Stoffe, die das Leben prägen

Kunststoffen begegnen Schreiner im Alltag immer wieder, wie hier zum Beispiel in Form von Verpackungen oder Einsätzen. Bild: Michi Läuchli

Kunststoffe.  Schreiner kommen bei ihrer Arbeit täglich mit Kunststoffen in Kontakt – nicht zwingend nur als Baumaterial. Die Welt des künstlichen Materials ist faszinierend, wie ein Besuch beim Kunststoff Ausbildungs- und Technologie-Zentrum (Katz) zeigt.

Plastik: Aus der Welt, wie man sie heute kennt, ist das omnipräsente Material nicht mehr wegzudenken. Kunststoffe haben die Welt nicht nur erobert, sie haben sie auch verändert. Dies zum Teil mit gravierenden Folgen, sodass Plastikmüll und Mikroplastik mittlerweile in den entlegensten Regionen der Welt zu finden sind. Wissenschaftler aus aller Welt forschen hier permanent an neuen Kunststoffen und biobasierten Materialien, um dem exorbitanten Plastikmüll entgegenzuwirken. Ebenso omnipräsent und wichtig ist das Thema des Kunststoff-Recyclings. Daraus entstehen teils neue Produkte, die auch für Schreiner interessant sind (siehe Box, Seite 16).

Zur Massenware entwickelt

Kunststoff als künstlich hergestelltes Material ist günstig, leicht, universell verwendbar und heute in den meisten Alltagsgegenständen, Verpackungen, Textilien und Gehäusen zu finden. Entstanden sind die ersten Kunststoffe Mitte des 19. Jahrhunderts. Einige Jahre später entwickelte der deutsche Chemiker Fritz Klatte ein Verfahren zur Herstellung von Polyvinylchlorid (PVC), das etwas später – bedingt durch die günstige Herstellungsart – zu einer massenhaften Verbreitung führte. Heute wird PVC vor allem im Bausektor für Rohre, Abdichtungen, Fussböden oder die Isolation von Elektrokabeln verwendet.

Neben PVC setzte sich Polyethylen (PE) durch, das zur Herstellung von Getränkeflaschen, Lebensmittelbehältern und Einkaufstüten dient. Aus dem Alltag ebenfalls nicht mehr wegzudenken ist der Kunststoff Polypropylen (PP), aus dem beispielsweise Gehäuse für Elektrogeräte, Formteile für Haushaltsgeräte, Folien oder Verpackungen gemacht werden. Heute zählen PE, PP und PVC zu den weltweit am häufigsten eingesetzten Kunststoffen.

Kunststoffe in der Schreinerei

Neben diesen drei üblichen Kunststoffen gibt es weitere, die Schreinern gelegentlich in die Hände geraten. Am geläufigsten ist sicherlich Polymethylmethacrylat (PMMA), besser bekannt unter dem Namen «Plexiglas». Es wurde vom Chemiker Otto Röhm erfunden und 1933 als Marke eingetragen. Bei der Bezeichnung handelt es sich jedoch um einen Markennamen, so heisst es korrekterweise Acrylglas. Es wird gerne als Glasersatz, für Spuckschutzwände oder Werbeschilder verwendet, dabei ist es relativ unempfindlich gegenüber Kratzern und UV-Licht. Ähnlich wie als Acrylglas, jedoch schlagresistenter und kaum zu brechen, ist Polycarbonat (PC). Deshalb kommt es bei Schutzbrillen, Helmvisieren, Formteilen und Gehäusen für die Elektrotechnik zum Einsatz. Dank der Kombination aus hoher Transparenz und der sehr hohen Schlagfestigkeit kann es der Schreiner beispielsweise als Glasersatz bei Trennwänden verwenden. Auf Lösungsmittel und Kratzer reagiert es jedoch sehr empfindlich. Mit Dibond gibt es ein weiteres Material, dass ab und zu im Schreineralltag auftaucht. Das steife Verbundmaterial besteht dabei aus zwei 0,3 mm dicken Aluminiumschichten, dazwischen befindet sich ein Polyethylenkern. Aufgrund des geringen Gewichts bei gleichzeitiger Steifigkeit wird das Material oft für Baustellentafeln oder grossformatige Fotodrucke benützt. Für manche Schreiner mag der Umgang mit Kunststoffen zwar ungewohnt sein, mit dem nötigen Fingerspitzengefühl, scharfem und geeignetem Werkzeug sowie dem nötigen Wissen lassen aber auch sie sich in der Schreinerei verarbeiten. Sich hier die Hilfe eines Kunststoffspezialisten zu holen, kann durchaus Sinn machen.

