Natur ist genial


Birkenrinde ist einer der zentralen Werk-stoffe für die Designerin Anastasiya Koshcheeva mit ihrem Label Moya Birch Bark. Bild: Moya Birch Bark
Birkenrinde ist einer der zentralen Werk-stoffe für die Designerin Anastasiya Koshcheeva mit ihrem Label Moya Birch Bark. Bild: Moya Birch Bark
Biobasierte Materialien. Nicht jedes Material auf biologischer Grundlage, das möglich ist, ist gleichzeitig auch sinnvoll. Aber: Viele Grundlagen blieben bislang ungenutzt. Das ändert sich derzeit. Immer mehr Werkstoffe und Materialien entstehen auf biologischer Basis.
Dämmplatten aus menschlichem Haar, 3D- gedruckte Formteile aus Knochenmehl oder plastikartige Werkstoffe auf der Basis von Blut – solche Materialien zeigte das Gewerbemuseum Winterthur ZH zwischen März und September in der Ausstellung «Blut und Staub». Zu sehen waren Ideen dazu, wie aus Reststoffen mit meist natürlichen Bindemitteln und Füllstoffen am Ende nutzbare Werkstoffe werden können.
Den Hintergrund dazu bildet eine gigantische Herausforderung: Die Menschheit muss das fossile Zeitalter möglichst rasch hinter sich lassen. Sonst vernichtet sie selbst ihre Lebensgrundlagen, indem durch den Einsatz der fossilen Grundstoffe das Klima erhitzt und die natürliche Umwelt zerstört wird. Ein möglicher Ausweg: Der Einsatz biogener Stoffe anstelle von Kunststoff aus Erdöl und energieintensiven Materialien wie Aluminium samt den äusserst problematischen Verbundmaterialien. Diese lassen sich kaum wiederverwerten und sind damit zum Abfallstoff verdammt. Die Natur dagegen kennt keinen Müll. Alles wird am Ende verstoffwechselt und damit wieder in den Kreislauf eingefügt.
Werden also pflanzliche Grundstoffe eingesetzt, ist die CO2-Bilanz am Ende, sprich nach der Wiedereingliederung in den Stoffkreislauf, gleich null. Denn das beim Wachstum eingelagerte CO2 wird beim Verrottungsprozess wieder freigesetzt. Besser geht es nicht. Das prominenteste Beispiel dieser genialen Form der Materialerzeugung und Wiedereingliederung heisst übrigens Holz. Durch die dauerhafte Nutzung wird dem System CO2 entzogen.
Bei anderen biobasierten Materialien oder Grundstoffen ist die Bilanz meist schlechter. Um beim Beispiel Blut zu bleiben, von dem in der Schweiz laut Ausstellungsmacher jährlich rund 16 bis 19 Millionen Liter bei der Schlachtung von Schweinen und Rindern anfällt. Die Tiere haben während ihres Lebens Ressourcen verbraucht, sie sind Konsumenten wie der Mensch auch. Bis also der Rohstoff zur Verfügung steht, ist die Bilanz an CO2 negativ. Werden das Tierblut, die Häute und anderes an Schlachtabfällen entsorgt, verschlechtert sich diese Bilanz weiter. Verwendet man das Blut als Grundstoff für ein Material und schenkt diesem so ein weiteres Leben, wird die Bilanz besser, weil dadurch die fossilen Ressourcen eingespart werden.
Und weil die Reduktion des CO2-Ausstosses und die Beseitigung aller damit verbundenen Nachteile, wie die Abhängigkeit von Drittstaaten, die Umweltverschmutzung in Ökosystemen und die Kontaminierung der Umwelt durch Mikroplastik, ein grosses Thema ist, wird auch die Welt der Materialien und Werkstoffe aktuell kräftig durchgerüttelt durch biobasierte Ansätze und den Wunsch nach kompostierbaren Materialien.
Denn viele Akteure haben sich auf den Weg gemacht und suchen nach Lösungen, die fossilen Grundstoffe für ihre Produkte zu ersetzen. Ein Beispiel: Der Holzwerkstoffhersteller Pfleiderer hat kürzlich die weltweit erste Spanplatte aus zu 100 % recyceltem Holz und zu 100 % biogenem Bindemittel vorgestellt.
Wenn ein Material biobasiert ist, heisst das nicht, dass es automatisch eine bessere Klimabilanz hat oder völlig unproblematisch ist. Es gibt zudem noch recht wenige verbindliche Regeln, nach denen am Markt gespielt werden muss. «Wenn in dem biobasierten Werkstoff auch synthetische Materialien sind, welche die Natur nicht kennt, können diese von den Organismen nicht abgebaut werden. Man suggeriert, dass der Stoff natürlich sei, ist er aber nur zum Teil», erklärt Sascha Peters, Inhaber von Haute Innovation, einer Zukunftsagentur für Material und Technologie. Schon machen Schlagzeilen von schwer verdaulichem Biokunststoff, der die Mikroorganismen schädigen soll, die Runde. Ein Problem: Generell gehe die Industrie mit der Kennzeichnung bislang noch grosszügig um, so der Experte Peters. Trotzdem sei jede Tonne an eingesetztem biobasiertem Kunststoff an Stelle von synthetischem Kunststoff gut. Das Ziel sei, 100 % biozirkulär zu werden, damit die synthetischen Stoffe in der Natur nicht immer weiter zunehmen.
