Ein Klotz am Bein

Aus dem «Brennholz» (links) entstand dieser Hocker. Der Würfel am Bein soll auf die Herkunft des Holzes aufmerksam machen. Bild: Ramona Hess

Restenverwertung.  Welche Grösse muss ein Reststück unterschreiten, um nicht mehr verwendet werden zu können? Oftmals liefert der Abstand der Einzugswalzen bei der Hobelmaschine eine Antwort auf diese Frage. Eine Antwort, die aber durchaus hinterfragt werden darf.

Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Während dem Schreiner bei dem Sprichwort sofort der Putzhobel und frische, duftende Hobelspäne in den Sinn kommen, dürfte ein Grossteil der Gesellschaft zuerst an dessen sinnbildliche Bedeutung denken: Das, was man tut, kann auch Nachteile mit sich bringen.

Wenn es aber um das Abfallholz in den Schreinereien oder anderen Holz verarbeitenden Betrieben geht, passt die Redewendung sowohl im wortwörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Denn wo geschreinert, gezimmert oder gedrechselt wird, da fallen immer auch Abschnitte und Reste an. Was nicht mehr weiterverarbeitet werden kann, landet vielerorts in der firmeneigenen Heizungsanlage. Das mag an sich noch nichts Negatives sein, gäbe es einen allgemeingültigen Massstab dafür, «was nicht mehr weiterverarbeitet werden kann».

Brennholz oder Werkstück?

Eine solche allgemeingültige Regel gibt es jedoch nicht, und womit in der einen Firma bereits geheizt wird, entsteht andernorts noch ein Möbel, Gebrauchsgegenstand oder Kunstobjekt. Diese Erfahrung hat zumindest Ramona Hess aus Riedtwil im Kanton Bern gemacht. In dem kleinen Familienbetrieb, wo die Bernerin ihre Ausbildung zur Holzhandwerkerin in der Fachrichtung Drechslerei gemacht hat, sei auch aus dem kleinsten Stück Restholz noch ein Produkt entstanden. «Danach habe ich in verschiedenen Holz verarbeitenden Betrieben gearbeitet und gesehen, wie viel brauchbares Holz dort im Ofen oder gar im Abfall landet», sagt Hess. Deshalb habe sie ihre Diplomarbeit im Rahmen des Studiums zur Gestalterin HF Produktdesign schliesslich dieser Thematik gewidmet.

Zeitlicher und finanzieller Druck

Die Gründe für das direkte Verheizen oder Entsorgen der Holzreste seien in den Betrieben, in denen Hess gearbeitet hat, unterschiedlich gewesen. So habe etwa der Lagerplatz gefehlt, um die Reste aufzubewahren, die Reststücke seien zu klein gewesen, um sie weiterzuverarbeiten, oder Risse, Äste sowie Verfärbungen haben die Verarbeitung oder den Verkauf des Holzes erschwert. Auch in einer Umfrage, die Hess für ihre Diplomarbeit durchgeführt hat, zeigt sich ein ähnliches Bild.

Von den rund 70 teilnehmenden KMU aus der Holzbranche werden am häufigsten Qualitätsmängel und die zu geringe Grösse der Abschnitte als Gründe genannt, das Holz nicht für weitere Zwecke zu verwenden. Der Qualitätsanspruch an das Holz stellt insbesondere für grössere Unternehmen ab 30 Mitarbeitern die grösste Herausforderung dar, um die Restholzmenge zu reduzieren. Bei kleinen Betrieben scheitert es hingegen meist am zeitlichen oder finanziellen Druck. «Der Preis des Holzes fällt im Vergleich zu den Löhnen deutlich weniger ins Gewicht», heisst es etwa in einem Kommentar der teilnehmenden Betriebe. «In einer Zeit, in der alles immer schneller, günstiger und doch in höchster Qualität produziert werden muss, hat die Thematik oftmals keinen Platz», fasst Hess die Auswertung der Umfrage zusammen.

Grosses Potenzial

Dass der wertvolle Rohstoff Holz oftmals viel zu schnell in der Heizung landet, geht auch aus einer Analyse der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) hervor, die im Dezember des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Demnach werden in der Schweiz jährlich fünf bis sieben Millionen Kubikmeter Holz geschlagen, und rund 40 Prozent davon dienen direkt als energetischer Brennstoff – sprich: Das Holz wird zum Heizen verbrannt. Zudem sei die Schweizer Recycling-Rate des nachwachsenden Rohstoffes vergleichsweise tief. Während bis zu 70 Prozent der Papierabfälle wiederverwertet werden, finden nur knapp acht Prozent des anfallenden Abfallholzes ihren Weg in einen neuen Wertschöpfungskreislauf.