Wissen, wie es geht

Mit der Handhabung von Kunststoffen und ihren Eigenschaften ist man im Katz bestens vertraut. Das Kunststoff Ausbildungs- und Technologie-Zentrum in Aarau forscht, entwickelt und prüft Bauteile aus unterschiedlichsten Kunststoffen. Ausserdem bietet es neustes und praxisorientiertes Fachwissen an Mitarbeitende und Lernende im Bereich Aus- und Weiterbildung an. Die Schreinerzeitung bekam einen Tag lang einen groben Eindruck von den verschiedenen Herstellungsverfahren von Kunststoffprodukten und konnte gleichzeitig den 1.-Lehrjahr-Lernenden der Kunststofftechnologen während ihres ersten überbetrieblichen Kurses (üK) über die Schulter schauen. Der dreitägige Kurs sollte den Lernenden eine Einführung in die Welt des Kunststoffberufs ermöglichen und ihnen einen Einblick in die wichtigsten Verfahren der Kunststoffindustrie geben. Beim ersten Kurstag ging es um die Grundlagen des Apparatebaus, dieser wird unter anderem bei der Konstruktion und Fertigung von speziellen technischen Apparaten, Behältern, Rohrleitungen oder Abdeckungen angewendet. Nach einer kurzen Einführung durch Robert Bozoki, Kunststofftechniker und Kursleiter am Katz, erklärte Martin Wüthrich, Kunststofftechnologe EFZ, Fachrichtung Apparatebau, die Grundlagen des Apparatebaus. Als geeignete Werkstoffe werden hier PE, PP und PVC verwendet, weil sie nicht nur günstig sind, sondern auch eine gute Chemikalienbeständigkeit aufweisen. Um ein Gehäuse herzustellen, muss dieses zusammengeschweisst werden. Kunststoffschweissen ist also das Vereinigen von thermoplastischen Kunststoffen unter Anwendung von Wärme und Kraft respektive Druck. «Thermoplaste bestehen aus Kohlen-WasserstoffKetten, die durch schwache physikalische Bindungen miteinander verbunden sind; daher lassen auch nur sie sich in einem bestimmten Temperaturbereich aufschmelzen und verformen», erklärt Wüthrich. Ganz im Gegenteil zu den Duroplasten und Elastomeren, die chemisch vernetzt sind und sich nach der Vernetzung weder aufschmelzen noch schweissen, lediglich noch mechanisch bearbeiten lassen. Duroplaste werden vom Schreiner beispielsweise in Form von Kunstharzplatten (HPL) oder Polyurethan mit Harz und Härter eingesetzt. Reifen, Dichtungsringe oder Gummibänder sind typische Produkte aus Elastomeren.

Unterschiedliche Produktionsverfahren

Im Anschluss führte Martin Wüthrich die Lernenden durch den Maschinenpark, wo sie einen kurzen Überblick zu den unterschiedlichen Herstellungsverfahren von Kunststoffteilen bekamen. Unter anderem befindet sich dort eine Anlage, die Teile mittels Vakuumverformung, auch als Tiefziehen bekannt, herstellt. Typische Produkte sind Blister-Verpackungen oder Becher. Dabei wird eine Folie oder Platte aus Thermoplast in einen Rahmen eingespannt, unter Zuführung von heisser Luft mittels Infrarot-Strahler und Unterdruck in die dafür vorgesehene Form gepresst. «Da die Moleküle hierbei in Längsrichtung verzogen werden, würden sie bei einer Wiedererwärmung aufgrund ihres Rückerinnerungsvermögens in den Ursprungszustand kehren», erklärt Wüthrich. An der Anlage zum Spritzgiessen konnte man komplexe Formteile wie Elektrogehäuse sehen, die damit erzeugt werden. Beim Herstellungsprozess wird der Rohstoff in Form von Granulat oder Pulver zuerst verflüssigt, anschliessend in das Spritzgiesswerkzeug unter Druck eingespritzt, wo die Form dann abkühlt. Eine dritte Maschine, welche die Lernenden sahen, war der sogenannte Extruder. Auch hier wird das Material zuerst aufgeschmolzen, mittels Druckerzeugung der Extruderschnecke durch die formgebende Auslassöffnung gepresst, wodurch der gewünschte Querschnitt entsteht. Theoretisch lassen sich so unendlich lange Profile produzieren, ein Messer schneidet diese dann auf die gewünschte Länge. Schreiner kennen solche Produkte vor allem als Kunststofffenster-Profile oder Dichtungsprofile.