Derzeit werden viele Ansätze verfolgt, um auch aus Reststoffen neue Materialien entstehen zu lassen. Viele Stoffe, die als Müll enden, könnten durchaus noch eingesetzt werden. Wenn es biobasierte Grundstoffe sind, umso besser. Das ist auch keine neue Erfindung. Bei der Ausstellung «Blut und Staub» in Winterthur wurde auch ein Bildnis der letzten französischen Kaiserin gezeigt. Allerdings hat man dieses nicht in edles Metall gepresst, sondern aus einem Biopolymer hergestellt, dessen Bestandteile Rinderblut und Staub von Palisanderholz sind. Die Idee für Bois Durci, was übersetzt etwa gehärtetes Holz bedeutet, war schon im 19. Jahrhundert möglich. Mit den heute zur Verfügung stehenden Verfahrenstechniken sollte noch viel mehr möglich sein. Eine neue Welle von Erfindungen könnte so mit ökologischen Verbesserungen der Materialien einhergehen.
www.moya-birchbark.comwww.materialarchiv.chwww.haute-innovation.com
Aus den Niederlanden stammt das biobasierte Material Biopanel. Es ist bereits als Produkt verfügbar und wird für Verkehrs- und Hinweisschilder eingesetzt, wo es Aluminium und Verbundmaterialien ersetzt. Möbel und Interieur-Gegenstände sowie Baumaterialien sind weitere Anwendungen. Biopanel besteht aus vollständig pflanzlichen Grundstoffen, vor allem Fasern der Hanfpflanze und PLA. Dabei handelt es sich um ein biologisch abbaubares Polymer, das ein Restprodukt aus der Zuckerproduktion ist. Biopanel fühlt sich an wie ein Kunststoff, ist als Platte im Standardformat 2040 × 1020 mm und in Stärken von 2 bis 6 mm verfügbar. Laut Hersteller hält Biopanel im Freien eingesetzt mindestens zehn Jahre. Ein Quadratmeter einer 3 mm dicken Platte wiegt 3,8 kg.
Das Material Manaomea aus Deutschland besteht aus Textilresten und Harz. Deshalb bezeichnen die Macherinnen es auch als textiles Tropenholz. Es soll kräftiger und steifer als das natürliche Vorbild sein und eine höhere Dichte aufweisen. Es ist frei in Farbe, Form und Haptik konfektionierbar. Bei Manaomea schätzt man die Menge an weltweit anfallendem textilem Abfall auf 52 Millionen Tonnen pro Jahr. Davon sei nur ein kleiner Teil kreislauffähig wiederverwendbar. Der Grossteil lande im Müll. Manaomea dagegen soll mehrere Lebenszyklen haben. Dabei dürfte dem Harz eine Schlüsselrolle zukommen, das zu über 95 % aus organischen Grundstoffen bestehen soll. Genaueres verrät die Erfinderin derzeit nicht, da aktuell ein Patentverfahren aktiv ist.
Malai kann als Kokosnussleder bezeich- net werden. Es stammt aus Indien. Das verwundert nicht, denn als Grundstoff für die Herstellung dient die Kokospflanze, jedoch nur indirekt. Denn bei Malai han- delt es sich um eine sogenannte organische bakterielle Zellulose. Diese ist deutlich strapazierfähiger als eine einfache pflanzliche Zellulose, weil sie besonders rein ist und keine Anteile von Hemizellulose oder Lignin enthält. Bislang kam solche von Bakterien synthetisierte Cellulose nur in hochwertigen Anwendungen zum Einsatz. Malai dagegen wird in Platten vom Format 1200 × 800 mm hergestellt. Grössere Formate sind in Planung. Das «Kokosleder» gibt es in zehn Farben und drei Grammaturen: 500, 650 und 800 g/m2. Entsprechend variiert die Stärke des Materials von 0,7 bis 2 mm. Gefärbt wird mit pflanzlichen Extrakten. Der natürliche Farbton ist beige-gelblich und entspricht den ungebleichten Fasern.
Die mechanischen Eigenschaften sind noch nicht abschliessend bestimmt, jedoch existieren Videos auf YouTube, die eine vergebliche Zerreissprobe zeigen und die wasserabweisende Fähigkeit nach einer Oberflächenbehandlung mit Wachs.
