Diesmal geht es um die zweite Säule
Die Abstimmung am 22. September 2024 betrifft das Altersguthaben von Erwerbstätigen. Bild: Shutterstock
Die Abstimmung am 22. September 2024 betrifft das Altersguthaben von Erwerbstätigen. Bild: Shutterstock
Abstimmung. Am 22. September stimmt die Schweizer Bevölkerung über die Reform der beruflichen Vorsorge ab. Diese soll die finanzielle Sicherheit der künftigen Renten stärken sowie die Situation von Teilzeitbeschäftigten und Personen mit niedrigen Löhnen verbessern.
Der Abstimmungskampf hat Fahrt aufgenommen. Am 22. September werden die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger zu den Urnen gerufen. Abgestimmt wird über die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG), der zweiten Säule. Denn die Pensionskassen haben in den letzten Jahren weniger Erträge erzielt, parallel steigt aber die Lebenserwartung der Bevölkerung, und Renten müssen länger ausbezahlt werden. Das setze die berufliche Vorsorge immer mehr unter Druck, und die Renten seien im obligatorischen BVG-Teil derzeit nicht mehr ausreichend finanziert, heisst es beim Bund. Mit der Reform sollen künftige Renten sicherer finanziert und die Absicherung von Teilzeitbeschäftigten und Personen mit tieferen Löhnen verbessert werden. Die Vorlage haben Bundesrat und Parlament angenommen, dagegen wurde vom Gewerkschaftsbund das Referendum ergriffen.
Als zentrale Massnahme der Reform soll der Umwandlungssatz von derzeit 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt werden. Dieser legt fest, wie viel Rente die Pensionskassen jährlich vom angesparten Altersguthaben auszahlen, sofern die versicherte Person sich bei der Pensionierung nicht für eine Auszahlung ihres Kapitals entschieden hat. Betroffen ist allerdings nur der obligatorische Teil, das sogenannte BVG-Minimum. Bei einem Guthaben von 100 000 Franken sind das heute zum Beispiel 6800 Franken. Mit der Reform wären es noch 6000 Franken. Wer bereits eine Rente bezieht, ist von der Massnahme aber nicht betroffen. Wann die Änderungen bei einer Annahme eingeführt würden, steht noch nicht fest.
«Die Senkung des Umwandlungssatzes wirkt sich direkt auf die künftigen Renten jener Versicherten aus, deren Pensionskasse lediglich oder kaum mehr als die gesetzlichen Mindestleistungen bietet», heisst es in einer Mitteilung des Bundesamts für Sozialversicherungen BSV. Die Renten dieser Personen würden ohne Ausgleichsmassnahmen sinken. Die meisten Erwerbstätigen seien jedoch umfassender versichert, im sogenannten Überobligatorium. «Sie sind von der Senkung des Umwandlungssatzes im Allgemeinen nicht betroffen.»
Um eine Reduktion der Renten durch den tieferen Umwandlungssatz zu verhindern, sollen die ersten 15 Jahrgänge nach Inkrafttreten der Reform Rentenzuschläge zwischen 100 und 200 Franken pro Monat erhalten. Die Höhe des Zuschlags hängt vom Geburtsjahr und vom Altersguthaben ab, heisst es beim Bund. Dieser Rentenzuschlag soll rund 800 Millionen Franken pro Jahr kosten und wird von den Pensionskassen sowie über Lohnbeiträge aller Arbeitnehmenden und Arbeitgeber finanziert.
Die BVG-Reform möchte nicht nur den Sparprozess stärken, sondern auch Teilzeitbeschäftigte und Personen mit tieferen Löhnen besser absichern. Das seien in der Praxis meistens Frauen, heisst es in der Vorlage. Grundsätzlich spart bei der zweiten Säule jede erwerbstätige Person für sich selbst, unterstützt von den Beiträgen der Arbeitgebenden. Damit ein Jahreslohn überhaupt versichert ist, muss er derzeit 22 050 Franken übersteigen. Diese Eintrittsschwelle soll auf 19 845 Franken gesenkt werden. Damit werden Teilzeitarbeitende und Personen mit mehreren Arbeitgebern bessergestellt. Zudem erhalten mehr Erwerbstätige neu Anschluss an eine Pensionskasse. Der Bund rechnet mit rund 70 000 Personen.
Eine weitere Massnahme der BVG-Reform ist die Senkung des Koordinationsabzugs, um den tieferen Umwandlungssatz auszugleichen. Der Koordinationsabzug bezweckt, dass die Pensionskasse nur Beiträge auf die Lohnteile erhebt, die nicht bereits durch die erste Säule versichert sind. So wird nicht doppelt versichert. Heute gilt ein fixer Abzug von 25 725 Franken. Die Reform sieht einen lohnabhängigen Koordinationsabzug von 20 Prozent des Bruttoeinkommens bis 88 200 Franken vor. Dieser Betrag bildet die Obergrenze des BVG-Obligatoriums. Tiefere Löhne wären somit besser versichert, die Lohnabzüge steigen hingegen. «Die Versicherten zahlen Beiträge auf einen höheren Lohn, sodass sich das Altersguthaben erhöht und sich das Rentenniveau insgesamt erhalten lässt», heisst es in der BSV-Mitteilung. Gerechnet wird mit höheren Lohnbeiträgen in die Pensionskasse von jährlich 1,4 Milliarden Franken.
