Der Funke muss überspringen

Kunstschreinerin Sonja Bantli in ihrem Revier, umgeben von antiken Möbeln. Den Sekretär hat sie als Werkstück für ihre Schülerinnen und Schüler erstanden. Bild: Manuela Ziegler

Kunsthandwerk.  Sonja Bantli ist Möbelschreinerin, Holzbildhauerin, Möbelrestauratorin und Handwerkerin in der Denkmalpflege. Der Antrieb für ihre vier Ausbildungen und ihre Tätigkeit als Referentin wurzelt in der Liebe zum Holz mit seinen vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten.

Unvollständig, grob gearbeitet und schief steht ein kürzlich angeliefertes Holzregal mit Schubladen inmitten der Werkstatt. «Das Stück sollte bei einer Hausräumung weggeworfen werden. Das lässt mich nicht kalt, ich habe grossen Respekt vor der Handarbeit», sagt Sonja Bantli. Die Kunstschreinerin zieht eine der Schubladen hervor und macht auf die verdeckte Zinkenverbindung aufmerksam. Dann fasst sie unter die Ablage, wo man die Spuren des Schropphobels noch ertasten kann. Ihre Mitarbeiterin restauriert das Stück nun für sich selbst und rettet es dadurch.

Verwurzelt mit dem Werkstoff

Ums Retten, Rekonstruieren und Restaurieren von Objekten aus Holz dreht sich bei der gebürtigen Bündnerin Sonja Bantli fast alles. Das Handwerk ist ihr gewissermassen in die Wiege gelegt, nicht die Eltern, aber Gross- und Urgrossvater waren hölzig unterwegs. Sie zeigt auf das Wagner-Diplom des Urgrossvaters, das im hinteren Teil ihrer Werkstatt in Merenschwand AG hängt. Im Werkunterricht war sie die Schnellste darin, ein Puppenbett zu zimmern. In der Nacht darauf träumte sie davon, Schreinerin zu werden. So folgte nach der Schule eine Ausbildung zur Möbelschreinerin.

Verständnis für Techniken

Von ihrem Lehrmeister lernte sie handwerkliche Techniken von der Pike auf. Doch Schadhaftes oder gar Fehlendes zu rekonstruieren, gefiel ihr am meisten. So ging sie nach der Lehre in Anstellung bei einem Antikschreiner, wo sie bald bemerkte, dass manche angewandten Techniken, wie etwa das Ablaugen, der historischen Substanz eines Objekts nicht zuträglich sind. Also entschied sie sich 30-jährig für eine dreijährige Ausbildung zur Holzbildhauerin in Brienz. Modellieren, Freihandzeichnen und Schnitzen sind Bestandteile der Lehre. Sie steigt auf einen Stuhl und holt ein Kapitell herunter. Der ursprüngliche Säulenabschluss aus Gips ist nur als Fragment erhalten. Auftrag war es, das Kapitell vollständig aus Holz zu schnitzen. Sie rekonstruierte es zweiteilig mit Zapfen, sodass es am oberen Säulenende zusammengesteckt werden kann. «Ich bin zwar keine brillante Schnitzerin oder gar Künstlerin, ich liebe es jedoch, Fehlerhaftes oder Verlorenes zu rekonstruieren.»

Endlich eine eigene Werkstatt

Handwerklich derart versiert, verschlug es die Holzbildhauerin dann vor rund 20 Jahren vom Bündnerland in den Aargau – der Liebe wegen. Sie wagte zeitgleich den Schritt in die Selbstständigkeit. In Merenschwand fand sie eine Werkstatt mit Lager und maschineller Ausstattung. Nebst viel Handwerkzeug sind das eine Tischkreissäge, eine grosse und eine kleine Bandsäge, eine Kantenschleifmaschine und eine Hobelmaschine. Im Lager stapeln sich inzwischen Möbel, hälftig sind es ihre eigenen, hälftig die von Kunden. «Jetzt ist Schluss mit Sammeln», erklärt sie lachend. Zu Beginn sah die Auftragslage dünner aus. «Da war ich auf Messen zum Schauschnitzen oder auf Gemeinschaftsausstellungen wie beim Schweizerischen Holzbildhauerverband, um meine Eigenentwürfe zu zeigen und so in der Region bekannt zu werden.»

