Von den Produkten hin zu den Prozessen

Schreiner/innen werden weiterhin generalistisch ausgebildet. Sie eignen sich künftig aber in einem der drei Schwerpunkte Produktion, Montage oder Planung vertiefte Kompetenzen an. Bild: VSSM

Revision Grundbildung.  Die Umfrage zeigt es: Die Schreinerbranche ist mit dem Wechsel von den Fachrichtungen zu prozessbezogenen Schwerpunkten in der Berufslehre einverstanden. Dennoch werden Schreiner/innen auch künftig grundsätzlich generalistisch ausgebildet.

Mitte Juni haben die Berufsverbände VSSM und Frecem den Schlussbericht zur Umfrage «Revision Grundbildung» veröffentlicht, die sie im März 2024 in der Schreinerbranche durchgeführt haben. Die Revision der Grundbildung beschäftigt die ganze Schreinerbranche, und der Schlussbericht zeigt, dass schon jetzt mit vielen Emotionen darüber diskutiert wird.Die Befragung wäre im Standardprozess zwar nicht gefordert gewesen, das Projektteam hatte sich aber dafür entschieden, eine solche freiwillig durchzuführen. Für die Vertreter der Projektleitung war die Umfrage wichtig, um entscheiden zu können, ob die Marschrichtung weiterverfolgt werden kann oder ob die Branche diese allenfalls gar nicht mitträgt. Im Besonderen geht es dabei um den Wechsel von den derzeit produktorientierten Fachrichtungen (Möbel/Innenausbau, Bau/Fenster, Skibau, Wagner) zu den künftig prozessorientierten Schwerpunkten (Produktion, Montage, Planung).

Grundsätzlich ja, aber ...

Der Schlussbericht zeigt, dass die Branche die eingeschlagene Richtung breit unterstützt. Es sind aber auch gewisse Ängste und Befürchtungen aufgetaucht, die es ernst zu nehmen gilt und denen nun besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. So heben die Verfasser des Berichts hervor, dass in der Branche die Befürchtung besteht, dass wegen der neuen Schwerpunkte Spezialisten ausgebildet werden sollen. Die Umfrageergebnisse zeigen nun aber deutlich, dass die Schreinerbranche eine generalistische Grundausbildung fordert. Gemäss den Verfassern des Schlussberichts wird mit diesem Wunsch bestätigt, was auch seitens des Projektteams angedacht war.

Wandel auch in der Westschweiz

Interessant und doch eher unerwartet ist, dass die Romandie der Zusammenlegung ihrer beiden Berufstitel Menuisier (Bauschreiner) und Ébéniste (Möbelschreiner) mehrheitlich zugestimmt hat. Das zeigt aber umso mehr, wie die Schreinerbranche im Wandel ist und Traditionen teilweise nicht mehr der Realität entsprechen. «Auch in der Westschweiz gibt es nicht mehr so viele Betriebe, die nur noch im einen oder dem anderen der beiden Fachbereiche unterwegs sind», sagt Michaël Martins, Leiter Berufsbildung bei Frecem. Die Umfrageergebnisse zeigen erfreulicherweise, dass die Unterschiede zwischen den Regionen (VSSM/Frecem) aber auch zwischen Kantonen nicht so gross sind wie erwartet und alle Fragestellungen ähnlich beantwortet wurden, egal aus welchem Kanton die Teilnehmenden kamen oder in welcher Betriebsgrösse sie arbeiten. «Für das Projektteam ist es grossartig, wie die Branche Einigkeit zeigt. Das macht das Arbeiten einfacher», sagt Melanie Burri, Projektleiterin Grundbildung VSSM und Leiterin des Projekts Revision Grundbildung Schreiner.Der Schlussbericht geht auch auf diverse Befürchtungen und Fragen ein, die von der Branche an das Projektteam herangetragen wurden, etwa ob die erforderliche Ausbildungsqualität auch sichergestellt werden kann, ob alle Lehrbetriebe weiterhin ausbilden können oder ob der Aufwand für die überbetrieblichen Kurse (üK) steigen wird.Im folgenden Interview geben Heinrich Hochuli, Mitglied des Zentralvorstands des VSSM, und Rolf Kümin, Mitglied der Geschäftsleitung des VSSM-Zentralverbands und Bereichsleiter Bildung, Auskunft über den Stand des Projekts, die noch offenen Fragen und die weiteren Schritte der Bildungsreform.

