Kleider machen Handwerker


Mancher Schreiner trägt sie noch, anderen ist sie ein Begriff: Die blauweiss gestreifte «Kulthose». Bild: Albiro AG
Mancher Schreiner trägt sie noch, anderen ist sie ein Begriff: Die blauweiss gestreifte «Kulthose». Bild: Albiro AG
Arbeitshosen. Berufsbekleidung sagt viel darüber aus, wer in ihr steckt. Firmen setzen jedoch zunehmend ihre Corporate Identity auch auf den Arbeitskleidern um – das Handwerk selbst gerät zumindest optisch in den Hintergrund. Auf dem Vormarsch sind die Funktionen.
Der Koch ist weiss gekleidet, trägt allenfalls eine grau karierte Hose und ist dank dem Hut von weither sicht- und erkennbar. Dem Chirurgen vertraut man wegen seines grünen Mantels. Der Arzt wiederum ist ganz in Weiss gehüllt, und die Arbeitskluft des Feuerwehrmannes leuchtet in auffallendem Rot. Reflektierende Streifen sorgen bei ihm für Sicherheit.
Was etwas klischeehaft erscheinen mag, war vor allem im Handwerk tatsächlich lange Zeit gelebte Praxis: Kleider machen Handwerker.
Längsstreifen in Blau und Weiss – eine Art Nadelstreifen also – waren ein Indiz dafür, dass es sich beim Träger um einen Schreiner handelt. Doch diese berufsspezifischen Merkmale verschwinden zunehmend. «Kein einziger der jungen Schreinerlernenden trägt heute noch Gestreift», sagt Reinhard Gafner beim Blick in seine Klasse. Er ist seit vielen Jahren Lehrmeister bei den Lehrwerkstätten Bern (LWB). Seine Lernenden bevorzugen bei den Arbeitshosen die Farben Schwarz und Grau. Dazu tragen viele das rote LWB-Shirt, welches von den Lehrwerkstätten zur Verfügung gestellt wird.
Das Beispiel zeigt eines deutlich: Corporate Identity löst die durch den Beruf bestimmte Arbeitsmode ab, die Firma fungiert vermehrt als Kleiderdesigner. Schreinereien legen Wert auf den eigenen Firmenauftritt und stellen dem Arbeitnehmer aus diesem Grund nicht selten beschriftete Kleidung zur Verfügung.
Berufsbekleidung hat sich in den letzten Jahren aber nicht nur in gestalterischer, sondern auch in technischer Hinsicht gewandelt. Die Textilien sind besser geworden. «Die klassische Überhose wurde zur Funktionsbekleidung weiterentwickelt, welche heute auch professionelles Arbeiten möglich macht», erklärt Roland Loosli, Geschäftsführer der Albiro-Gruppe, zu der die Marke Wikland gehört.
Hinter einer unscheinbaren Holzfassade im bernischen Sumiswald betreibt der Bekleidungsspezialist unter anderem die weltweite Produktentwicklung. Da wird konzipiert, entworfen, genäht, verfeinert und repariert.
Dass die blauweiss gestreifte Schreinerhose früher tatsächlich noch als «Überhose» Verwendung fand, zeigt Roland Loosli anhand eines kleinen, aber nicht unwesentlichen Details: Das Kleidungsstück besass auf beiden Seiten unter dem Bund noch einen «Durchgriff». Wer den Knopf hier öffnete, konnte durch die Überhose hindurch greifen und gelangte an die Taschen der darunterliegenden Freizeitbekleidung. Solche Durch- oder Eingriffe sind bei modernen Arbeitshosen für Schreiner kaum mehr anzutreffen.
«Beim Textil, aus dem die Streifen waren, handelt es sich um ein ‹Coutil-Fabric›», bemerkt Roland Loosli, «eine spezielle Webart mit Fischgratstruktur.» Vereinfacht kommt sie als «Twill» weiterhin auch bei Arbeitshosen zum Einsatz. Ein Hinweis auf die Herkunft des vermeintlich schreinertypischen Streifenmusters besteht darin, dass auf dem starken Kontrast der Staub nicht gut sichtbar ist, ein Trick, dessen sich auch Hersteller von Sitzpolstern im öffentlichen Raum gerne bedienen.