Das Fazit der Studie: In der Schweiz besteht noch erhebliches Potenzial, was die nachhaltige Holznutzung betrifft. Dieses Potenzial sieht auch Hess, ist sich aber ebenso bewusst, dass es für die Problematik keine schnelle Lösung gibt. Deshalb soll ihre Arbeit in erster Linie sensibilisieren. Nicht nur bei den Fachleuten aus der Holzbranche, denn da sei man sich der Thematik oftmals schon auf die eine oder andere Art bewusst, wie die junge Bernerin sagt. Vielmehr möchte sie die Wahrnehmung für den Werkstoff Holz etwa bei den Konsumenten verbessern. «Aber auch Designer, die ihre Möbel und Objekte mit Schreinern oder anderen Handwerkern umsetzen, können noch mehr dafür sensibilisiert werden, dass Holz mal einen Ast oder eine Verfärbung haben kann», sagt Hess.

Richtig geklotzt

Um das Bewusstsein für das Thema zu steigern, fertigte Hess mehrere Anschauungsstücke aus Holzresten aus verschiedenen Betrieben. Das Design der entstandenen Hocker-Kollektion wird dabei durch einen gestalterischen Twist geprägt. So unterbricht ein Klotz die ansonsten fliessenden Linien der runden oder abgerundeten Beine und weist somit auf die Herkunft des Materials her.

«Der Klotz stört die Harmonie des Möbels, und so ist auch die Thematik der Holzabfälle für viele störend und quasi ein Klotz am Bein», sagt Hess.

Die Sitzmöbel sollen aber nicht nur durch ihre visuelle Botschaft auf den verantwortungsvollen Umgang mit Holz aufmerksam machen, sondern auch durch deren Konstruktion und Oberflächenbehandlung. So sind die Hocker weder lackiert noch geölt, weil dies die mehrfache Verwertung des Holzes erleichtere, wie Hess sagt. Auch der Verzicht auf jegliche Form von Klebstoff entspricht dieser Philosophie.

Eingeschnappt

Damit die Hocker aber nicht nur zum Anschauen, sondern auch zum Sitzen gebraucht werden können, hat Hess mit alternativen Verbindungslösungen herumprobiert. Eine davon ist die sogenannte Schnappverbindung oder auf Englisch «Snap Fit». Diese nutzt die Elastizität des Holzes, wodurch das Material beim Zusammenschieben der Verbindung gebogen wird und in der Endposition in seine Ursprungsform zurückkehrt.

«Als Drechslerin denke ich in runden Formen, weshalb mir eine runde und zapfenförmige Schnappverbindung im Kopf herumschwirrte», sagt Hess. Aus dieser Idee sind verschiedene Versionen der Verbindung entstanden, wobei vor allem die Passgenauigkeit und effiziente Fertigung Herausforderungen gewesen seien. Am geeignetsten stellte sich die Lösung mit einem separaten Verbindungsstück und entsprechender Gegenform in den zu verbindenden Werkstücken heraus. Doch auch da fehle schnell einmal die Stabilität bei geringen Massdifferenzen in der Verbindung. «Die Präzision ist ohne CNC oder Kopierdrehbank kaum zu schaffen», sagt Hess. Deshalb habe sie den ursprünglichen Plan, die einzelnen Klötze der Beine mit dem Snap-Fit-Prinzip zu verbinden, nach dem ersten Prototyp nicht weiter verfolgt.

Schweissreibend

Für die Verbindungsdetails an den Hockern und vor allem auch für die handwerkliche Fertigung besser geeignet, erwies sich schliesslich das Holzschweissen. Ähnlich wie Metall oder Kunststoff lässt sich auch Holz durch die Reibung zweier Oberflächen miteinander verbinden. Dabei wird das Material erhitzt, und die in der Zellwand enthaltenen Polymere (Lignin und Hemicellulose) beginnen zu schmelzen. Beim Abkühlen verbinden sich die beiden Holzflächen miteinander. Die Reibung kann mittels Vibration in linearer Richtung erfolgen oder durch Rotation. Während für die linearen Vibrationen jedoch eine spezielle Maschine vonnöten ist, kann das Rotationsschweissen auch auf einer herkömmlichen Ständerbohrmaschine oder an einer Drehbank erfolgen, wie Hess bei ihren Hockern beweist. «Ohne computergesteuerten Prozess ist der Erfolg zwar nicht immer garantiert, aber für meine Zwecke ist es dann doch recht effizient.»