 

Schreinerzeitung: Aktuell ist die Zufriedenheit mit den Ausgebildeten und mit der Ausbildungsstruktur der Grundbildung ziemlich hoch. Weshalb wird denn überhaupt eine Totalrevision durchgeführt?

Heinrich Hochuli: Es ist richtig, aktuell haben wir wenig Handlungsbedarf. Aber hier muss man sehen, wie der Zeithorizont ist. Die ersten Lernenden werden erst im Jahr 2028 mit der neuen Lehre starten können. Der Entscheid, ob die EBA gleichzeitig startet oder erst zwei Jahre später, steht noch aus. Das bedeutet, die ersten, die nach der revidierten Ausbildung auf den Markt kommen werden, können frühestens 2032 eingestellt werden. Idealerweise gilt diese Struktur 7 bis 12 Jahre, damit sollen bis sicher 2040 die neuen Schreinerinnen und Schreiner auf dem Markt bestehen können. Somit definieren wir heute mit der Revision die Rahmenbedingungen und Kompetenzen, die wir in zirka 15 Jahren effektiv benötigen werden.

Teilweise kam Kritik auf, dass regionale Verbandsmitglieder zu wenig in die Revision integriert werden. Wie beurteilen Sie diesen Punkt?

Hochuli: Wir setzen alles daran, dass in den Arbeitsgruppen, welche die Themen der Revision erarbeiten, alle Regionen, aber auch die verschiedenen Fachrichtungen, Spezialisierungen und Betriebsgrössen vertreten sind. Wir schauen darauf, dass nicht nur Bildungsleute mitarbeiten, sondern dass ganz gezielt auch Unternehmer und Berufsbildner einbezogen werden. Doch wir können in den Arbeitsgruppen nicht effizient sein, wenn die Gruppen zu gross sind. Da die Revision ein nationales Projekt von Frecem und dem VSSM ist, stammen bereits 30 bis 40 Prozent der Mitglieder in den Arbeitsgruppen aus dem Verbandsgebiet von Frecem. Das heisst, dass letztlich nicht alle in allen Arbeitsgruppen vertreten sein können. Das Projektteam schaut jedoch gezielt darauf, dass alle Regionen und Sektionen in den Entwicklungsprozess integriert werden.

Wie beurteilen Sie die Teilnahme an der Umfrage?

Rolf Kümin: 1700 Antworten bei rund 6500 aufgeforderten Betrieben und Direktkontakten entsprechen einer Teilnahmequote von rund 27 Prozent. Eine höhere Beteiligung wäre natürlich wünschenswert gewesen, aber der Wert ist im gleichen Rahmen wie bei früheren Befragungen und ist doch als eher hoch einzustufen. Die Rückmeldungen entsprachen auch der demografischen Verteilung der aktuellen Situation. Die Resultate dürfen daher als signifikant und repräsentativ angeschaut werden.

Für die Revision der Berufsbildung arbeiten die beiden Verbände VSSM und Frecem zusammen. Wie funktioniert das konkret im Projekt?

Kümin: Es ist erstaunlich, wie einig wir uns in den meisten Fällen sind. Mit dem Entscheid, dass die Westschweiz den Bau- und Möbelschreiner zu einem Titel zusammenführen möchte und dieser vom Verbandsgebiet von Frecem getragen wird, kann der gemeinsame Weg weiterverfolgt werden. In der Vergangenheit war die Zusammenarbeit nicht immer einfach. Aktuell ist sie aber sehr gut, konstruktiv und effizient, auch wenn wir nicht überall gleicher Meinung sind.