Und heute? Ist die blauweiss gestreifte Schreinerhose vollständig aus der Arbeitswelt verschwunden? Nicht ganz. Die Albiro AG verkauft nach eigenen Angaben jährlich immer noch ungefähr um die 1000 Stück der guten alten Schreinerhose. Interne Diskussionen kreisen gemäss Roland Loosli zuweilen um das Modell, das nostalgische Gefühle weckt. Die Meinungen darüber, ob man das Produkt einstellen solle, gehen aber auseinander. «Einige nennen das Kleidungsstück ‹Kulthose›, andere finden es einfach spassig und eine weitere Gruppe hält dessen Träger für eine aussterbende Spezies», gibt Loosli schmunzelnd zu bekennen.
Fakt ist: Besagte Hose besteht fast immer zu 100 % aus Baumwolle und ist damit äusserst angenehm zu tragen. Moderne Hosen sind vermehrt aus Mischgewebe zusammengesetzt. Nebst Baumwolle ist da zum Beispiel Polyester eingewoben, welches das Gewebe besonders strapazierfähig und das Bügeln überflüssig macht. Ein anderer Stoff enthält stattdessen Elastan, das im Sinne einer Stretchhose für besonders angenehmen Sitz sorgt, denn auch wenn sich im Bereich der Arbeitshosen in letzter Zeit viel getan hat, gelten Tragekomfort und Passform auch heute noch als Schlüsselfaktoren zum Erfolg.
Die Funktionalität ist ein weiterer Gesichtspunkt, auf den es ankommt. In diesem Bereich wird getüftelt, was das Zeug hält. Taschen für Knieeinlagen gehören fast zum Standard einer modernen Arbeitshose.
Die Hersteller werben mit zweifachen oder dreifachen Nähten. Extrarobuste Textilien wie beispielsweise das «Cordura»-Gewebe verstärken Taschen für spitziges Werkzeug.
Aufgesetzte Beintaschen sind bei modernen Hosen nicht mehr eng anliegend, sondern leicht abstehend, so dass der Doppelmeter in sitzender Position nicht in den Oberschenkel oder die Kniescheibe sticht.
«Ein wichtiger Aspekt betrifft die Gurtschlaufen», erklärt Roland Loosli, indem er eine alte und eine neue Bundhose gegenüberstellt. Während die blauweiss gestreifte Version nur sechs Gurtschlaufen aufweist, sind es bei der allerneuesten Kollektion neun Stück. Diese sind zudem breiter, und eine zusätzliche textile Verstärkung sorgt dafür, dass der Gurt auf dem Hüftknochen nicht einschneidet. Eine interessante Anekdote weiss Roland Loosli über die Taschen für das Mobiltelefon zu erzählen, die heute an der Arbeitshose nicht fehlen dürfen. «Die Entwicklungsabteilung musste diese stets den kleiner werdenden Mobiltelefonen anpassen», sagt er, «bis Letztere in Form von Smartphones nun wieder grosse Taschen ausfüllen.»
Zum Schluss ein paar Zahlen: Roland Loosli nennt ganz klar die Arbeitshose als bestverkauftes Stück in seinem Lager. Gemäss eigener Aussage fallen beim Sumiswalder Unternehmen rund 80 % der Verkäufe auf dieses Kleidungsstück, während die restlichen 20 % von den übrigen Teilen im Bereich «Workwear» ausgefüllt werden. Die Kategorie der Arbeitshosen wiederum teilt sich auf in Bundhosen, Latzhosen und Overalls. «Den Overall braucht es heute quasi nicht mehr», erklärt Loosli die Eigenheiten der Zeit. Auch die Latzhose sei in der Schweiz kaum mehr gefragt. Ähnliches belegen die Verkaufszahlen des VSSM-Schreinershops. Im letzten Jahr sind kaum Latzhosen mit dem beliebten Macher-Logo verkauft worden. Demgegenüber steht eine Vielzahl an Bundhosen. Es sei jedoch vermerkt, dass dieser Schreiner-Trend nicht unisono gültig ist: «Die Schweiz ist ein typisches Bundhosen-Land», schmunzelt Loosli. «Geht man nach Deutschland, sehen die Zahlen ganz anders aus.» Beim grossen Nachbarn scheint der Tischler Latzhose zu tragen.