Vor allem Schnitzarbeiten

In einem Ordner sammelt Bantli Fotos ihrer Arbeiten. Sie zeigt eine geschnitzte Rose aus Arvenholz, eine Schmuckschatulle mit Intarsien. Es sind Unikate. «Einen Plan wie bei Schreinern üblich, brauche ich dafür nicht. Ich trage die Idee meist einige Zeit mit mir herum, fertige eine kleine Skizze, die typischen Eigenschaften der Holzart beziehe ich in die Arbeit mit ein, die natürliche Schönheit des Holzes soll sichtbar werden.» Meist realisiert Bantli Kundenwünsche wie Geschenke für besondere Anläs- se oder Grabmale aus Holz mit Inschrift und Relief. Ihre stattliche Sammlung aus Meisseln hängt an der Wand. «Beim Kerbschnitzen muss man von links und rechts schräg gegen die Mitte abstechen, um einen Buchstaben aus dem Holz herauszuarbeiten», erklärt sie. Zum Schluss werde das hölzerne Grabmal mit atmungsaktivem Öl behandelt. Für das Motiv tauscht sie sich mit den Hinterbliebenen aus und gestaltet mit ihren Ideen ein Erinnerungsstück an die verstorbene Person. «Eine schöne Herausforderung», sagt sie.

Spannender Austausch der Gewerke

Ihr Hauptgeschäft bilden Privataufträge, die inzwischen über Mundpropaganda eintreffen. Alle ein bis zwei Jahre lädt Bantli zum Tag der offenen Werkstatt mit einem Restaurierungsevent. Mehr Werbung braucht es nicht. Vermutlich auch, weil sie ihr Arbeitsgebiet schrittweise erweitert hat. Parallel zur Selbstständigkeit wagte sie sich an den berufsbegleitenden Lehrgang zur Möbelrestauratorin/Konservatorin beim Verband Luzerner Schreiner mit Abschluss 2006. Diese Ausbildung wurde ihr 2016 für die Weiterbildung zur Handwerkerin in der Denkmalpflege, Fachrichtung Möbel und Innenausbau, angerechnet. Ab 2012 unterrichtete sie schon als Hauptreferentin in diesem, damals neuen Lehrgang. Sie war Lehrende und Lernende in einer Person. Die Zusammenarbeit mit Interessierten aus den Fachrichtungen Malerei, Holzbau, Gartenbau und weiteren Gewerken war für sie «mega spannend». «Auf den Baustellen sieht man, mit welchen Problemen andere Handwerker konfrontiert sind, und sucht gemeinsam nach Lösungen. Dadurch entwickelt sich ein Verständnis für andere professionelle Fertigkeiten.»

Das Credo: Substanzerhalt

Für die Wiederherstellung eines historischen Möbels oder Bauteils müsse man verschiedene Fertigkeiten und Denkweisen einbringen, so Bantli. Sie steht vor einem Sekretär von 1820, aufgekauft als Werkstück für ihre Schüler. Der Öffnungsmechanismus funktioniert nicht mehr, denn beim Ziehen an der Tischplatte müsste sich automatisch der zylindrische Deckel öffnen. Sie klopft mit dem Zeigefinger gegen den Deckel. Ein hoher Ton erklingt. Das Furnier ist genau an der Stelle lose, wo die Furnierblätter ein Kreuz bilden. Vermutlich sei es mit Knochen- oder Fischleim verklebt, derselbe Leim müsse wiederverwendet werden, andernfalls löse er sich wieder. Mit einem Lösemitteltest oder einer UV-Untersuchung könne man feststellen, ob es sich um einen modernen oder historischen Harzlack handelt. «Man nimmt ein Wattestäbchen und testet die Reaktion verschiedener Lösemittel», erklärt sie. Das Testergebnis bestimmt, wie der Schmutz entfernt wird und ob der Oberflächenüberzug regeneriert werden kann.