Hochuli: Die Revision ist ein nationales Projekt, und es ist schön, zu sehen, dass wir von Genf bis zum Bodensee eine Einigkeit in der Sache haben, und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam die Revision erfolgreich umsetzen können.

Dennoch gibt es nicht nur Einigkeit. Der Schlussbericht nennt aus der Branche und aus allen Sprachregionen explizit die Befürchtung, wonach man mit den Schwerpunkten Spezialisten ausbilden wolle, die so nicht gewünscht seien.

Kümin: Ja, das ist richtig. Und wir sind froh, dass diese Kontroverse entstanden ist. Dies ist ein zentraler Entscheid, den wir fällen müssen, bevor wir in die Ausarbeitung des Bildungsplans gehen. Das Projektteam wollte von Anfang an eine generalistische Ausbildung mit Schwerpunkten, und die Umfrage hat diese Stossrichtung nun bestätigt. Damit können wir weiterarbeiten. Es ist schwierig, nicht direkt an der Reform beteiligten Personen zu erklären, was mit den prozessorientierten Schwerpunkten gemeint ist. Mit dem neuen Ansatz wollen wir eigentlich umsetzen, was heute schon in den meisten Betrieben gelebt wird. Die Lernenden sind je nach Lehrbetrieb und Eigeninteresse in allen drei Schwerpunkten unterwegs, aber im einen stärker als in den anderen, und damit eignen sie sich da auch mehr Kompetenzen an. Bei der Ausrichtung auf die neuen Schwerpunkte wird genau diesem Umstand auch im Bildungsplan Rechnung getragen. Neben einer einheitlichen, generalistischen Ausbildung und Vermittlung der gemeinsamen Kompetenzen werden die Kompetenzen der jeweiligen Schwerpunkte in den Lernorten «üK» und «Betrieb» vermittelt. In der Berufsschule werden alle die gleiche Ausbildung über alle vier Lehrjahre besuchen.

Das heisst, dass Lehrbetriebe, die heute ausbilden, auch künftig weiterhin ausbilden können, ohne dass sie grössere Umstellungen vornehmen müssen?

Kümin: Ja. Jeder Lehrbetrieb, der heute ausbildet, kann auf jeden Fall den Schwerpunkt Produktion ausbilden, die meisten können aber alle drei ausbilden. Eine Befürchtung ist, dass vor allem der Schwerpunkt Planung nicht ausgebildet werden kann, weil viele Betriebe gar kein eigentliches Planungsbüro haben. Aber hier gilt es zu bedenken, dass wir in der Grundbildung sind. Projektleiter werden in der Weiter- bildung ausgebildet. Lernende, die den Schwerpunkt Planung abschliessen möchten, werden genauso in Produktion und Montage ausgebildet. Im letzten Lehrjahr arbeiten sie beispielsweise auch nicht ausschliesslich in der Planung, das würde für den generalistischen Teil der Ausbildung nicht reichen. Aber sie erhalten einige vertiefte, praktische Kompetenzen im Prozess Planung. Damit sind sie für eine Weiterentwicklung im Bereich Planung zwar leicht besser gewappnet und gezielter dort einsetzbar, aber sie können in jedem Bereich einer Schreinerei eingesetzt werden. Das Gleiche gilt analog auch für die anderen beiden Schwerpunkte.

Die üK-Zentren sind sehr gut ausgelastet. Wenn also am Lernort «üK» unterschiedliche Kurse für die Schwerpunkte durchgeführt werden müssen, sprengt das nicht deren Kapazität? Und ist das Mengengerüst für eine wirtschaftliche Durchführung überhaupt vorhanden?

