Schreiner fahren ab aufs Cargobike

Für Felix Fluri ist das Cargobike die perfekte Ergänzung zum motorisierten Transporter. Bild: Beatrix Bächtold

Mobilität.  E-Bikes und mit Elektromotor ausgestattete Lastfahrräder gehören mittlerweile in Schweizer Städten zum Strassenbild. Neben Kurierdiensten entdecken auch immer mehr Schreiner die Vorzüge dieser unkomplizierten Firmenfahrzeuge.

Weiss auf schwarz steht der Name «Larry vs. Harry» auf dem Chassis. Dieses Zweirad aus dem Hause der dänischen Kultmarke ist so etwas wie der Rolls-Royce unter den Lastfahrrädern, obwohl Felix Fluri an diesem Vergleich gar keine Freude hat. Vielmehr sagt er: «Im Rahmen der Klimadebatte muss man sich schon überlegen, was man persönlich beitragen kann.» Zwar wisse er schon, dass durch sein Engagement der Zustand der Welt kein bisschen besser werde. «Aber für mich als passionierten Velofahrer liegt dieser Beitrag nahe.» Fluri betreibt seit 1993 eine Schreinerei in Kleinbasel. Obwohl sich das Sammelsurium aus Holz, Maschinen und Werkzeugen auf 500 Quadratmetern über zwei Etagen erstreckt und flächenmässig schon etwas hermacht, sucht er seine Kundschaft eher im Nischensegment. «Anstatt konventioneller Routine will ich Fragen stellen und Antworten finden», sagt der Endfünfziger mit der hippen Hornbrille. Und so betreibt er im Viertel mit begrünten Balkonen, engen Strassen und permanenter Parkplatznot das Gegenteil von Massenproduktion. Möbel, Innenausbau nach Mass, Schlösser flicken und klemmende Schubladen wieder zum Flitzen bringen sind die Kernkompetenzen von Fluri und seinen beiden Lernenden.

Weniger Stress im Alltag

«Unsere Kunden sind alle in der näheren Umgebung», sagt Fluri. Dazu kommt, dass die autofreie Kernzone der Innenstadt für den Güterumschlag lediglich montags bis samstags von 5 bis 11 Uhr befahrbar ist. Weil in dieser kurzen Zeit alle auf einmal liefern und abholen wollen, ergibt sich eine unangenehme Hektik. Diese Umstände machen «Larry vs. Harry» zum Traumpartner des Unternehmens.

Und so war Fluri schnell überzeugt, als im April 2018 das Amt für Mobilität gemeinsam mit «Pro Innenstadt Basel» das Projekt «Work By Bike» lancierte. Für 800 Franken Jahresgebühr durften ausgesuchte Geschäfte ein Jahr lang ein speziell auf ihre Betriebsanforderungen ausgelegtes Cargobike testen und bei Gefallen später kaufen. «Eigentlich hatte ich den Gedanken schon vorher. Und so schrieb ich spontan einen Bewerbungsbrief», sagt der Schreiner.

Unzählige Anfragen gingen ein. «Ich glaube, ich habe den Zuschlag bekommen, weil ich vermutlich der einzige traditionelle Handwerker war», mutmasst er. Im Rahmen der Muba 2018 war dann die Übergabe, und Fluri fuhr mit «Harry vs. Larry» heim. Nach der Testphase übernahm er das Fahrzeug, und er ist seit 18 Monaten damit unterwegs. «Viel Schnee und Eis sind in Basel selten», sagt er. Das Cargobike schafft bis zu 25 Kilometer pro Stunde, gilt als normales Velo und ist von der Helmpflicht befreit. «Mit dem Firmenlogo ist das Bike wie Reklame auf zwei Rädern. Auch bei der Kundschaft kommt es gut an», sagt Fluri. Wenn er erzählt, dass er gut 70 Kilogramm zuladen darf, acht Gänge manuell oder im Automatik-Modus schalten kann und im Schnitt mit einer Geschwindigkeit von 17 Kilometern pro Stunde von A nach B kommt, staunen selbst Autofreaks. Trotzdem zieht das Cargobike am Lichtsignal gelegentlich böse Blicke auf sich, wenn es wieder einmal einen Kickstart ausbremst. «Daran muss man sich gewöhnen. Da muss man halt aufeinander Rücksicht nehmen.»

