«Shrimp» ist fertig und getauft

Im leerstehenden Kuhstall sorgte ein beheizbares Garagenzelt für die benötigte Temperatur. Bild: PD

Schiffbau.  Mit einer selbst gebauten Segelyacht nimmt der Ostschweizer Schreiner Severin Hummer an einem Transatlantikrennen teil. Bevor er am 31. Oktober in sein Abenteuer startet, gab er einen Einblick in den Vorbereitungs- und Bauprozess.

Severin Hummer nimmt mit einer Yacht der Marke Eigenbau am Transatlantikrennen «Class Globe 5.80» teil. Um im Alleingang den Atlantik zu überqueren, hat er stabil gebaut. Am 31. Oktober fällt der Startschuss. Dann nimmt er vom portugiesischen Lagos Kurs auf die Karibischen Inseln.

Doch drehen wir das Steuerrad der Zeit zurück in den August 2020. Der damals 24-Jährige aus Steinach SG hat gerade die Schreinerausbildung hinter sich und freut sich auf eine Reise nach Polen. Dort möchte er eine gebrauchte Yacht der Mini-Segelklasse in Augenschein nehmen. Aber er wird krank. Nicht schlimm, aber doch gravierend genug, um die Reise absagen zu müssen. Das wurmt ihn, denn der Flug war schon gebucht und die Vorfreude gross. Man kann sich seine Enttäuschung darüber gut vorstellen. Und was macht ein gefrusteter und segelverrückter Schreiner, wenn es ihm flau im Magen ist und er sich ablenken möchte? Er schmökert in Fachmagazinen. Severin Hummer schlägt also die Zeitschrift «Yacht» auf und stösst auf eine Reportage über die «Class Globe 5.80».

Baustart im November 2020

«Class Globe 5.80» ist nicht nur der Name des Transatlantikrennens. So heisst auch der Typ des Holzboots zum selber Bauen, das dazu nötig ist. Die fertige Sperrholz- Epoxid-Mini-Yacht ist 580 cm lang, 570 cm hoch, 227 cm breit und zirka 700 Kilo schwer. Der acht Meter lange Mast lässt sich für den Transport abmontieren. So kann man das Boot nicht nur auf einen Autoanhänger laden, es passt auch perfekt in einen Schiffscontainer.

Im Prinzip kann sich jeder Mensch, der ein Ikea-Stubenbuffet aufstellen kann und Interesse am Segeln hat, so eine Yacht bauen. Das speziell verleimte Bootsbausperrholz wird dem Hobbybootsbauer für umgerechnet knapp 8000 Franken vor die Haustüre geliefert, die Baupläne gibt es für 300 Euro obenauf. Rund 500 Arbeitsstunden stecken in der fertigen Mini-Yacht, mit einem CNC-Sperrholz-Kit geht es schneller. Hat man es geschafft, darf man mit ihr am Solo-Atlantik-Rennen teilnehmen. Das Erste dieser Art startet in den kommenden Tagen, 2024 soll ein Weltrennen folgen.

Der Bootstyp soll das Segeln für jedermann möglich machen, denn segelfertig kommt die Yacht auf ungefähr 50 000 Franken. Das ist ein Zehntel des Preises, den man für ein vergleichbares, fertiges Boot hinblättern müsste. «Das Konzept überzeugte mich, und als Schreiner war ich sofort Feuer und Flamme», erzählt Hummer rückblickend. Bevor er den Bausatz allerdings bestellen wollte, sah er sich nach einer geeigneten Halle um. Durch Zufall bot ihm eine ehemalige Segelschülerin seines Vaters den leerstehenden Kuhstall ihres alten Bauernhofs an. Noch am gleichen Tag schickte er die Bestellung ab. Im November 2020 traf dann das Bootsbausperrholz ein.

