Der Schlüssel unter der Haut?
Schliesstechnik-Experten gehen davon aus, dass das Smartphone künftig eine noch wichtigere Rolle in der Zutrittskontrolle spielen wird. Bild: Dorma+Kaba
Schliesstechnik-Experten gehen davon aus, dass das Smartphone künftig eine noch wichtigere Rolle in der Zutrittskontrolle spielen wird. Bild: Dorma+Kaba
Zutrittskontrolle. Biometrie und NFC-Technologie sollen in Zukunft die bisher bekannten Schliesstechniken ablösen. Sie bergen aber noch gewisse Schwierigkeiten, und bereits die heutigen Lösungen bieten viele Möglichkeiten. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Smartphone.
In Schweden lassen sich Trendbewusste an «Beer and Chips»-Partys chippen, also Chips unter die Haut pflanzen, berichtete kürzlich die NZZ. Die Implantate sind mit Near Field Communication (NFC) ausgerüstet. Dieselbe Technologie wird auch bei Kunden-, Bank- oder Schlüsselkarten für den berührungslosen Datenaustausch genutzt. Irgendwann in Zukunft werden wir also vielleicht ganz ohne Karten, Ausweise und Schlüssel auskommen, weil alle Daten in einem Chip unter der Haut gespeichert sind.
Die Speicherkapazität dieser Implantate ist aber offenbar noch zu gering und die Antenne des Chips zu klein für einen zuverlässigen Einsatz. Dennoch zeigt diese Entwicklung, in welche Richtung es künftig bei der Zutrittskontrolle gehen könnte. Das Ziel bleibt allerdings immer noch das gleiche: Zutritte oder Zugriffe sollen organisiert und kontrolliert werden können. «Was eine moderne Zutrittskontrolle heute kann und zukünftig können wird, muss segmentiert nach Anwendungsbereich betrachtet werden», sagt Daniel Fischer, Leiter Neue Lösungen und Technologien von Dorma + Kaba Schweiz. Was für alle Segmente heute bereits wichtig sei und zukünftig immer mehr an Bedeutung gewinne, seien die Dienstleistungen und Services, welche die Produkte mit sich bringen. Dies ist für alle Segmente entscheidend, um auch in Zukunft erfolgreich moderne Produkte anbieten zu können. Dabei können die Segmente wie folgt aufgeteilt werden:
Der Privatbereich dürfte für die Schreiner am meisten von Bedeutung sein. Hier muss man zwischen Wohnungseigentümern und Mietern unterscheiden. Beide haben in der Regel die gleichen Ansprüche, jedoch nur der Eigenheimbesitzer kann mitbestimmen, welche Zutrittskontrolllösung eingesetzt wird. «Und er ist bereit, dafür Investitionen zu tätigen», fügt Daniel Fischer an. Hier stellen sich für die Beschaffung folgende Grundsatzfragen:
Moderne Zutrittssysteme für den privaten Bereich können heute die genannten Anforderungen bereits durchs Band erfüllen und werden dies dank neuer Technologien zukünftig noch besser können. Dies bestätigt auch Brigitte Betschart, Projektleiterin bei der Moser Sicherheit AG in Cham ZG: «Die heutigen Digitalzylinder funktionieren bereits sehr zuverlässig, und auch der Batteriewechsel gestaltet sich einfacher als früher.»
Entscheidend ist, die richtige Wahl zu treffen, um die heutigen Bedürfnisse und auch die in Zukunft auftretenden neuen Anforderungen ohne Investitionsverlust abdecken zu können. «Hier besteht die Schwierigkeit, den Überblick über die zahlreichen Technologien zu behalten», sagt Brigitte Betschart.
Ein Thema sind mit NFC-Technologie ausgerüstete Smartphones: Statt eines Badges dienen sie als Schlüssel. Und man kann zusammen mit einem App die Zutrittsregelungen verwalten, wie dies etwa mit dem «evolo smart» von Kaba möglich ist. Allerdings gibt es momentan noch relativ wenige NFC-fähige Smartphones, und bis jetzt nur solche mit Android-Betriebssystem.
Das Schutzbedürfnis lässt sich jedoch nicht alleine mit der Zutrittskontrolle lösen. Dafür ist auch eine entsprechende Türausrüstung entscheidend. Bei der Frage, ob die Tür zu Hause verschlossen ist, hängt die Antwort nicht von der Art der eingesetzten Zutrittskontrolle ab, sondern von den installierten Beschlägen. «Mit einer modernen Türausrüstung, die einen Türschliesser und ein selbstverriegelndes Schloss beinhal- tet, lautet die Frage nicht mehr, ob die Tür auch verschlossen ist, sondern ob man den Schlüssel dabei hat, wenn man abends nach Hause kommt», sagt Daniel Fischer.
