen Arbeitsweg», sagt er. Die Werkstatt liegt nur wenige Gehminuten vom Bahnhof Stadelhofen entfernt.
«Gerne hätte ich noch die EFZ-Ausbildung angeschlossen», sagt er und lässt durchblicken, dass man ihm das als Sek-C-Schüler wohl nicht zugetraut habe. Dabei sei er ein guter Schüler gewesen und habe in der Berufsschule viel gelernt. «Sek C» sei schon bei der Lehrstellensuche vielmals das Argument für eine Absage gewesen – häufig auch ohne es auszusprechen.
Mit vielen Absagen muss auch Elias Keller klarkommen. Dem heute 23-Jährigen ist schon früh klar, dass er Schreiner werden will. «Mein Grossvater war auch Schreiner», sagt er dazu. Doch die möglichen Lehrbetriebe legen dem Legastheniker keinen roten Teppich aus, trotz zehnmaligen Schnuppern. «Niemand hat sich getraut, mir eine Lehrstelle als Schreiner anzubieten», sagt er. Dies offensichtlich wegen seiner anerkannten Schwäche beim Lesen und Schreiben. Via «Schreinermacher» kam er dann aber rasch zu einer EBA-Lehrstelle bei der Bau- und Holzwerker AG in Stallikon ZH. «Das Praktische war bei mir ohnehin nie das Problem, und in der Schule ging es auch gut», sagt Keller. 2019 schliesst er als Bester seines Jahrgangs im Kanton Zürich ab. Im gleichen Betrieb kann er dann die vierjährige EFZ-Lehre anhängen, die er mittlerweile ebenfalls mit Erfolg abgeschlossen hat. «Ich war zwar zunächst nicht erfreut, dass ich über die vollen vier Jahre gehen muss», sagt er. Das seien halt die Regeln der «Schreinermacher»-Betriebe, andernorts hätte er den Anschluss EFZ möglicherweise in drei Jahren machen können. «Ich brauchte etwas Durchhaltevermögen», sagt er. In der Berufsschule kommt ihm zugute, dass die allermeisten Lehrmittel digital zur Verfügung stehen. Ausserdem kann er auf einen sogenannten Nachteilsausgleich zurückgreifen, der ihm für Prüfungen zehn Minuten mehr Zeit gewährt. «Meistens beanspruchte ich die zehn zusätzlichen Minuten nicht, ausser beim Qualifikationsverfahren am Schluss der Ausbildung», sagt er. Seit August ist er als Bankschreiner bei der Firma Kempf Innenausbau in Arni AG angestellt, wo er auch auf Baustellen aushilft, wie unlängst in Zürich-Wollishofen, wo ein defekter Laubengang repariert werden musste.
Im kommenden August startet Keller nun die Weiterbildung zum Fertigungsspezialisten am WBZ Lenzburg. Rückblickend sagt er, dass der Einstieg via EBA für ihn das einzig Richtige gewesen sei. «Ein anderer Beruf als Schreiner kam für mich nicht infrage, und die EBA-Ausbildung hat mir Perspektiven eröffnet.»
Der Berufsattest sei immerhin ein erster Abschluss. Von den Ausbildungsbetrieben wünscht er sich mehr Mut, auch EBA-Lernenden eine Chance zu geben. Zumindest schnuppern lassen sollte man die Interessierten. «Da kann man doch nichts verlieren.» Und die Lehre dauere ja dann auch «nur» zwei Jahre. «Wenn die Einstellung stimmt, gibt es immer einen Weg», sagt der junge Berufsmann, der an seinem Wohnort in der Pfadi, dem Turnverein und in der Feuerwehr aktiv ist.