Kümin: Wir haben aktuell zwischen 44 und 48 üK-Tage über einen Zeitraum von 3,5 Jahren verteilt. Die Kantone hätten gerne, dass die Verbände ihre Zahlen der üK-Tage senken, obwohl sie sich mehrheitlich nur mit bis zu 20 Prozent an den Kosten beteiligen, den Rest der Kosten übernehmen die Betriebe und der Verband. Wir streben an, dass wir bei der Anzahl üK-Tage im gleichen Rahmen bleiben können. Eine Erhöhung nur schon um zwei Tage führt gemäss den Erfahrungen von anderen Verbänden in Revisionsprozessen zu schwierigen Diskussionen und häufig zu Ablehnungen. Wir werden daher in der aktuellen Grössenordnung bleiben müssen und können für die Schwerpunkte nicht eine grosse Anzahl Tage bereitstellen, ausser wir nehmen sie nicht als Voraussetzung in den Bildungsplan, dann tragen wir aber auch 100 Prozent der Kosten.Die Branche hat in der Umfrage rückgemeldet, dass die Schwerpunkte bis rund 20 Prozent ausmachen können oder sollen. Bei der Erstellung des Bildungsplans gilt es, zu definieren, wie viel und was genau in diese üK-Tage eingebaut werden soll. Es kann allenfalls sein, dass nicht jedes üK-Zentrum für alles die nötige Infrastruktur und Kapazität hat. Sollte das der Fall sein, muss das im Rahmen des Revisionsprojekts genau angeschaut werden. Mögliche Lösungen müssen mit den Sektionen abgesprochen werden.

Im Bericht wird erwähnt, dass eine besondere Lösung für die Traditionsberufe Wagner und Skibauer angestrebt wird. Was heisst das konkret?

Kümin: Dem VSSM und Frecem ist es ein Anliegen, dass wir nicht nur eine Ausbildung auf die Beine stellen, die den Lernenden nach dem Abschluss eine hohe Arbeitsmarktfähigkeit bietet, sondern auch, dass wir unsere Traditionen pflegen und aufrechterhalten können, wo sinnvoll und wichtig. Dazu gehören auch die beiden Berufe Wagner und Skibauer. Mit der neuen Ausrichtung können wir diese Ausbildungen mit Zusatzmodulen zur Schreinerausbildung sicherstellen und dafür auch vom Verband eine Berufsauszeichnung ausstellen. Diese Lösung wurde mit der Fachgruppe Wagnerei und Skibau besprochen, und sie wird von beiden Berufsvertretern unterstützt. Damit wird es in Zukunft weiterhin Skibauer und Wagner geben, die aber auch gleichzeitig als Schreiner arbeiten werden können.

Wo stehen wir heute mit der Revision, und wie geht es weiter?

Hochuli: Wir haben mit der Fünf-Jahres-Überprüfung 2022 den Startschuss für die Revision gegeben, und die ersten Lernenden werden 2028 mit den revidierten Berufslehren starten. Wir haben also derzeit etwa einen Drittel des Wegs zurückgelegt. Schaut man aber nur auf den Teil, den es für die Entwicklung der neuen Ausbildungen benötigt, dann haben wir etwa die Hälfte erreicht. Ich bin erfreut und sehr dankbar dafür, mit wie viel Herzblut sich viele nebst ihren beruflichen und privaten Pflichten in die Entwicklung des Schreinerberufs einbringen.

Kümin: Ja, wir sind dankbar, dass wir so viele Personen aus der Branche haben, die nicht nur interessiert sind, die Zukunft des Schreinerberufs mitzugestalten, sondern auch tatkräftig ihren Beitrag dazu leisten. Das ist nicht selbstverständlich und gibt uns Zuversicht, dass wir die nächsten Schritte mit der Entwicklung der Bildungsinhalte und des künftigen Qualifikationsverfahrens und dann auch der Umsetzung in der Branche erfolgreich, termin- und bedürfnisgerecht umsetzen können.

SZ

www.vssm.ch

Veröffentlichung: 18. Juli 2024 / Ausgabe 29-30/2024

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