Trends sind Spiegel unserer Bedürfnisse

Bei Branca Good (44) dreht sich alles um harmonisches Gestalten. Für die Arbeit im Auftrag ihrer Kunden hat sie eine Materialothek aufgebaut und veranstaltet Seminare. Bild: Christian Härtel

Gestaltung.  Die Interior-Designerin Branca Good gibt im Gespräch Auskunft über Wege hin zu schöner und harmonischer Gestaltung von Räumen. Sie erklärt das Entstehen von Trends und rät dringend dazu, sich mit Räumen und dem Verständnis davon zu befassen.

Schreinerzeitung: Farben spielen eine wichtige Rolle bei Ihrer Arbeit. Haben Sie eine persönliche Lieblingsfarbe?
Branca Good: Nein, für eine Lieblingsfarbe bin ich zu vielseitig, und meine Persönlichkeit ist zu vielschichtig.
 
Was sind wichtige Aspekte hin zum guten Raum?
Als Gestalterin und Raumflüsterin möchte ich das Potenzial eines Raumes ausschöpfen, indem ich ihm das gebe, was fehlt, und das wegnehme, was zu viel ist.
Oft laufen die Wünsche der Bauherrschaft mit den Bedürfnissen des Raumes auseinander. Das dann zusammenzuführen, ist die Kunst in meinem Fach.
 
Und Farbe ist dabei ein Werkzeug?
Ja, eines der wichtigsten überhaupt. Man könnte auch sagen, die Wandfarbe ist der Zauberstab des Interior-Designers. Nichts prägt den Raum so wie die Wandfarbe als Fläche, die sich direkt im Blickfeld befindet.
 
Gibt es Farben, die in Räumen nicht funktionieren?
Es gibt eigentlich keine Farbe, die man ausschliessen kann. Es kommt darauf an, was der Raum braucht und wofür der Raum genutzt wird. Im Idealfall unterstützt die Wandfarbe die Tätigkeiten der Menschen im Raum: etwa zur Ruhe kommen und sich entspannen oder arbeiten und wach bleiben, ohne nervös zu werden.
 
Und die Farbe des Jahres?
Ich halte nichts von einer Farbe des Jahres. Das ist Marketing und hat nichts mit der Realität zu tun.
 
Dennoch gibt es verschiedene Trends. Wie entstehen Trends eigentlich?
Trends sind Ausdrucksform der Bedürfnisse einer Gesellschaft. Sie entstehen aus dem Zeitgeist heraus. Aber sie haben sich verändert. Früher waren sie linear. Das ist heute nicht mehr so. Gibt es einen Trend, gibt es unmittelbar auch einen Gegentrend, der koexistiert. Beide sind so präsent, dass es dann oft schwierig ist, zu sagen, welches der Haupttrend ist und welches der Gegentrend. In der Mode ist es derzeit sehr gut sichtbar. Hauteng und oversized existieren nebeneinander und daneben vieles mehr. Gegensätze entsprechen dem Zeitgeist.
 
Wie verhält es sich bei den Formen?
Auch hier kommen Trends aus der Mitte der Gesellschaft. Wenn das Leben härter, komplexer, unsicherer wird und die Welt gefühlt am Abgrund steht, möchte ich zu Hause nicht auch noch anecken. Dann werden Formen rund, alles ist abgerundet und weich.
 
Braucht es für einen Trend nicht auch Akteure, die vorangehen, indem sie gesellschaftliche Bedürfnisse erkennen und bedienen?
Die gibt es natürlich, auch bei den Herstellern von Möbeln. Manche erkennen Bedürfnisse schneller als andere und bedienen diese dann. Trotzdem entwickeln sich Trends auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Auch wenn es so scheint, als ob ein Akteur den Zeitgeist prägt, hat er vor allem den Zeitgeist erkannt.
 
Warum bleibt mancher Trend so lange erhalten, wie etwa derzeit die Eiche?
Weil das Bedürfnis, welche durch diesen Trend gestillt wird, bestehen bleibt.
Der Eichenboden bringt Wärme, Gemütlichkeit und Natürlichkeit ins Haus. Er gibt aber auch Stabilität. Im Vergleich zu einem Boden in Nussbaum ist er einfacher zu kombinieren und in unterschiedliche Stilrichtungen integrierbar sowie weniger kostspielig.
 
Können Sie mir erklären, warum gefühlt jede dritte Wohnung mit Panoramablick auf den Zürichsee einen Eames Lounge Chair von Vitra hat?
Weil bei solchen Beispielen der Architekt die Einrichtung dann noch mitliefert. Architekten beschäftigten sich meist nicht vertieft mit Interior Design, sondern machen leider zu oft Copy-paste. Mit Innenraumgestaltung hat das freilich nichts zu tun.
 
Einfache Antworten gibt es bei Entweder-oder-Fragen. Hier kommen ein paar mit der Bitte, um möglichst spontane Antwort. Sind Sie bereit?
Ja.
 
