Nach drei Jahren wird ausgewechselt


Bild: Christian Härtel Mit brennender Zigarette und Turnschuhen, ohne Gehörschutz: So wird in einem Sägewerk in Belarus gearbeitet.
Bild: Christian Härtel Mit brennender Zigarette und Turnschuhen, ohne Gehörschutz: So wird in einem Sägewerk in Belarus gearbeitet.
Sägewerk in Weissrussland. Der Besuch einer Produktionsstätte für Nadelschnittholz im weissrussischen Mogilev gewährt tiefe Einblicke. Im auffallend aufgeräumten Land herrschen schwierige Verhältnisse für die Arbeiter der Branche, die auf internationalen Märkten agiert.
Das heruntergekommene Steingebäude lässt keinen Blick ins Innere zu. Von aussen erinnert die Halle mit dem Tunneldach aus Wellblech eher an eine Geflügelfarm. Der Geruch von frisch gesägtem Holz liegt in der Luft, und vor allem die Geräuschkulisse, besser gesagt der Lärm, ist eindeutig. Es handelt sich um eine weissrussische Produktionsstätte für Schnittholz.
«An manchen Tagen riecht es in der ganzen Stadt. Die meisten Leute denken, dass es der Duft von Holz ist», sagt Alexander Sokolow (Name geändert), Inhaber des Sägewerkes, und er fügt hinzu: «Dabei handelt es sich um den Geruch des OSB-Werkes von Kronospan vor Ort.» Immerhin ist hier Europas grösste Produktionsstätte für diesen Holzwerkstoff ansässig. «Die Leute riechen nicht das Holz, sondern vor allem das eingesetzte Bindemittel mit dem typischen Geruch», sagt Sokolow mit einem Lächeln.
Ohne ortskundigen Führer findet man das Sägewerk nicht. Kein Schild und kein erkennbares Gewerbegebiet deutet auf die Produktionsstätte hin, zwischen Gärten und einfachen Wohnhäusern gelegen. Der Zufahrtsweg ist unbefestigt, mit Schlaglöchern gespickt und hat schon lange keine Instandhaltungsarbeiten mehr gesehen.
Für den Weg hinein in die Sägehalle steigt man mit wohlüberlegten Schritten über den Kettenlängsförderer für den Rundholztransport vom Holzplatz zu den Sägen.
Ein schneller, aber klarer Blick links und rechts hilft dabei, auch wenn Sokolow vorauseilt. Denn die Produktion läuft.
Die Stämme auf dem Förderer fahren unentwegt vorüber. Wer diesen Einstieg geschafft hat, steht auch schon mittendrin in einem von etwa 40 Sägewerken dieser Art rund um Mogilev, die drittgrösste Stadt von Belarus im Osten des Landes.
Die Kleinsägewerke liegen ringartig angeordnet am Rande der Stadt. Vom zentralen Flughafen der Hauptstadt Minsk erreicht man Mogilev, eines von drei wichtigen Holzverarbeitungszentren des Landes, nach gut zwei Stunden Fahrt mit dem Auto.
Die Autobahn zwischen den beiden Städten ist in einem exzellenten Zustand. Und es gibt kaum Verkehr bei der Reise durch das auffallend dünn besiedelte Land. Stattdessen Wiesen und Felder – und vor allem auch ausgedehnte Waldflächen. Im Wald wachsen überwiegend Föhren und Fichten. Etwas Laubholz ist auch darunter, vor allem Birke. Überhaupt wirkt alles zunächst sehr aufgeräumt und ordentlich.
Überraschend gut, nahezu reibungslos, funktioniert bis dahin die Reise in der Rolle als potenzielle Kunden für Schnittholz. Die Passkontrolle in Minsk war zwar etwas kritisch, denn als Schutz vor Gesundheitstouristen muss jeder Einreisende eine spezielle Auslandskrankenversicherung nachweisen. Die Dokumente sind natürlich nicht ins Russische übersetzt, und die englische Variante reichte zunächst nicht aus. Schliesslich überzeugte die reguläre Magnetstreifenkarte der Krankenversicherung die Grenzbeamten.
