Nachbarn bleiben

Viele empfinden Marktdifferenzen zu Nachbarn als Bedrohung. Andere verdienen damit sogar Geld. Bild: Fotolia, Vege

Ausländische Mitbewerber.  Unterstützt durch den starken Franken scheint der Schweizer Markt für deutsche Schreiner besonders attraktiv geworden zu sein. Damit wächst der Druck auf hiesige Schreiner, es bieten sich aber auch neue Chancen – durch eine klare strategische Positionierung.

Näher dran geht nicht. Die Schreinerei Meier-Löliger AG hat ihr Domizil an der Grenzstrasse in Basel gewissermassen direkt auf der Grenze. Täglich sieht Inhaber Primo Müller die Nummernschilder der nördlichen Nachbarn kommen und gehen, die auch aufgrund des starken Frankens gerne in der Schweiz ihre Dienstleistungen und Produkte anbieten. «Als Kleinbetrieb mit nur einem Beschäftigten spüre ich die Konkurrenz aus Deutschland nicht, auch weil wir vor allem für Verwaltungen tätig sind und es dafür ein Beziehungsgeflecht braucht», erkärt Müller.

Am anderen Ende der Schweiz klingt es nicht viel anders. «Auf unserem Niveau nehme ich deutsche Konkurrenz nur wenig wahr. Im unteren Preissegment mag das anders sein, vor allem bei den Küchen, aber das plagt mich nicht», sagt Othmar Huser, der mit seiner Schreinerei in Steinach am Bodensee nur wenige Kilometer von den Euroländern Österreich und Deutschland entfernt ist.

Anders hört sich das bei den grösseren Unternehmen an. Zum Beispiel die Schreinerei Tschudin AG in Münchenstein. «Das ist ein Thema, wir spüren die deutsche Konkurrenz hier in der Grenzregion durchaus», sagt René Mayer, Verkaufsleiter beim Unternehmen. «Aufgrund der höheren Kosten haben wir Schweizer Unternehmen Schwierigkeiten, beim Preis mitzuhalten», so René Mayer. «Viele Kunden informieren sich in der Schweiz und bestellen dann in Deutschland. Eine Küche aus Deutschland kann schon Mal um ein Drittel billiger sein, andere Leistungen sind aber nicht immer günstiger», analysiert Mayer. Er setzt auf Swissness und die Argumentation damit. So kauft das Unternehmen kein Material in Deutschland, sondern pflegt seine langjährigen Beziehungen. «Wir sind ein Schweizer Unternehmen, zahlen hier unsere Steuern und deswegen agieren wir auch auf dem Schweizer Markt und bestellen bei Schweizer Lieferanten. Mit sechs Auszubildenden samt Ausbildnern und der Unterstützung durch regionale Wirtschaftskreisläufe leistet die Schreinerei Tschudin auch einen Beitrag zur Wohlfahrt, sozial und ökologisch. «Das wird aber nicht immer honoriert vom Kunden, die direkte Konkurrenz ist stark», erklärt René Mayer.

Trotz räumlicher Nähe spielen französische Anbieter kaum eine Rolle für die Schreinerei Tschudin. Und auch in der anderen Richtung werden österreichische Mitbewerber nicht halb so stark wahrgenommen wie das Wirken der nördlichen Nachbarn. Ist die Währungsdifferenz besonders gross, steigt auch die Zahl der Unternehmen, die diese «Mitnahmeeffekte» für sich kurzfristig realisieren möchten. «Als sich der Franken nahezu auf gleichem Niveau wie der Euro befand, war der Druck immens», erinnert sich Mayer. Inzwischen habe sich das Ganze auf einem hohen Level eingependelt.

Hans Vettiger von der Universität Liechtenstein mahnt zur Differenzierung beim Thema und beschäftigt sich eingehend mit den grenzüberschreitenden Entwicklungen. Unter den Annahmen für die nächsten zehn Jahre, dass der Schweizer Franken um 10 bis 20% gegenüber dem Euro überbewertet bleiben wird, die Lohnkosten um 20 bis 30% über denen der Deutschen liegen werden, die Tiefzinssituation der Schweiz anhalten wird und sich der recht gut abgeschottete Markt der Bau- und Baunebenindustrie zunehmend öffnet, kommt der Wirtschaftswissenschaftler zum Schluss: «Der Schweizer Markt wird attraktiv bleiben für die Nachbarn, da die Deutschen um rund ein Drittel günstiger produzieren können und auch unter Berücksichtigung aller Nachteile für diese ein Kostenvorteil von 20% bleibt.»

Es sind strategisch-unternehmerische Herausforderungen, die sich daraus ergeben, und weniger die Reaktion auf ein Phänomen, dass aufgrund einer besonderen Situation kurzfristig für Unruhe sorgt. Aber die Tendenz scheint eindeutig, wie sich auch aus anderen Zahlen ablesen lässt: An der letzten Swissbau-Messe in Basel waren 50% mehr deutsche Aussteller gegenüber der Vorveranstaltung.

Der Schweizer Markt wird für die Deutschen attraktiv bleiben, da sie um rund ein Drittel günstiger produzieren können.