Es rechnet sich

«Beim täglichen Einsatz des Cargobikes muss man allerdings bei gewissen Überlegungen klarer, reduzierter und gescheiter sein», sagt Fluri. Während man im Lieferwagen fast die halbe Werkstatt mitführen kann, erfordert das Cargobike mehr Planung. «Weniger ist oft mehr. Ich glaube, es ist gar nicht so schlecht, wenn man sich an dieses Prinzip hält», philosophiert er.

Benötigt das wartungsarme Cargobike neue Reifen, Bremsen oder Speichen, so sucht Fluri «Obst und Gemüse» auf. Das Fachgeschäft liegt gleich in seiner Nachbarschaft und hat sich seit zehn Jahren auf Cargobikes spezialisiert. «Ich wusste vom ersten Moment an: Das ist das Transportmittel der Zukunft», sagt Mitinhaberin Jacqueline Arm und erklärt dann, dass die Nachfrage in der ganzen Schweiz am Wachsen sei. «Es steigen immer mehr Privathaushalte und KMU-Betriebe um und auf», sagt sie. Und tatsächlich: Schaut man sich auf Basels Strassen um, so sieht man Mütter mit Kindern im Laderaum und Kuriere, die so ihr Transportgut von A nach B strampeln. «Rund zwei Prozent aller Cargobikes aus unserem Hause sind für Schreiner. Im Vergleich mit den normalen E-Bikes besetzt es zwar noch eine Nische, aber eine mit Potenzial», sagt Jacqueline Arm.

Ein glimpflicher Ausrutscher

Felix Fluri setzt sich auf das Cargobike, wenn er zum Ausmessen, zum Erstellen einer Offerte oder zu kleineren Reparaturen unterwegs ist. Anfangs hatte das Fahren mit dem langen Velo schon etwas Übung erfordert. Eine Rolle spielte dabei auch, dass es mehr Gewicht hat und der Schwerpunkt je nach Zuladung variiert. Deshalb nimmt «Harry vs. Larry» beim Start und beim Rangieren erhöhte Aufmerksamkeit in Anspruch. «Hat man dank der E-Unterstützung ein gewisses Tempo, so stabilisiert sich das. Man lernt dazu», sagt Fluri. In der Regel funktionierte das Fahren immer reibungslos. Nur einmal, ganz am Anfang, als Fluri Fensterrahmen zum Einglasen transportieren wollte und diese oben auf sein Cargobike lud, geriet das Gefährt beim Start ausser Kontrolle. «Zum Glück auf meinem Vorplatz, noch ohne Glas, Verletzung und Publikum. Wie gesagt: Man lernt dazu», erzählt er und lacht.

Grosser Spassfaktor

Auch bei der Schreinerei Benz in Dietlikon ZH strampeln die Mitarbeitenden schon seit längerer Zeit mit einem E-Bike zum Kundenbesuch. «Weil wir neben den Utensilien, die wir zum Ausmessen benötigen, auch gerne mal ein Muster mitgenommen hätten, suchten wir im Internet nach einem Anhänger. So stiessen wir auf das 3-Rad-Cargobike des Herstellers Butcher & Bicycles. Das schien uns die elegantere Lösung zu sein, die zudem einen riesigen Spassfaktor bietet», sagt Inhaber Christian Suter. Seit April 2018 ist man nun mit dem Mk1-E unterwegs, unterstützt von einem Bosch-Motor mit 400 Wattstunden Batteriekapazität. Die Reichweite des

Cargobikes beträgt im Schnitt 35 Kilometer. Derjenige, der das Velo zuletzt benutzt hat, lädt auch wieder auf. «Am Anfang war die Neigetechnik in den Kurven gewöhnungsbedürftig. Aber mit drei Rädern ist es kippstabil, und man kann gefahrlos ans Limit gehen. Der grosse Vorteil ist, dass das relativ schwere Fahrzeug so selbst bei rasanter Geschwindigkeit gut durch die Kurve fährt», sagt Suter. Neben dem Cargobike stehen auf dem Platz der Benz Schreinerei auch zwei Montage- und ein Lieferwagen. Das Cargobike ergänzt die Flotte für sehr kurze Strecken. «Der Schreiner aus Dietlikon mit dem Hammer-Service» steht auf dem Velo. «So ist es ein genialer Werbebotschafter. Es ist auch schon vorgekommen, dass mich jemand fragte, ob ich Glace verkaufe», sagt Suter, der von sich behauptet, nicht unbedingt der Velofreak zu sein. Umso spezieller ist es, dass er das Cargobike gelegentlich sogar privat zum Einkaufen nutzt. «Raus an die frische Luft. Das macht einfach Spass», sagt er und verrät, dass er am liebsten mit maximaler E-Unterstützung unterwegs sei.