Auch Arbeitskleider sind halt nicht zuletzt so individuell wie der Träger selbst. «Oder sagen wir es so», schliesst Roland Loosli das Gespräch: «Wenn wir jährlich zwei Millionen Teile produzieren, dann generieren wir zwei Millionen Experten.»
www.albiro.comwww.wikland.chInfolge einer Firmenübernahme liess die Schreinerei Könitzer + Hofer AG aus Worb nicht nur ihr Logo neu gestalten, sondern passte den gesamten Firmenauftritt den Zeichen der Zeit an. Dazu gehörte auch die Beschaffung von neuer, einheitlicher Arbeitskleidung. Bei der Auswahl der Textilfarbe richteten die Verantwortlichen ihr Augenmerk nicht nur darauf, dass der Staub auf den neuen Arbeitshosen möglichst schlecht sichtbar ist; ein Kriterium war auch die Auswahl einer Grundfarbe, die in mehreren Jahren noch zur Verfügung stehen wird. Bei der Schreinerei Könitzer + Hofer einigte man sich auf Grau.
Maschinist Reto Hofer gibt der SchreinerZeitung Auskunft, wie eine Arbeitshose aus seiner Sicht beschaffen sein sollte.
Ein wenig schon. Soviel ich weiss, ging es in erster Linie darum, dass der Stoff wegen der Flecken nicht zu hell ist. Das war besonders der Montage-Equipe ein Anliegen. Ansonsten waren es meine Vorgesetzten rund um Heiri Wagner, die bestimmten.
Die Arbeitskleidung von Schreinern wandelte sich über die Jahre hinweg. Exemplarisch kann dies am Beispiel der Lehrwerkstätten der Stadt Bern nachvollzogen werden. Auf Bildern aus dem frühen 20. Jahrhundert posieren Schreinerklassen in Schürzen. Teilweise trugen die Lernenden zu der Zeit unter der Schürze helle Hemden.Die Berufsschürzen bestanden meist aus Baumwolle und wurden über die Arbeitsbekleidung angezogen. Sie dienten vor allem dem Schutz der Kleider vor Leimresten. Eine – allerdings wenig verbreitete – Lendenschürze aus dickem Leder schützte manchen Kehl- maschinisten vor Rückschlägen.
Die blauweiss gestreifte Hose sowie das passende Hemd wurden in den Lehrwerkstätten Bern um die 60er-Jahre für Lernende sogar vorgeschrieben. Zeitzeugen verraten, dass sich damals keiner getraut hätte, etwas anderes anzuziehen. Ende der 60er-Jahre lockerte man die Vorschrift, und die Lernenden erschienen vermehrt in den Kleidern, die ihnen als angemessen erschienen.
Die Berufsschürze oder der Berufsmantel setzte sich in der Folge eher als Chefmantel durch. Fachschullehrer, aber auch Schüler trugen diesen zuerst in weisser Farbe, später auch in Blau oder in anderen Farben.
Für die Arbeit in der Werkstatt war dieser Mantel aus Gründen der Arbeitssicherheit stets schlecht geeignet. Das Kader benutzte ihn gerne, weil er schnell übergezogen war, wenn man nach einem Kundenbesuch wieder in der Werkstatt eingreifen musste. Nach einem halben Jahrhundert frei von Uniformzwang identifiziert man sich heute scheinbar eher mit seinem Unternehmen als mit dem Beruf an sich.
www.lwb.chVeröffentlichung: 12. Juni 2014 / Ausgabe 24/2014
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