Als weitere Massnahme werden die Altersgutschriften beziehungsweise Beitragssätze angepasst. Diese bestimmen, wie viel Prozent des Lohns Arbeitnehmer und -geber in die zweite Säule einzahlen müssen. Sie steigen heute mit zunehmendem Alter von 7 bis auf 18 Prozent. Neu soll es nur noch zwei Stufen geben: 9 Prozent bis zum Alter von 44 Jahren und 14 Prozent bis zum Alter von 65. «Ein Arbeitgeber muss für ältere Angestellte höhere Lohnbeiträge zahlen als für jüngere. Dies kann ältere Personen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligen. Deshalb sieht die Reform vor, den Unterschied zu verkleinern», lautet die Begründung.
Für den Bundesrat und das Parlament ist die Reform nötig, «damit die künftigen Renten der obligatorischen beruflichen Vorsorge wieder ausreichend und langfristig finanziert sind. Ausserdem verbessert die Reform die Altersvorsorge von Personen mit tieferen Einkommen.» Die Vorlage wird auch von den bürgerlichen Parteien befürwortet sowie von den grossen Wirtschaftsverbänden wie dem Schweizerischen Arbeitgeberverband oder Economiesuisse. Die Reform sei überfällig, und es handle sich um einen breiten Kompromiss, heisst es bei diesen.
Die Gewerkschaften, die SP und wohl auch die Grünen bekämpfen die BVG-Reform. Sie kritisieren, dass die Senkung des Umwandlungssatzes und die Anhebung der Lohnbeiträge kombiniert werden. Die Bevölkerung müsste für weniger Rente mehr bezahlen. Zudem stellt sich die Wirtschaftsallianz «Nein zur BVG-Scheinreform» gegen die Vorlage. Sie wird von Gastrosuisse angeführt. Dazu gehören auch der Westschweizer Arbeitgeberverband Centre Patronal und kleinere Branchenverbände der Bäckerinnen und Confiseure, der Coiffeurgeschäfte, der Fitness- und Gesundheitszentren, der Tankstellenshops, der individuellen Gastronomie sowie der FleischFachverband.
www.bsv.admin.chwww.ja-bvg.chwww.bvg-bschiss.chwww.scheinreform-nein.ch
Die Schweizer Altersvorsorge ist ein System, das auf drei Säulen beruht. Es wurde in der Verfassung verankert, nachdem das Schweizer Volk diesem Vorsorgemodell 1972 zugestimmt hatte. Die erste Säule, die obligatorische Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), soll laut des Bundesamts für Sozialversicherungen das Existenzminimum sichern und gilt als staatliche Vorsorge. Grundsätzlich ist die ganze Bevölkerung versichert. Die erste Säule funktioniert nach dem Umlageverfahren. Dass heisst, dass die Beiträge der Erwerbstätigen die Renten der Pensionierten bezahlen. Die zweite Säule hat zum Ziel, den gewohnten Lebensstandard zu erhalten. Es handelt sich um eine berufliche Vorsorge, nur Arbeitnehmende sind versichert. Sie bezahlen obligatorisch über Lohnabzüge auf ihr individuelles Pensionskassenkonto ein. Auch die Arbeitgebenden überweisen Beiträge auf dieses Konto. Diese sind abhängig von der Lohnhöhe. Die dritte Säule ist eine private Vorsorge und ist freiwillig. Sie wird vom Staat steuerlich begünstigt.
Die Pensionskasse Schreiner (PKS) ist ein Vorsorgewerk innerhalb der Proparis, der Vorsorge Gewerbe Schweiz, und der Partner der beruflichen Vorsorge der VSSM-Mitgliedsbetriebe. Sie wird von der AHV-Ausgleichskasse Forte ver- waltet und ist finanziell unabhängig. Ihre finanzielle Lage ist laut Urs Fischer, dem Kassenleiter der AK Forte, sehr gut. «Aktuell sind die erzielten Erträge an den Kapitalmärkten überdurchschnittlich hoch. Im laufenden Jahr darf mit einer Mehrverzinsung gerechnet werden», sagt er. Die PKS würde die BVG-Reform finanziell mühelos verkraften. Vielmehr könnte der hohe administrative Aufwand für die Umsetzung ein Kraftakt werden. Er sei jedoch überzeugt, dass man auch diese Herausforderung meistern würde.
Die PKS bietet viele Pläne an, die bezüglich der Altersgutschriften weit über das Minimum hinausgehen. «Trotz des breiten Angebots wünschen viele Firmen aber Vorsorgepläne, deren Gutschriften nur dem gesetzlichen Minimum entsprechen», sagt Fischer. Das seien rund 85 Prozent. Sollte die Reform angenommen werden, erwartet die PKS, ihre Beitragssätze trotz Mehrkosten nicht nach oben anpassen zu müssen. «Bei vielen Versicherten erhöht sich aber der versicherte Lohn, sodass zum Teil wesentlich höhere PK-Beiträge geschuldet werden. Bei wenigen Versicherten mit höheren Löhnen und in der höchsten Altersgruppe dürften sich die Beiträge reduzieren.» Bei rund 30 Prozent der versicherten Schreinerinnen und Schreiner läge die zu erwartende Rente bei einer Anpassung der Umwandlungssätze tiefer als in der heutigen Regelung. «Profitieren würden ältere Arbeitnehmende mit tiefen Löhnen. Sie müssten aber markant höhere PK-Abzüge in Kauf nehmen», erklärt er.
www.pkschreiner.chVeröffentlichung: 21. August 2024 / Ausgabe 33/2024
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