Alles verläuft bis zu diesem Zeitpunkt erwartungsgemäss, denn schliesslich handelt es sich um einen Besuch beim vorerst letzten Diktator Europas. Dieser scheint das Land im Griff zu haben. Geraucht wird auch vor dem Flughafengebäude nur in den gekennzeichneten Flächen.
Alles wirkt ordentlich und gut organisiert. Auch im Strassenverkehr, wo man sich überwiegend an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hält. Nur die gelegentlich auf der Autobahn wendenden Pferdegespanne oder abbiegenden Traktoren altertümlich-russischer Bauart liefern Hinweise auf eine andere Wirklichkeit im Land. Und sie verweisen gleichzeitig auf das übliche Bild in den Köpfen der Besucher von einem darbenden und autoritär geführten Staat.
In der Sägehalle stehen vier horizontale Bandsägen leichter Bauart von verschiedenen Herstellern, wie es sie auch mobil mit Fahrwerk als Anhänger gibt. «So oder so ähnlich sehen die Sägewerke hier alle aus», sagt Sokolow. Produziert wird, was überwiegend im Ausland gefragt ist. Bauholz aus Kiefer und Fichte sowie Palettenware. Die Qualität des erzeugten Schnittholzes ist gut bis normal und wird entsprechend international klassifiziert. Und die Preise dafür sind unschlagbar niedrig.
Der Kontakt zwischen den Erzeugern vor Ort und der internationalen Kundschaft kommt in der Regel über die einschlägigen Internetportale zustande. Die Spielregeln scheinen immer gleich: Zuerst kommt ein Investor mit einem Werk auf der reichlich vorhandenen, grünen Wiese. Dann folgen viele Kleinunternehmer vor Ort.
«Wer etwas macht hier, der kann auch gut leben. Die anderen haben es schwer», sagt Sokolow. So war es auch in Mogilev. Im Windschatten von Kronospan haben die kleinen Sägewerke ihren Platz gefunden. So nimmt der Holzwerkstoffhersteller den Sägereien auch die anfallenden Resthölzer für die Herstellung der OSB-Platten ab. Weissrussland ist ein Land, in dem man noch richtig günstig Holz einkaufen und mit dem Werkstoff für den Weltmarkt produzieren kann. Auch Zulieferer für Ikea sollen längst im Land sein.
Denn in Belarus lässt es sich nochmals günstiger produzieren als in den baltischen Republiken oder anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks. Die Logik dahinter ist immer dieselbe: «Wir gehen dorthin, bevor es ein anderer tut.»
Das Exportgeschäft ist ein Bereich, in dem der Staat seine Sägeunternehmer offensichtlich agieren lässt, es ist der Bereich, in dem wenige durchaus Geld verdienen.
Die örtlichen Sägeunternehmen arbeiten auch zusammen, wenn es um grössere Aufträge der Kunden im Ausland geht. So stemmen sie Bestellungen von grossen Nachfragern, etwa aus Grossbritannien.
Einen Innovations- oder Technologievorsprung eines Sägers gibt es kaum. Letztlich arbeiten alle ähnlich, und wenn schnell geliefert werden muss, kommt der Griff zum Telefon und die Bitte um Hilfe bei der nicht wirklich vorhandenen Konkurrenz, um die Kundenwünsche zu bedienen.
Mit den vier Bandsägen erzeugt das Sägewerk von Sokolow knapp 1200 m3 Schnittholz im Monat. Hochgerechnet auf ein Jahr, kommt man so auf recht stolze 144 000 m3 Jahresproduktion. Die Rechnung ist einfach, denn gearbeitet wird im Zweischichtbetrieb. In Belarus heisst das: rund um die Uhr. Schichten dauern von 8 bis 20 Uhr respektive von 20 bis 8 Uhr. Ein Arbeiter bekommt dafür zwischen 200 und 300 US-Dollar im Monat. Das gilt aber nur für diejenigen, die an den Maschinen arbeiten.