Lieber das Meer oder die Berge?
Das Meer.
 
Glatte Oberflächen oder Struktur?
Struktur.
 
Holz oder Metall?
Holz.
 
Mit dem Trend oder gegen den Trend?
Weder noch. Gegen den Trend existiert kaum noch.
 
Organisch oder geometrisch?
Sowohl als auch.
 
Paolo Conte oder Eros Ramazzotti?
Eros Ramazzotti.
 
Besser ein kleines oder ein grosses Badezimmer gestalten?
Beides gut.
So manche meinen, es sei schwieriger, wenn man viel Platz im Badezimmer hat.
Das Badezimmer ist schon vor vielen Jahren zum neuen Wohnzimmer geworden. Dieser Zuwachs an Bedeutung hat auch zu einer Vergrösserung der Fläche geführt. Dadurch muss man mit dem Raum anders umgehen, als wenn Platznot herrscht. Es sind unterschiedliche Rahmenbedingungen und Herangehensweisen. Das hat aber nichts mit schwieriger oder weniger schwierig zu tun. Schön gestalten kann man das kleine und das grosse Bad. Letzteres eher ruhiger, ein kleineres Bad vielleicht überraschend, aber mit weniger Materialien. Man muss immer vom Raum ausgehen, sprich die Bedürfnisse des Raumes erkennen und diese mit denen der Bauherrschaft in Einklang bringen.
Schreiner finden öfter teils materialisierte Räume vor. Etwa den Plattenboden in der Küche.
 
Wie kann die Lösung dann aussehen?
Zunächst darf man die Realität nicht ignorieren. Leider geschieht das oft. Wenn etwa der Plattenboden gegeben ist, muss man damit arbeiten. Man muss ihn dann ins Materialkonzept der Küche integrieren. Das braucht die Fähigkeit, den Raum lesen zu können.
Eine wunderschöne Küche in einem Raum, in den sie einfach nicht passt, verfehlt das Ziel. Sie erzeugt dann Ungemütlichkeit, weil Raum oder Boden und Küche nicht zusammenpassen. Alle Materialien müssen eine einheitliche Sprache sprechen und zusammen ein Team bilden.
 
Oder man macht die Küche im Zweifel einfach weiss?
Oh nein, dann macht man höchstwahrscheinlich alles falsch. Zu sagen, «90 Prozent aller Küchen, die man verkauft, sind weiss, daher kann das nicht falsch sein», ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, aber sicher keine Beratung. Man muss dem Kunden erklären, was eine weisse Küche in einem weissen Raum für Auswirkungen hat und was es bedeutet, eine schwarze Küche zu realisieren.
 
Sie haben offensichtlich etwas gegen weisse Küchen. Warum?
In den 80er-Jahren ist die Wohnküche entstanden. Küche, Esszimmer und Wohnzimmer sind zu einem einzigen Raum zusammengewachsen. In den 90er-Jahren ist dann die Küche weiss geworden, zuerst Hochglanz, dann matt. Und das ist sie bis Anfang unserer Dekade geblieben, also 30 Jahre lang. Das Spezielle daran: Kaum steht die Küche im Wohnraum, wird sie so materialisiert, dass sie gar nicht zum Ess- und Wohnbereich passt! Diese sind nämlich sehr gemütlich in sanften, weichen, erdigen Farbtönen gestaltet, die uns ein Gefühl von Geborgenheit und Ruhe vermitteln. Und mitten in dieser Wohlfühloase steht eine weisse, harte, kalte und nach Aufmerksamkeit schreiende Küche, die gestalterisch total im Widerspruch steht zum Wohn- und Esszimmer. Erst seit relativ kurzer Zeit werden Küchen farbig oder werden in Naturtönen und -materialien, passend zum Rest des Raumes, gestaltet. Und genau jetzt, wo die Küchengestaltung aufgeholt hat, entwickelt sich der Raum Küche weiter und wird oft aus Platzmangel wieder aus dem Wohnraum ausquartiert. Damit laufen die Küchengestaltung und die Innenarchitektur weiterhin asynchron.
 
In Ihren Seminaren lernt man auch diese Dinge?
Man lernt, seine Kunden, die Räume und auch die Materialien zu verstehen. Zum Verstehen des Raumes gehört dann auch, dass man versteht, was etwa die vorhandenen Bodenplatten mit einem Raum machen.
Und zum Materialverständnis gehört auch, Kombinationen zu verstehen. Es ist nicht das Gleiche, ein Material vertikal oder horizontal vor sich zu haben.
Man lernt, Antworten zu finden zu: Wie spielen die Materialien zusammen, sodass am Ende eine harmonische Raumwirkung entsteht? Stimmen die Materialien auf den Raum und auf die Kundenbedürfnisse?
 
