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SchreinerZeitung: Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Rund 20 % der Jugendlichen absolvieren eine gymnasiale Maturität. Wie kann die Berufslehre wieder attraktiver werden?
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Willy Marti: Der Trend hin zum akademischen Bildungsweg ist in der Tat ein Problem, das wir lösen müssen. Meiner Meinung nach schadet er auch den Gymnasien, weil die Exklusivität durch die Menge verloren geht. Weniger Gymnasium würde alle anderen Ausbildungswege massiv aufwerten – wohl sogar die Gymnasien selbst.
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Thomas Lamprecht: Die Fehlentwicklung fängt schon auf der Primarschulstufe an. Man bringt den Kindern lieber mehrere Sprachen bei, als dass man sie auch handwerklich fördert. Das ist einfach falsch.
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Ruedi Heim: Unser duales Bildungssystem ist hoch attraktiv. Trotzdem haben die Handwerksberufe betreffend Ansehen viel aufzuholen. Ein grosser Teil der Lehrpersonen empfiehlt doch nur den schwachen Schülern, eine Handwerkerlehre in Angriff zu nehmen. Dabei ist gerade die Schreinerausbildung eine hervorragende Grundlage für das Berufsleben. Mir persönlich sind keine arbeitslosen Schreiner bekannt, arbeitslose Akademiker gibt es dagegen viele.
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Anita Luginbühl: Auch ich sehe einen Schwachpunkt in der Schule. Die Lehrpersonen selbst kennen in der Regel die Berufslehre nicht aus eigener Erfahrung. Ohne bösen Willen fördern sie einseitig den akademischen Weg. Man darf nicht das eine gegen das andere ausspielen. Aber es sollte einfach häufiger Basteln oder Werken auf dem Programm stehen.
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Monika Barmet: Mehr Handwerk in der Volksschule ist für mich eine Voraussetzung. Es hat in den letzten Jahren an Stellenwert eingebüsst. Man muss die Kantone diesbezüglich mehr in die Pflicht nehmen.
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Jürg Rothenbühler: Es gibt noch weitere Ursachen. Einerseits werden die Schreiner von ihren Arbeitgebern zu wenig unterstützt, wenn sie eine Weiterbildung machen wollen, weil sie danach oft den Betrieb wechseln. Andererseits gibt es in der Branche wie überall die Tendenz, die Mindestlöhne zu drücken. Das ist der verkehrte Weg, denn das Geld ist am Ende immer das zentrale Argument beim Entscheid, ob jemand im Beruf bleibt oder nicht. Die Betriebe sollten für die jungen Mitarbeiter mehr Verständnis aufbringen.
- Haben grössere Unternehmen bessere Möglichkeiten, den jungen Mitarbeitern eine Perspektive zu bieten?
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Markus Wenger: Wir haben es dank unserer Grösse sicher etwas einfacher. Dennoch vertrete ich die Meinung, dass vonseiten der Kantone für die Entwicklung der 20- bis 30-jährigen Berufsleute mehr gemacht werden könnte. Dass ein Student den Staat viel Geld kostet, bis er fertig ausgebildet ist, wird als selbstverständlich hingenommen. Auch die Weiterbildung eines Schreiners soll den Staat etwas kosten dürfen.
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Kurt Grüneisen: Die Finanzierung der Weiterbildung muss unbedingt dem akademischen Weg gleichgestellt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass Weiterbildungswillige mit zinsfreien Darlehen und Stipendien unterstützt werden.
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Barmet: Doch all die Entlastungsprogramme haben eher zur Folge, dass für solche Anliegen weniger Geld zur Verfügung steht. Wir müssen deshalb in der Branche mehr Persönlichkeiten motivieren, politisch aktiv zu werden. Die Interessen der Schreiner bringen am besten Schreiner ein.
- Seit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses Mitte Januar ist der Kostendruck auf das produzierende Gewerbe massiv gestiegen. Wie kann die Politik der Frankenaufwertung entgegentreten?
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Wenger: Seit dem Währungsschock zeigt sich mehr denn je, dass unsere Kostenstrukturen heute nicht mehr tauglich sind. Wir müssen das System umbauen. Schauen Sie: Wenn ich einen Auftrag zur Fensterherstellung im Umfang von 20 000 Franken ausführe, zahle ich 1250 Franken Sozialabgaben. Wenn mein Konkurrent, der in Mazedonien produziert, den gleichen Auftrag bekommt, zahlt er bloss 115 Franken. Das ist eine massive Benachteiligung der Schweizer Betriebe. Lösen kann man das Problem nur mit einer Verlagerung der Sozialkosten vom Arbeitgeber zur Mehrwertsteuer. Die Schweizer Unternehmen würden um rund 15 Mrd. Franken entlastet, der Preisunterschied gegenüber der Importware würde verringert und die Sozialleistungen wären im gleichen Umfang gesichert.