Schreiner mit E-Bike

Bei der Funk Innenausbau AG in Glattbrugg fährt man seit einigen Monaten zu Kundenbesuchen, die leichtes Gepäck erfordern, mit dem E-Bike. «Im Umkreis von ungefähr zehn Kilometern ist das für uns die ideale Ergänzung», erklärt Inhaber, Geschäftsführer und Velofreak Rolf Funk. Allerdings strampelt das Team der Schreinerei im Zürcher Unterland nur bei schönem Wetter. «Schliesslich möchten wir ja nicht vor Nässe triefend eine Besprechung führen», sagt er. Für den Einsatz des E-Bikes wolle man sich auch nicht besonders rühmen. «Es ist doch nicht weltbewegend, wenn man diese clevere Art von urbaner Fortbewegung möglichst effizient in den Alltag integriert», findet Funk. Viel- mehr sei das Velo perfekt, wenn man im Berufsverkehr in der Nähe des Hauptbahnhofs, der Universität oder des Flughafens unterwegs sei. Rolf Funk ist überzeugt, dass der Besuch mit dem Velo sympathisch rü- berkommt und Kundennähe schafft. «Das E-Bike ermöglicht dem lokalen Gewerbe einen spontanen Auftritt. Bei kurzen Wegen sind wir schnell da. Und so heben wir uns von der auswärtigen Konkurrenz ab», sagt er.

Vom Schreiner für Schreiner

Eine Anbieterin von individuell ausgestatteter Cargobikes ist die Sortimo Walter Rüegg AG in Oberhasli ZH. An der Messe Holz 2016 zeigte das Unternehmen, das für seine Montagefahrzeuge für Schreiner bekannt ist, erstmals ein Cargobike für den «hölzigen» Einsatz an. «Das Procargo CT1 stand mit seinen zwei Rädern vorne, einem hinten und einer ausgeklügelten HNF-Nicolai-Neigetechnik schnell im Mittelpunkt», erklärt Claude Pribitzer, der als Produktmanager fürs Marketing im Unternehmen zuständig ist. Die Neigetechnik ermöglicht dem Cargobike bestes Manövrieren, ähnlich wie mit Carving-Skis auf der Piste. Dieser Komfort bringt einerseits zwar Fahrvergnügen, verlangt aber auch nach sorgfältiger Lastgutsicherung. Und so findet man in der Transportbox Zurrgurte und Befestigungsmöglichkeiten. Als gelernter Schreiner weiss Pribitzer, was im Alltagseinsatz nötig ist. «Je nachdem, ob man nur transportieren will oder primär Serviceleistungen erbringt, lässt sich das Cargobike individuell gestalten», sagt er. Das reicht von der einfachen Gitterbox mit flexibler Schutzhülle bis hin zur geschlossenen Transporteinheit. Und diese kann man individuell wählen.

Auf der Wunschliste stehen beim Schreiner meist abschliessbare Schubladen für Kleinwerkzeug, die sich auch bei gefüllter Transportbox von aussen öffnen lassen. Ebenso ist oft ein abschliessbares Helmfach gefragt, in dem man den Helm für die Baustelle verstauen kann, sowie ein Fach für Flickzeug und Verbandsmaterial. Nach einer typischen Einsatzmöglichkeit gefragt, sagt Pribitzer: «Ein Lernender, der noch keinen Fahrausweis hat, kann mit dem Cargobike beispielsweise die selbst gerichteten Küchentürchen auch gleich liefern.»

Reichweite bis zu 100 Kilometern

Im vergangenen Jahr versorgte die Sortimo Walter Rüegg AG in der ganzen Schweiz acht Schreiner mit Cargobikes. Mit E-Unterstützung hat jedes Gefährt je nach Gebiet eine Reichweite von bis zu 100 Kilometern. In gut vier Stunden lädt sich der Akku. Wenn das nicht ausreicht, so kann man in der Front des Cargobikes einen Ersatzakku mitführen. Im Moment gilt beim Gesamtgewicht eine Höchstgrenze von 200 Kilogramm. Technisch sind laut Pribitzer 280 Kilo möglich. «Ich kann mir vorstellen, dass man die Gesetze mal noch anpasst.»

www.felixfluri.chwww.benz-schreinerei.chwww.funk-ag.chwww.sortimo.chwww.cargobicycles.org

beb

Veröffentlichung: 14. November 2019 / Ausgabe 46/2019

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