Unzählige Arbeitsschritte und …

Unverzüglich machte sich der Schreiner an die Arbeit. Zuerst brachte er die Stringer, das sind die parallel zur Längsachse laufenden Versteifungen, am Rahmen an. Er verklebte sie mit Epoxidharz und fixierte sie zusätzlich mit Schrauben. Für den weiteren Bau waren konstante Temperaturen notwendig. Also wurde im ungeheizten Kuhstall ein beheizbares Garagenzelt aufgestellt. Für die Beplankung schnitt Hummer alle Platten in der Breite mit ein wenig Zumass zu. Später passte er die Schrägen an. Beim Festpressen der Beplankung pressten Rosetten die Platten an die Stringer. Nach dem Trocknen spachtelte er die Schraubenlöcher zu und schliff den Rumpf. Für das anschliessende Laminieren waren nicht nur Unmengen von Epoxidharz und Glasfasergewebe gefragt, sondern auch fleissige Helfer. «Die Werft 52 in Romanhorn stellte das alles zur Verfügung. Zu fünft arbeiteten wir insgesamt zehn Stunden am Stück», sagt Hummer. Auch die beiden Schreinerkollegen Michael Leuzinger und Bruno Lorenzo packten zu, und bald konnte der Rumpf mit- hilfe des Teleskop-Laders gedreht werden. Der Innen- und Decksaufbau startete.

… spachteln, spachteln, spachteln

Sitzbänke und die Kajüte entstanden, und immer wieder hiess es spachteln, spachteln, spachteln. Schliesslich hob man das Boot mit einem Kran auf einen Anhänger und transportierte es nach Romanshorn in die Werft 52. Hier arbeitete der 25-Jährige an zwei Tagen in der Woche im Stundenlohn, den Rest der Zeit steckte er in sein Boot, welches in der Zwischenzeit schon richtig Gestalt annahm. Um die Löcher für die Kielmontage zu bohren, wurde es auf Böcke gehoben. Nach dem Spachteln war es dann bereit für die erste Grundierung. Handwerklich war der Bau für Hummer kein Problem. «Aber es gab doch Dinge, die ich vorher so nie machen musste», sagt er. Es kam zum Beispiel extrem häufig ein Werkzeug zum Einsatz, mit dem er bis an die Kanten und in die Ecken hobeln konnte. «Ich fand es in Holland. Die Hobeltechniken waren mir nicht vertraut, und ich musste sie mir erst aneignen», sagt er. Ursprünglich sollte sein Boot nach seiner Freundin Laura heissen. Doch als man es in Basel ins Schiffsregister eintragen liess, stellte man fest, dass es dort bereits eine «Laura» gab. Jetzt heisst es «Shrimp».

Hummer lernte seine Freundin Laura Egger vor drei Jahren beim Segeln kennen. «Ich kann ihn beim Rennen nicht begleiten, weil das Reglement nur Solosegler zulässt. Ich weiss aber, dass er es schafft», sagt sie. Telefonieren können die beiden während der dreiwöchigen Überfahrt nicht. «Aber ich werde jeden Tag auf dem Internet seine Position checken und bin froh, wenn ich das Pünktchen auf dem Atlantik entdecke.»

Zur Taufe

Im August 2021 strömten dann an die 100 Gäste auf das Gelände der Werft 52 in Romanshorn. Hier präsentierte sich ihnen das fertige Boot. Glänzend, schön, mit Blumen geschmückt. Die eigentliche Taufe entpuppte sich allerdings als schwierig, denn die Champagnerflasche federte immer wieder zurück und wollte einfach nicht zerschellen. Erst beim vierten Versuch ergoss sich der Champagner schäumend über den Kiel. Es wird im Leben dieses Boots nicht das Einzige sein, was sich über ihm ergiesst.

Die Wellen des Atlantiks können sich bis zu zehn Meter hoch auftürmen. Da wird das Gebälk des Boots ächzen, der Skipper taumeln. Theoretisch könnte es aber auch sein, dass die Überfahrt problemlos abläuft. «Ein schöner Passatwind bläst schöne, lange Wellen von hinten auf das Boot und schiebt es mit 20 km/h in Richtung Karibik», erzählt Hummer. Fest steht: Während des gesamten Rennens ist er mit der Rennleitung in Kontakt. Eine Solarzelle sowie ein kleiner fahrwasserbetriebener Generator laden Autopilot, Navigationsinstrumente und das Handy auf. Die Yacht ist nicht beheizt, aber weil die Reise immer knapp entlang des Äquators verläuft, ist mit Temperaturen um die 20 Grad Celsius zu rechnen.