Und wie lernt man das?
Um einen Raum zu lesen, muss man einerseits wissen, worauf zu achten ist, und sich andererseits bewusst sein, wie die Farben, Oberflächen und Materialien auf den Menschen wirken.
Um die Materialien, Farben und Formen harmonisch zu kombinieren, habe ich ein einfaches Tool entwickelt – das Kontrast-und-Kontinuität-Prinzip für harmonische Gestaltung. Es ist eine einfache Anleitung, welche Ähnlichkeiten und welche Unterschiede die Materialien aufweisen müssen, um miteinander zu harmonieren.
 
Und wie lerne ich, den Kunden zu verstehen?
Man muss die richtigen Fragen stellen. Das ist enorm wichtig, denn oft sagen Kunden etwas und meinen aber etwas ganz anderes. Man findet mit wenigen Fragen heraus, was das Bedürfnis hinter dem Wunsch ist, und kann dann darauf eingehen.
Manche wollen ein rotes Sofa, weil sie einen warmen Farbklecks im Wohnzimmer möchten und sich dadurch Gemütlichkeit erhoffen. Als Laie denkt der Kunde, durch die warme Farbe Rot des Sofas wird der Raum ebenfalls warm. Dann kann man dem Kunden erklären, dass man sich mit einem roten Sofa meist ein schreiendes Sofa in den Raum holt. Das kann nicht gemütlich sein. Warm wird es dadurch nicht, vor allem, wenn die Wände weiss sind. Also braucht es einen anderen Vorschlag auf dem Weg zum gemütlichen Wohnzimmer.
 
Der Schreiner als Kommunikator?
Es sind im Grunde zwei neue Felder, in die die Schreinerin und der Schreiner eingeladen sind, einzutreten. Beide stellen für viele nicht gerade die Komfortzone dar: die Gestaltung und die Kommunikation. Aber beide Felder sind enorm wichtig. Ich bin überzeugt: Wer sie nicht bearbeitet, wird es künftig zunehmend schwer haben im täglichen Geschäft.
Zeit für ein zweites Experiment. Ich fange einen Satz an, und Sie vervollständigen ihn.
Okay.
 
Holz ist für mich ...
(überlegt lange)
Holz gibt Boden unter den Füssen.
 
Ich habe meinen Job gemacht ...
… wenn ich selber einziehen möchte.
 
Das Schwierigste am Gestalten ist ...
Dazu fällt mir nichts ein.
 
Ein Möbel zu entwerfen ...
… war schon immer mein Traum.
 
Das Prinzip des goldenen Schnittes in der Gestaltung ist ...
… eine Proportionsregel zur Schaffung von Harmonie, die ich im Gefühl habe.
 
Das aktuelle Möbeldesign finde ich ...
… im Einklang mit den Bedürfnissen der Gesellschaft. Wir haben jedoch ein extremes Überangebot.
 
Ihre Materialothek beherbergt über 20 000 Materialmuster. Wie wichtig ist das für Ihre Arbeit?
Die Materialothek ist unverzichtbar für meine Arbeit.
 
Wieso ist das so?
Um die Wirkung eines Materials zu erfassen, muss man das Material auch in echt vor sich haben. Dafür taugen keine Kataloge und keine Bildschirme. Ausserdem ist es wichtig, die Materialien so zu beurteilen, wie sie schlussendlich eingebaut werden. Also Fronten, Tapeten und Wandfarben in vertikaler Anordnung, horizontale Arbeitsplatten und entsprechend auf dem Boden liegende Bodenbeläge. Das ist wichtig.
 
Schreiner haben keine Materialothek. Stattdessen visualisieren sie. Reicht das aus?
Ergänzend zu den Visualisierungen haben viele Schreiner die wichtigsten Materialien oder Materialtypen in der Werkstatt griffbereit, um sie miteinander zu kombinieren und die realen Situationen greifbar zu machen.
Neben einer Auswahl an Fronten und Arbeitsplatten braucht es die beliebtesten Bodenbeläge der eigenen Kundschaft sowie ein Sortiment an Rückwänden. Mit einer solchen kleinen Auswahl kann man schon viel machen.

Zur Person

Sammeln und Lehren

Branca Good firmiert als Raumflüsterin. Dahinter steckt eine besondere Herangehensweise zur Gestaltung des Interieurs für «spürbar schöne Räume», wie Good es nennt. Wichtiges Werkzeug bilden dabei die über 20 000 Muster der eigenen Materialothek in Glattbrugg ZH, die, speziell auf den Interior-Design ausgerichtet, in dieser Form wohl einzigartig ist. Good hat nach Erfahrungen als Dozentin die Akademie für harmonische Gestaltung gegründet. In dieser unterrichtet sie die von ihr entwickelte Methode, das Kontrast-und-Kontinuität-Prinzip für harmonische Gestaltung.

www.goodinteriors.ch

Christian Härtel, CH

Veröffentlichung: 09. Mai 2024 / Ausgabe 19/2024

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