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Heim: Da kommt aber noch etwas hinzu. Wenn ich sehe, dass die Ursachen der Frankenstärke zu einem grossen Teil in der Währungsspekulation zu finden sind, habe ich extrem Mühe. Die Politik muss hier eingreifen und die Macht der Finanzindustrie über den Produktionsstandort Schweiz einschränken. Und natürlich muss man in Bezug auf die Rahmenbedingungen dringend etwas tun. Allein in unserem Betrieb gelten drei verschiedene GAV: für Holzindustrie, Schreiner und Holzbau. Mit solchen Dingen schaffen wir uns doch selber Probleme.
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Luginbühl: Und vergessen wir nicht das öffentliche Beschaffungswesen. Bei den Zuschlagskriterien besteht grosser Handlungsbedarf. Ein öffentlicher Auftraggeber muss unbedingt selber entscheiden können, ob er Fenster aus Schweizer oder aus ausländischer Produktion einbauen will. Es kann nicht sein, dass er gezwungen wird, einfach die billigste Offerte anzunehmen.
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RotheNbühler: Das stimmt. Doch als Mitglied einer Gemeindeexekutive fällt mir immer wieder auf, dass die Richtlinien im Beschaffungswesen aus Angst vor Beschwerden nicht voll ausgereizt werden. Ich führe das darauf zurück, dass viel zu wenige Handwerker in den Gemeinderäten sitzen. Die Behörden sollten öfter den Mut haben, bis dicht an die Grenzen zu gehen.
- Welche Möglichkeiten gibt es vonseiten der Betriebe, die Kosten tief zu halten, um konkurrenzfähig zu bleiben? Irgendwie muss es ja weitergehen.
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Wenger: Mit unserer Serviceabteilung machen wir derzeit gute Umsätze, sie ist ein wichtiges Standbein geworden. Auch ein polnisches Kunststofffenster muss geflickt werden, wenn es kaputt ist. Und mit kurzen Lieferfristen kann man sich auch in der Produktion gegenüber den ausländischen Konkurrenten einen Vorteil verschaffen.
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Heim: Wir haben in den letzten Jahren massiv investiert, um die Produktivität zu erhöhen. Mit moderner Technik wird man unabhängiger von den Lohnkosten. Und man behält das Know-how im Haus. Wenn wir immer mehr Aufträge fremdvergeben würden, wäre das ein Sterben auf Raten.
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Lamprecht: Wir müssen in der aktuellen Lage unsere Innovationskraft gegenüber dem Ausland noch besser ausspielen, denn wir werden nie so günstig produzieren können wie ausländische Konkurrenten, wir haben ja auch die höheren Löhne.
- Ist die «Geiz-ist-geil»-Mentalität ein Naturgesetz, und gibt es wirklich keine Möglichkeit, mit hochwertigen Schweizer Produkten diesen Trend zu brechen?
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Marti: Ich mache die Erfahrung, dass fast niemand einen höheren Preis bezahlen will, nur weil ein Produkt aus der Schweiz kommt. Wir generieren einen grossen Teil unseres Umsatzes im Holzbau und können im Ausland günstiges Konstruktionsholz beziehen. Kürzlich trug ich mit einem Kunden, er ist Bauer, einen richtigen Kampf aus, bis er eingewilligt hat, das etwas teurere Schweizer Holz zu verwenden.
- Ist Swissness wenigstens noch in länd-lichen Regionen etwas wert?
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Rothenbühler: Nur beschränkt. Auch wir als kleiner Emmentaler Betrieb sind vom starken Franken betroffen. Bis vor drei Jahren war der Küchenbau ein einträgliches Standbein. Heute hören wir oft, dass der Preisunterschied zum Ausland zu hoch sei. Der Küchenbau ist bei uns heute bedeutungslos.
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Grüneisen: Die Mentalität, möglichst viel möglichst günstig haben zu wollen, hat zugenommen, das beobachte auch ich. Es gibt in der Schweiz aber noch viele qualitätsbewusste Kunden. Allerdings wissen die Leute oft nicht Bescheid, was die Handwerker eigentlich machen. Die Betriebe und der Verband müssen an ihrem Image arbeiten und es noch besser nach aussen tragen. Wobei ich der Meinung bin, dass der Schreinerberuf diesbezüglich einen guten Weg geht.
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Luginbühl: Aber wir müssen uns bewusst sein, dass ein ausländisches Produkt nicht schlechter ist, nur weil es aus dem Ausland kommt. Dort beherrschen sie ihr Handwerk auch. Wir sind daher gefordert, die Zusammenhänge noch deutlicher aufzuzeigen. Es ist doch ein inkonsequentes Handeln, wenn ein Kunde den Preis als einziges Kriterium betrachtet, gleichzeitig aber gerne in Wohlstand lebt. Unser ganzes System muss finanziert werden, und das geht über die Preise unserer Produkte. Darauf müssen die Politik und unsere Branche immer wieder hinweisen. Denn «Swiss made» ist viel mehr als nur ein Kostentreiber.
mf/pet
Veröffentlichung: 24. September 2015 / Ausgabe 39/2015