Diese Frage erübrigt sich, wenn man beispielsweise mit einem Zahlencode oder einer biometrischen Identifikation eintreten kann. Sicherheitstechnisch ist ein Zahlencode aber sehr fraglich. Skimming – also das illegale Auslesen von Daten – lässt grüssen, und jeden Tag neue Codes vergeben, ist zu aufwendig. Die Annahme, biometrische Systeme seien die sichere Lösung für dieses Problem, ist allerdings falsch. «Aktuelle Vorfälle bestätigen, dass auch biometrische Anlagen überlistet werden können», gibt Daniel Fischer zu bedenken.
Der Überlegungsfehler dabei ist, dass gemäss Fischer ein einziger Prüffaktor keine echte Sicherheit biete: «Als sicher gilt erst die Kombination von mehreren Prüffaktoren wie Schlüssel, Ausweis, Biometrie, Bilderkennung oder Zahlencode.» Somit lässt sich sagen, dass auch in Zukunft unabhängig von Technologien und Weiterentwicklungen die Anzahl Prüffaktoren darüber entscheidet, welcher Sicherheitslevel erreicht werden kann. Dabei gilt es, die richtige Balance zwischen Sicherheit und Komfort zu finden. Hinzu kommt: Ein zweiter Prüffaktor neben einem Schlüssel oder einer RFID-Karte schützt auch beim Verlust des Mediums.
Das ist ein Aspekt, der von Biometriekritikern oft ins Feld geführt wird: Die persönlichen biometrischen Daten wie Finger- und Handabdrücke, Gesicht, Iris oder Venenbilder können nicht einfach so geändert werden. Das wird dann zu einem Problem, wenn unberechtigte Personen in Besitz dieser Daten kommen und es keinen weiteren Prüffaktor gibt, den man ändern kann.
Als anderes Beispiel dazu nennt Daniel Fischer die aktuelle Diskussion in der Sicherheitsbranche bezüglich des Kopierens von rein mechanischen Schlüsseln mit 3D-Druckern. «Seit Jahren werden Schlüssel mit einem zusätzlichen Prüffaktor in Form eines RFID-Chips ausgerüstet. Dadurch werden solche Diskussionen hinfällig.»
Moderne Systeme unterscheiden sich nebst dem höheren Sicherheitsstandard vor allem beim Komfort der Administration. Wie einfach die protokollierten Zutritte ausgelesen werden können, kann entscheidend sein, um festzustellen, ob zum Beispiel die externe Raumpflege die Arbeitsstunden richtig rapportierte. Mit einem modernen System kann man via Smartphone überprüfen, ob die Tür zu Hause verschlossen ist. Oder man kann seinem Kind, das vor der Tür steht und den Schlüssel verloren hat, über eine Smartphone-App Zutritt zum Haus oder Zugriff auf die versteckte Ersatzschlüsselbox gewähren. Dabei steht auch die Option offen, das alles über einen Dienstleister zu erledigen, der eventuell bei einer unberechtigten Türöffnung auch automatisch alarmiert wird und eine Kontrolle vornimmt. Alle diese Anforderungen und Funktionalitäten erfüllen bereits heute am Markt verfügbare Systeme.
Neue Technologien helfen, diese Systeme einfacher, günstiger und effizienter zu machen. «Der traditionelle Schlüssel für das Eigenheim wird bestimmt nicht in absehbarer Zeit vom Markt verschwinden und noch lange existieren», sagt Daniel Fischer.
Neue Technologien werden ihn aber punktuell ergänzen und teilweise ersetzen. Experten orten hier das grösste Potenzial im Smartphone – heute mit der NFC-Technologie und morgen mit Bluetooth. «Wir sind zurzeit daran, verschiedene Lösungen mit Bluetooth zu testen», bestätigt auch Brigitte Betschart.
Setzt sich das bargeldlose Bezahlen mit dem Smartphone in Zukunft durch, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis im Privatbereich auch Türen mit der entsprechenden Technologie geöffnet werden – und in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht sogar mit einem Chip unter der Haut.
www.dormakaba.comwww.moser-sicherheit.chVeröffentlichung: 06. Oktober 2016 / Ausgabe 40/2016
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