Eine Wanderbewegung vom Tätigkeitsgebiet Deutschland in Richtung Schweiz kann Hans-Ulrich Hechtl vom Verband der bayerischen Schreiner indes nicht ausmachen. «Man hört zwar immer wieder einmal, dass ein bayerischer Schreiner Kundschaft in der Schweiz hat. Aber dass dies signifikant zugenommen hätte, ist nicht erkennbar.» Auch die Schreinerei Auinger im nicht gerade um die Ecke gelegenen Würzburg hatte schon Aufträge in der Schweiz. «Wir arbeiten überall, wo es gute Aufträge gibt, ob das Berlin oder Zürich ist, das ist eigentlich egal», sagt Marion Auinger. Eine Ausrichtung auf die Schweiz aber strebt sie nicht an. Vettiger sieht viele Schreinereien nicht eindeutig positioniert, was die Anfälligkeit gegenüber neuer Konkurrenz verstärkt. Dabei könne der Schreiner auch unter den neuen Umständen heute mehr verdienen als früher. «Voraussetzung ist jedoch, dass eine eindeutige Strategie mit einer passenden Betriebsgrösse und dem Tätigkeitsfeld vorliegt», so Vettiger.

Wer nicht klar positioniert ist, verstärkt die Anfälligkeit gegenüber neuer Konkurrenz.

Eine Strategie ist das «klein bleiben». Wenn der Chef persönlich akquiriert und in einem lokalen Markt mit wenigen Mitarbeitern tätig ist, dann ist der Vorteil für Schweizer durch die persönlichen Beziehungen und Nähe unschlagbar. «Hier werden sich die Deutschen immer schwer tun», weiss Vettiger. Auch die gehobene Nische sieht das Vorstandsmitglied des KMU-Zentrums Holz als relativ sicheren Hafen, «denn dieser Bereich ist nicht preissensitiv».

Nötige Anpassungen für eine strategische Ausrichtung macht Hans Vettiger indessen auf anderen Tätigkeitsgebieten aus. «Bei den Küchen sieht man das besonders deutlich. Der Konsument als einmaliger Bauherr sieht den inhaltlichen Unterschied zwi-schen den Angeboten nicht wirklich, wohl aber die Preisdifferenz. Hier gibt es Unternehmen, die nicht klar kommunizieren, was sie eigentlich anbieten und warum. Die Konsumenten haben dann das Gefühl, man könne das Gleiche zum halben Preis kaufen. Wer alle Preissegmente bedient, hat es deshalb schwer», erklärt Vettiger.

«Heute muss man sehr klar wissen, wo man tätig ist, welches Volumen dieser Markt hat und welche Betriebsgrösse dafür die richtige ist», so Vettiger. Ein Weg für grössere Unternehmen, trotz wachsender Konkurrenz erfolgreich zu sein, sieht der Experte darin, sich bewusst vom exzellenten Schweizer Handelsservice zu verabschieden und Kooperationen in Deutschland einzugehen. Denn die Produktion wandert dorthin, wo sich grössere Margen realisieren lassen: im gehobenen Segment in grenznahen Regionen, während die Produktionsorte für Massenware immer weiter ostwärts wandern. Vettiger räumt den Schreinern in Zukunft aber trotzdem grosse Chancen ein, wenn sie sich positionieren. «Die Schreiner sind die Intelligentesten auf der Baustelle. Sie könnten deshalb genau dort wirken, wo das Schweizer System seine Schwachstellen hat. Etwa indem sie die Koordination auf der Baustelle übernehmen. Erfolgreiche deutsche Firmen wirken in der Schweiz bereits als solche Systemintegratoren.

Die «guten deutschen Schreiner», wie sie Hans Vettiger gerne nennt, sind längst in der Schweiz aktiv und zwar strategisch aufgestellt, etwa bei der Montage auf grösseren Baustellen. Warum nicht mit solchen Unternehmen zusammenarbeiten, anstatt sich die Butter vom Brot nehmen lassen? Wer auch hier klein ist und wo der Chef mit fünf Mann auf der Baustelle arbeitet, da sieht der Wirtschaftswissenschaftler auch künftig Konkurrenzfähigkeit, auch gegenüber der Montagemannschaft aus Dresden oder Leipzig.

Die guten deutschen Schreiner sind längst in der Schweiz aktiv.

«Die guten deutschen Unternehmen sind im Kommen in der Holzbranche, setzen die Schweizer Preise minus 5% und haben so einen ungeheuren Profit, wegen der geringeren Kosten im Heimatland.» Aber, so sagt Vettiger, das sei gut für beide Seiten. Denn es mache die Preise nicht kaputt und gleichzeitig würden sich daraus Chancen der konstruktiven Zusammenarbeit ergeben. «Gut» heisst für Hans Vettiger, dass man sich richtig positioniert hat. «Wenn das alles nur eine Frage des Preises wäre, könnte etwa die Schreinerei Schneider in Pratteln kaum die deutsche Eisenbahnindustrie mit Toilettenkabinen beliefern.»

Schliesslich sieht der Experte einen deutlichen Mangel an qualifizierten Berufsfachleuten für die Schreinereien. Auch deshalb müsse man sich gegenüber dem Ausland öffnen und deutsche Schreiner deutlicher willkommen heissen als bisher. Denn, «der Fachkräftemangel an Schreinern wird in der Schweiz bald das grössere Problem sein und nicht die deutsche Konkurrenz», so Hans Vettiger.

cH

Veröffentlichung: 02. November 2012 / Ausgabe 44/2012

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