Versuch und Irrtum

Bis das Holzschweissen aber einigermassen zuverlässig geklappt hat, fertigte Hess diverse Muster an (siehe Bild unten). Holzart, Drehzahl und Vorschub seien alles Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen. Die Idee, zwei gedrechselte, formschlüssige Elemente stirnseitig miteinander zu verbinden, musste die Bernerin wieder verwerfen. Zahlreiche Versuche führten nicht zum Erfolg, sodass sie sich schliesslich auf das Dübelschweissen fokussierte. Bei den Versuchen habe sich gezeigt, dass der Durchmesser des Dübelstabes ungefähr 2 mm grösser sein sollte als der des gebohrten Loches. «Bei einer geglückten Verschweissung ist die Verbindung ähnlich stark, wie wenn sie mit Weissleim geklebt wird», sagt Hess. Mit Wasser sollten die Stellen allerdings nicht in Kontakt kommen, da die Verschweissung nicht wasserfest sei.

Geschweisster Holzstuhl

Obwohl man das Holzschweissen bereits seit einigen Jahren kennt, findet es bisher noch kaum Verwendung. Bereits zum Einsatz kommt das Verfahren aber beispielsweise bei Möbeln der beiden Schweizer Designer Thomas Walde und Florian Hauswirth. Mit Unterstützung der Berner Fachhochschule für Architektur, Bau und Holz in Biel haben die beiden das Rotationsschweissen etwa beim Stuhl «JWC» (Just Wood Chair) angewandt. Mit Walde konnte sich Hess im Vorfeld ihrer Diplomarbeit über das Verfahren austauschen.

Ihre fertige Arbeit konnte Hess schon in Japan präsentieren. Ende 2024 reiste die Bernerin dafür nach Osaka an die Ausstellung «Design with Wood» des Netzwerkes «Swissnex», nachdem sie sich spontan auf einen Aufruf der Swiss Design Association (SDA) beworben hat.

Von der Kugelbahn zum Hocker

Auch in der Schweiz waren die Hocker von Hess bereits auf Messen und an Ausstellungen zu sehen. Die Resonanz sei durchaus positiv, und es gebe immer wieder Nachfragen, ob die Möbelstücke auch zu kaufen sind. «Ich kann mir zwar vorstellen, die Hocker zu verkaufen, aber eine Serienfertigung wird es nicht geben», sagt die Bernerin. Zurzeit kann Hess die Hocker mit der Unterstützung der Berner Design Stiftung weiterentwickeln. Dabei beschränke sie sich auf Abfallholz der Nyfeler Holzwaren AG, bei welcher fortwährend gleiche Reststücke anfallen. Mit dieser Synergie entsteht ein konkretes und praxisnahes Beispiel zur Restholzverwertung.

Und so ist der Klotz am Hockerbein dann nichts anderes als ein Würfel des «Cuboro»- Kugelbahnsystems, der durch die Qualitätskontrolle gefallen ist. Zusammen mit anderen Reststücken soll der Klotz am Bein nun ein möglichst breites Publikum für nachhaltige Holznutzung sensibilisieren. Und wenn dieser Zweck erfüllt ist, landen die Einzelteile des Hockers in ferner Zukunft dann doch da, wo sie einst hergekommen sind – im Brennholzwagen.

www.ramonahess.ch

Sven Bürki

Veröffentlichung: 27. Februar 2025 / Ausgabe 9/2025

Artikel zum Thema

18. Februar 2025

Samvaz erwägt Schliessung des Holzelemente-Werks

Werkstoffe. Aus wirtschaflichen Gründen will die Firma Samvaz in Châtel-St-Denis FR ihr Werk für Holzelemente schliessen. Wie die Firma mitteilt, läuft aktuell ein Konsulationsverfahren unter den betroffenen Mitarbeitenden, wie die Produktion allenfalls gerettet werden könnte.

mehr
18. Dezember 2024

Holz nicht gleich verheizen

Forschung. Holz ist Zukunftsmaterial. Doch wie viel ist vorhanden und wie wird es am besten genutzt? Forschende der Empa und WSL haben die Materialflüsse in der Schweiz analysiert und ungenutzte Potenziale entdeckt.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Werkstoffe