Praktischer Umgang erlernen

Nach dem Theorieteil und dem Rundgang durften die Lernenden selbst Hand anlegen. Dabei bestand ihre Aufgabe darin, eine Kehrschaufel aus PE herzustellen. Zuerst machten sie sich mit der Materialerkennung von PVC, PE und PP vertraut und probierten, mit dem Kunststoff-Schweissgerät die ersten Muster miteinander zu verbinden. Um die jeweilige Kunststoffart zu ermitteln, gibt es praktische Tests, dies herauszufinden. Dies führte Wüthrich sogleich vor, indem er mittels Klangtest die Probestücke auf den Boden fallen liess. Das führte bei den Materialien zu unterschiedlichen Tönen. Ein weiterer Test ist der sogenannte Sinktest, bei dem das Material ins Wasser gelegt wird. Da die Dichte von PE und PP unter 1 g/cm³ liegt, schwimmen sie; PVC hingegen besitzt eine höhere Dichte als Wasser und sinkt. Weiter kann auch ein Flammtest gemacht werden, wo der Abbrennprozess beobachtet wird.

Auch lassen sich nicht alle Kunststoffe miteinander verbinden, was die Lernenden anhand von Schweissübungen feststellen mussten. «In der Theorie liessen sich viele Kunststoffe miteinander verbinden, praktisch ist das aber nicht möglich, weil jeder Kunststoff eine unterschiedliche Schmelztemperatur hat und zudem auch die Chemie stimmen muss», erklärt Wüthrich.

Für die Herstellung der Kehrschaufel setzten die Lernenden dabei dem Schreiner nicht unbekannte Hilfsmittel ein: So wurde der Zuschnitt der Teile mit einer Stichsäge gemacht, die zu schweissenden Kanten mit einer Oberfräse angefast und mit der Ziehklinge nachgeputzt. Die Fase an den Kanten war nötig, um die miteinander zu verbindenden Teile mit dem Schweissdraht aufzufüllen. Das gebogene Teil der Schaufel wurde an einer speziellen Maschine bearbeitet. Die Oberseite wurde unter dem sogenannten «Schwert» aufgeheizt, eingeschmolzen und dann abgebogen. Eine weitere Option sei auch das Abbiegen durch einen heissen Draht, das funktioniere bei Acrylglas gut. Als amorpher Thermoplast hat Acrylglas eine zufällig angeordnete Molekularstruktur und daher keinen scharfen Schmelzpunkt. Das bedeutet, je mehr es aufgeheizt wird, umso weicher wird es, bis es dann ab einer bestimmten Temperaturüberschreitung schmilzt. Für den Schreiner hat dann Wüthrich auch noch einen Tipp parat: «Bei amorphen Kunststoffen wie Acrylglas ist es wichtig, ein feines Sägeblatt mit einem kleinen Zahnabstand zu verwenden. Werden solche Blätter für teilkristalline Kunststoffe wie PE oder PP verwendet, würden diese sofort aufschmelzen; daher ist da ein Sägeblatt mit grossen Abständen wichtig, damit weniger Reibung entsteht.» Ist kein feines Sägeblatt vorhanden, könne auch etwas grösser und langsamer zugeschnitten und anschliessend die Kante noch gehobelt werden.

KATZ

Umgang mit Kunststoff lernen

Das Kunststoff Ausbildungs- und Tech- nologie-Zentrum (Katz) in Aarau wurde 1993 gegründet und ist als Förderverein für die Bildung und Beratung der Kunststoffindustrie tätig. Neben Bauteil- und Materialprüfungen wird auch in die Forschung und Entwicklung investiert. Für Lernende, welche die Berufsausbildung zum/zur Schreiner/in EFZ oder Schreinerpraktiker/in EBA absolvieren, gibt es neu die Möglichkeit, zu den bestehenden überbetrieblichen Kursen (üK) die materialgerechte Bearbeitung von Kunststoffhalbzeugen in einem Tageskurs zu lernen. Der erste Termin ist am 21. Februar 2025.

katz.ch

Nachhaltiger Möbelbeschlag

Griffe aus recyceltem Kunststoff

Nicht nur die Landschaft, sondern auch die Weltmeere werden immer mehr durch Plastikabfälle wie beispielsweise zurückgelassene Treib- und Schleppnetze und sonstige Kunststoffabfälle zugemüllt. Dem Problem will das dänische Unternehmen Furnipart mit den recycelten Kunststoffgriffen «Plato» und «Square» entgegenwirken. Sie werden von der ebenfalls dänischen Firma Plastix produziert. Diese nimmt gebrauchte Fischernetze zurück, reinigt, verarbeitet das Material zu Granulat «OceanIX» und erzeugt dann mittels Spritzguss die wiederverwertbaren Griffe. Furnipart wird in der Schweiz durch die Beat Bucher AG vertreten.

www.furnipart.chhome.bbag.ch

Michi Läuchli, ML

Veröffentlichung: 28. November 2024 / Ausgabe 48/2024

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