Es ist nicht so, dass Joshua Alachu der Schreinerberuf nicht gefallen hätte. Im Keller des Hauses, wo die Famile wohnt, hat er weiterhin seine eigene Holzwerkstatt. Trotzdem hat Alachu nach der EBA-Ausbildung zum Schreinerpraktiker das Material und die Branche gewechselt. Diesen Sommer schliesst der 22-Jährige bei der Amag in Dübendorf ZH die EFZ-Lehre zum Automobilmechatroniker ab. «Ich wollte immer etwas mit den Händen arbeiten», sagt er. Daher sei die zweijährige Schreinerlehre ein guter Weg gewesen für ihn. Als Sek-B-Schüler macht er die gleichen Erfahrungen wie Rossetti und Keller. «Ich habe sehr viele Bewerbungen geschrieben und relativ spät noch eine Lehrstelle gefunden», berichtet Alachu. Die Ausbildung, deren Hälfte er bei der Schreinerei Ismont in Waltalingen im Zürcher Weinland absolvierte, hat ihm sehr gut gefallen. «Ich hatte es auch mit den Kollegen dort sehr gut.» Doch nach Abschluss der zweijährigen Lehre habe er rasch realisiert, dass es das noch nicht gewesen sein könne. «In der Schule war ich, ehrlich gesagt, unterfordert.» Ausserdem, so räumt er ein, habe er gemerkt, dass er lieber drinnen als draussen auf der Baustelle arbeite. Da ihn Autos ebenfalls schon länger interessieren, habe er sich in diesem Bereich umgesehen. Bei den Automobilberufen gibt es drei Abstufungen: Automobil-Assistent ist die zweijährige Attestlehre, die Ausbildung zum Automobil-Mechatroniker EFZ dauert volle vier Jahre, dazwischen liegt die dreijährige EFZ-Lehre zum Automobil-Fachmann. «Ich wollte die vierjährige Lehre machen, und hier bei Amag habe ich die Chance erhalten, mich zu beweisen», sagt Alachu.
www.vssm.chwww.traumjob-schreiner.ch
Bei der EBA-Lehre ändert einiges
Mit dem Start der Revision 2023 wird die Grundbildung für Schreinerinnen und Schreiner umfassend überarbeitet. Ab Sommer 2028 soll mit den neuen Ausbildungen Schreinerpraktiker/in EBA und Schreiner/in EFZ gestartet werden. Hinter dem Grossprojekt stehen die Trägerverbände VSSM (für die deutsch- und italienischsprachige Schweiz) und Frecem (für die Romandie), unterstützt von einer berufspädagogischen Begleitung von Bund und Kantonen.
Ein wichtiger Meilenstein wurde bereits erreicht: Im vergangenen Herbst konnte die Erarbeitung der Qualifikationsprofile abgeschlossen werden – sie definieren die zentralen Handlungskompetenzen, das Berufsbild und die Bedeutung des Schreinerberufs. Derzeit arbeiten die einzelnen Arbeitsgruppen intensiv an der Entwicklung des Bildungsplans und des Qualifikationsverfahrens.
Was ändert sich für die angehenden Schreinerpraktiker/innen EBA?
Die neue Ausbildung setzt auf eine breitere, generalistische Grundlagenausbildung, die durch die beiden Schwerpunkte – Produktion und Montage – leicht vertieft wird. Dieser Wechsel von den bisherigen Schwerpunkten Schreinerei und Fensterbau hin zu prozessspezifischen Schwerpunkten soll die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt erhöhen und die Durchlässigkeit zur EFZ-Ausbildung erleichtern. Trotz dieser Neuerungen bleiben zum aktuellen Zeitpunkt die Lehrdauer, der Umfang der Berufsfachschule und der überbetrieblichen Kurse unverändert.
Die Schreinerbranche steht vor einem spannenden Wandel, mit einer Ausbildung, die mehr Möglichkeiten und bessere Perspektiven bietet.
Veröffentlichung: 27. Februar 2025 / Ausgabe 9/2025
Kreislaufwirtschaft. Wie gelingt es der Bauwirtschaft, den CO2-Ausstoss zu senken und damit ihren ökologischen Fussabdruck zu verkleinern? Weiterverwenden von Bauteilen und Rezyklieren von Baustoffen liefern Antworten, lautete der Tenor an der Tagung für zirkuläres Bauen in Biel.
mehrWerkstoffe. Aus wirtschaflichen Gründen will die Firma Samvaz in Châtel-St-Denis FR ihr Werk für Holzelemente schliessen. Wie die Firma mitteilt, läuft aktuell ein Konsulationsverfahren unter den betroffenen Mitarbeitenden, wie die Produktion allenfalls gerettet werden könnte.
mehrPaidPost. Die orangefarbenen Service-Busse von Schreiner 48 stehen im Dauereinsatz. Möglich ist das nur, dank dem Garagist Philipp Huber und seinem Team
mehr