Die Verwendung von Seegras im Bauwesen soll in Dänemark auf das Jahr 1600 zurückgehen, als es für Dächer eingesetzt wurde. Nun ist das nachhaltig zu bewirtschaftende Gras in Plattenform als Søuld, produziert mit den örtlichen Landwirten, zurück. Die Matten aus Seegras sind frei von schädlichen Emissionen und zirkulär. Laut Hersteller werden die geschredderten Fasern mit ungiftigen Flammschutzmitteln imprägniert und mit einem speziell für Zellulosefasern und Recyclingfähigkeit entwickeltem Bindemittel gemischt. Die Produktion der Vliese erfolgt im üblichen Airlaid-Verfahren. Die Matten werden dann komprimiert und in der Standardgrösse 600 × 1100 mm verkauft. Die Dicke beträgt 35 mm und das Gewicht 137 kg je m3.
Die Platten sollen in einem breiten Frequenzbereich schallabsorbierend sein und sich damit gut für den Einsatz im Trockenbau eignen. Detaillierte Angaben der akustischen Wirksamkeit und weitere Informationen finden sich auf der Website des Herstellers aus Dänemark.
Die Föhre, Forle oder Kiefer hat eine Besonderheit. Bevor die Rinde zu einer tiefrissen, plattig eingeschnittenen Borke wird, bildet der Baum eine sogenannte Spiegelrinde aus. Das ist eine dünnere, in jüngerem Alter helle Rinde, die man im oberen Bereich eines Stammes findet. Flächig abgeschält vom Stamm, in einer biologischen Lösung eingeweicht und anschliessend mit einem Wachs behandelt, soll die Spiegelrinde lange Zeit weich und flexibel bleiben. Eingesetzt wie ein Furnier, sorgt es ausserdem beim Einsatz im Innenausbau für einen harzig-holzigen Duft im Raum.
Kaum zufällig dürfte das Produkt aus dem Studio Sarmite in Frankfurt stammen. Die hessische Metropole umgibt ein weites mit Föhren bestocktes Waldgebiet. Das Studio Sarmite ist ein Entwicklungs- und Designbüro, kein Materialproduzent.
Torf ist eine Form von Humus. Er entsteht, wenn abgestorbene Moorpflanzen sich nicht vollständig zersetzen, weil im Wasser Sauerstoffarmut und ein tiefer pH-Wert herrschen. Torfmoore können so sehr alt werden. Einen relativ jungen Torf mit 50 bis 60 Jahren verwendet Silent Fiber aus Österreich für die Herstellung von Akustikplatten. Laut dem Hersteller werden die Abbaugebiete nach der Nutzung als Feuchtgebiete renaturiert.
Die Platten gibt es entweder quadratisch (594 × 594 × 20 mm) oder im rechteckigen Format von 1194 × 594 × 20 mm in sieben verschiedenen Farbtönen.
Die Platten sind laut Anbieter feuchtraumgeeignet und frei von künstlichen Mineralfasern. Ein Datenblatt steht zum Download auf der Website bereit, ebenso kann online bestellt werden.
Die niederländische Entwicklerin Marjanne Cuypers nennt ihre Faserplatten aus braunem Seegras aus dem Meer schlicht Sea Wood. Es ist natürlich kein Holz, sondern besteht aus pflanzlicher und wiederverwerteter Cellulose sowie aus Restfasern der landwirtschaftlichen Produktion.
Laut Cuypers ist Sea Wood zu 100 % natürlich, kompostierbar und frei von chemischen Zusätzen. Das Plattenmaterial soll im Innenausbau sein Einsatzgebiet finden und ist als dünner Werkstoff auch zum Belegen von Trägerwerkstoffen gedacht. Der Produktionsstart von Sea Wood war für 2024 geplant.
Man könnte auch von natürlichen Werkstoffen sprechen. Darunter versteht man Materialien, Werkstoffe und Produkte, die ganz oder teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt sind. Diese können naturbelassen oder modifiziert sein. Deshalb zählen auch Biokunststoffe dazu, die ganz oder teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Nicht selten werden den Biokunststoffen noch weitere Stoffe zugesetzt und trotzdem mit dem Prädikat «biobasiert» versehen.
Darunter versteht man ein biobasiertes Material, das sich wieder in den natürlichen Stoffkreislauf zurückführen lässt. Die biogene Herkunft und die biologische Abbaubarkeit gehen nicht zwangsläufig miteinander einher. Beschichtungen, Klebstoffe oder Verbundmaterialien stehen einer Biozirkularität oft im Wege.
Sie sind grundsätzlich biologisch abbaubar. Jedoch gibt es zum einen den einfachen Kompost, auf dem viele biobasierte und biozirkuläre Materialien lange erhalten bleiben können. Zum anderen existiert die industrielle Kompostierung bei rund 60 °C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 95 %. Dabei zersetzt sich so manches, was sich im Kompost nicht abbauen liesse. Die biologische Abbaubarkeit beschreibt lediglich die Aufspaltung eines Materials in Grundstoffe durch Mikroorganismen. Kompostierbarkeit geht darüber hinaus und hinterlässt fast nur Komposterde. Beide Kennzeichnungen entsprechen allerdings nicht immer der Realität.
Veröffentlichung: 28. November 2024 / Ausgabe 48/2024
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