So original wie möglich

Regenerieren oder Ersetzen der Oberflächenbeschichtung ist eine stetige Frage bei Restaurierungen. Jahrelang hat ein anderer Sekretär unentdeckt auf einem Speicher gestanden. Mit seinen gedrechselten, schwarz lackierten Säulen und einer in Nussbaum furnierten Front unterscheidet er sich vom vorherigen Werkstück. Ein Stilmix herrschte damals in der Schweiz, wie die Möbelrestauratorin weiss. «Ziel ist es jedoch immer, mit der historischen Substanz zu arbeiten und sie dem Kunden auch verständlich aufzuzeigen», sagt Bantli. Sie weist auf die verschmutzte Oberfläche und schadhaftes Furnier hin. Um die einzelnen Arbeitsschritte zu erklären, fertigt sie auch schriftliche Dokumentationen an. Bei der furnierten Möbelfront möchte sie das originale Holzbild wieder sichtbar machen, das über die Klappe und alle vier Schubladen verläuft.

Und immer funktionierend

Und wieder geht es ums Funktionieren. «Wenn die Schublade nicht leicht läuft, ist die Restaurierung gescheitert. Ein Möbel muss Freude machen», ist die Fachfrau überzeugt. Sie zieht eine Schublade hervor und zeigt die tiefen Rillen in den Laufleisten. In diesem speziellen Fall arbeitet sie ausnahmsweise mit modernem Material wie Kitt, verblendet wird dann mit einem Furnier. «Das gibt im Unterricht immer Diskussionen, wie viel Kompromisse man bei der Materialwahl eingehen darf. Ein wichtiger Entscheidungsprozess», erklärt die Referentin. Dann zieht sie eine Schublade heraus, fasst hinein, drückt einen fühlbaren Zapfen nach rechts, ein Geheimfach links davon springt auf. Entdeckt hat sie den Zapfen nur wegen der kleinen Aussparung an der hinteren Schmalseite der Schublade. Manchmal brauche das Restaurieren auch detektivischen Spürsinn, meint sie mit einem Lachen.

Immer das Beste geben

«Im Holzhandwerk ist auch die Erkenntnis entscheidend, dass man als Frau in einem Männerberuf immer mehr geben muss und dauernd unter Beweispflicht steht», sagt Bantli. Ihre Arbeit setzt sich momentan aus verschiedenen Standbeinen zusammen. Restaurieren bildet den Schwerpunkt, sie bezeichnet es inzwischen auch als Kunsthandwerk. Eine Mitarbeiterin mit kleinem Teilzeitpensum steht ihr dabei zur Seite. Schnitzaufträge machen knapp ein Viertel ihres Arbeitsvolumens aus, gefolgt von sehr wenig Eigenkreationen. Etwa zehn Prozent nimmt die Lehrtätigkeit ein. Die Handwerkerin reizt nun noch ein Studium der Kunstgeschichte, wenn es Zeit und finanzielle Mittel erlauben.

Doch es läuft auch ohne rund. «Alles, was ich beruflich gemacht habe, hatte immer mit Holz zu tun, und dadurch verstehe ich, wie Holz arbeitet, wann ich Material dazu- oder wegnehmen muss. Es macht mir riesig Freude, wenn ich erlebe, wie Hand und Kopf zusammenarbeiten, eins ins andere fliesst. Dieser Funke muss zu meinen Kunden überspringen.»

www.sonjas-kunst.ch

Manuela Ziegler

Veröffentlichung: 27. Februar 2025 / Ausgabe 9/2025

Artikel zum Thema

27. Februar 2025

Spannungsfeld Niederspannung

Holzleuchten.  In seinem Berufsalltag hat der Schreiner immer öfter mit Beleuchtungslösungen in Möbelkonstruktionen zu tun. Damit auch Leuchten und Lichtobjekte aus Schreinerhand entstehen können, gilt es, einige Normen und Verordnungen zu beachten.

mehr
03. Oktober 2024

Überraschend bequem

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Design