Aufs Schlimmste vorbereitet

Für den Notfall ist eine aufblasbare Rettungsinsel an Bord. Hummer hat extra in Bremen ein Hochsee-Notfalltraining absolviert. Das Schlimmste wäre, über Bord zu gehen. Im Getose der Wellen des Atlantiks würde der Schreiner wohl nie gefunden werden. Um dem vorzubeugen, ist der erfahrene Segler zu jeder Zeit mittels eines Stahlseils mit der Yacht verbunden. Grosse Containerschiffe sieht er auf dem Radar und kann ihnen ausweichen. «Aber es passiert ja ab und zu, dass Container über Bord gehen und herumtreiben. Dieses Risiko kann man nicht kalkulieren», sagt er. Vieles blendete Hummer bei der Tauffeier aus: die Mühsal, die Gefahren, die Trockennahrung, die er auf einem Gaskocherli mit Wasser reanimiert, nie länger als 20 Minuten am Stück zu schlafen. Mit einer Flasche Appenzeller Bier in der Hand stand er inmitten von Verwandten, Freunden, Schreinerkollegen und Sponsoren. Er plauderte, lachte, liess sich umarmen und zu seinem standhaften Boot beglückwünschen. Den Taufgästen erzählte der Schreiner, dass der Bau der Yacht extrem gut geklappt habe. «Wir arbeiteten von Anfang an auf den Millimeter genau. Die kleinste Abweichung kumuliert sich und erzeugt am Ende eine grosse Ungenauigkeit. Das kann man sich nicht leisten», sagte er.

Seine Yacht trägt die Nummer 98 an der Seite. Der Veranstalter limitiert die Auflage auf 100. Viele kaufen sich den Bausatz und den Plan, machen dann aber nicht fertig und träumen ein Leben lang. Als Schreiner hatte da Hummer schon einen grossen Vorteil. Mittlerweile sind das Segel aus den USA, der Mast aus Frankreich und die Reling aus Polen eingetroffen. Severin Hummer hat seine «Shrimp» auf einen Anhänger geladen und ist in Lagos, einer Stadt in der Algarve im Süden Portugals, angekommen. Hier wird nun am Sonntag das Rennen starten. Mit einem Zwischenstopp auf Lanzarote führt die Route dann zum Zielhafen Antigua oder Martinique. Vieles hängt von der Witterung ab und ist deshalb ungewiss. Doch einem Schreiner ist doch alles zuzutrauen.

www.crazy-lobster.chwww.linssen-yachts.ch

Zur Person

Nach einer Ausbildung zum Profi-schwimmer startete Severin Hummer im Alter von 20 Jahren die Schreinerlehre bei der Kaufmann Oberholzer AG in Roggwil im Kanton Thurgau. Schon seine Vorfahren hatten Holz im Blut.

Der Grossvater sowie der Onkel waren «Hölzige», und auch seine Mutter Monika Ruf ist mit ihrer Firma Ruf Design AG als Innenarchitektin und Küchendesignerin in der handwerklich-gestalterischen Ecke zu Hause. In Hummers Adern fliesst aber auch Wasser, wie der Familienname erahnen lässt. Sein Vater Adi Hummer ist Geschäftsleiter der Crazy Lobster Sailing GmbH, einer Segel- und Motorbootschule in Horn am Bodensee. Er lehrte seinem Sohn das Segeln und vermittelt ihm wohl auch irgendwie das Gefühl, nie und niemals unterzugehen. Im Alter von 16 Jahren sagte Severin Hummer zu seinem Vater, dass er den Bodensee schwimmend überqueren wolle. «Ja klar. Du schwimmst, und ich fahre zur Sicherheit die 13 Kilometer mit dem Boot mit», schlug ihm der Vater vor. Severin schaffte es. «Es trägt einen schon, wenn jemand an einen glaubt», sagt er heute rückblickend.

Beatrix Bächtold, BEB

Veröffentlichung: 28. Oktober 2021 / Ausgabe 44/2021

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