Die anderen helfenden Hände erhalten deutlich weniger. Nach drei Jahren wechselt Sokolow das Personal komplett aus. Die Schichtarbeit sei schliesslich hart, und man brauche leistungsfähige Mitarbeiter.
Die Frage nach Pausenzeiten, Ferienanspruch oder Sozialversicherung erübrigt sich fast. «Die Arbeiter verdienen gut bei uns», beschwichtigt Sokolow. Denn immerhin bezahlen die privatwirtschaftlichen Sägewerke mehr als die staatlichen Betriebe, die laut Sokolow genauso arbeiten.
«Dort verdienen die Arbeiter kaum mehr als 100 US-Dollar», sagt Sokolow. Die Regierungssägewerke produzierten aber trotzdem teurer. Dies sei der Grund dafür, dass das Exportgeschäft überwiegend in der Hand der privaten Akteure sei.
Nicht ohne Stolz zeigt der Unternehmer unter dem Dach eines offenen Anbaus die neue Vielblattsäge. «Damit haben wir eine entscheidende Engstelle im Produktionsablauf beseitigt und die Verfügbarkeit deutlich gesteigert», freut sich Sokolow.
Die grossen Mengen immer gleicher Masse lassen sich nun viel schneller erzeugen. Besäumen und auftrennen des Schnittholzes in nur einem Durchlauf. Das wirkt schon fast wie ein Innovationsvorsprung.
In drei Jahren wird die Maschine, genauso wie die Bandsägen, ausgetauscht werden. Durch den Betrieb rund um die Uhr und wohl auch durch das ungelernte Personal sind die Maschinen nach kurzer Zeit verschlissen. Dann sinkt die Produktivität, und das kann man sich bei den Preisen einerseits und den Qualitätsansprüchen der Kundschaft andererseits nicht leisten.
Die alte Innenstadt von Mogilev präsentiert sich gegenüber dem Stadtrand mit den Sägewerken in einem ganz anderen Licht. Hier gibt es viele Restaurants und Cafés, die am Abend meist gut besucht sind. Die Altstadt ist herausgeputzt, gemütlich und wirkt lebenswert. Auch weil es die überwiegend jungen Einheimischen sind, die hier sitzen, essen und Sisha rauchen. Touristen verirren sich nur selten hierher.
Wer in der Stadt wohnt, muss zwischen 100 und 200 US-Dollar für ein schönes Apartment aufbringen. Für Leute wie Sokolow ist das natürlich kein Problem, er fährt ein teures Auto. Für einen Arbeiter im Sägewerk ist das unerschwinglich. Auf die Aussage, dass es für einen Europäer durchaus attraktiv sein kann, in Mogilev zu wohnen und zu leben, versichert Sokolow glaubhaft, dass Westeuropäer nicht wirklich in Weissrussland leben wollten.
Zur Frage nach Politik und Gesellschaft schweigt Sokolow. Aber seine Mimik zum Schweigen spricht Bände.
Am Abend zurück im Hotel arbeitet immer noch derselbe Rezeptionist, der bereits am Morgen zugegen war. Klar, auch für ihn lautet die Arbeitsformel: von acht bis acht. Die Frage steht im Raum, wo die Gemeinsamkeiten mit den übrigen europäischen Ländern liegen. Und unweigerlich drängt sich eine weitere Frage auf: In welchen Holzprodukten aus den Regalen in den Einrichtungshäusern hierzulande steckt wohl die Arbeit der sympathischen Menschen, die einem in Weissrussland begegnen?
Veröffentlichung: 30. August 2018 / Ausgabe 35/2018
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