Handwerk. Seine Werke wurden von zwei Päpsten bestaunt, zweimal gelang ihm bisher der Sprung ins Guinness Buch der Rekorde. Paul Krenz beherrscht wie kaum ein anderer im deutschsprachigen Raum noch die alte Handwerkskunst der Intarsienarbeit.
Wer in den nördlich von Bonn gelegenen Ort Niederkassel kommt, ahnt nichts von den Holzschätzen, die sich hinter der einfachen Hausfassade der Familie Krenz verbergen. «Kommen Sie nur herein», ruft der lebhafte Hausherr mit osteuropäischem Akzent. Seine Vorfahren waren vor über 200 Jahren von Schwaben nach Russland ausgewandert. Von oben bis unten mit Staub bedeckt und mit einer Schleifmaschine in der Hand weist er auf einen bronze-silbrigen Sockel. «Der steht vielleicht bald in Jerusalem, im Holocaust-Museum», erklärt Krenz nicht ohne Stolz. Dann weist er auf eine Holzkugel mit einem Durchmesser von etwa 86 cm. Diese Kugel werde auf dem Sockel befestigt und von innen beleuchtet, betont der Künstler. «Auf diese Weise kommt die Maserung des Pappelknollenfurniers am besten zur Geltung, das Holz fängt regelrecht an, von innen zu glühen.»
Glühende Holzkugel
Die Verbindung zum Holocaust-Museum erklärt Krenz mit der biblischen Geschichte von Kain, der seinen Bruder Abel aus Neid erschlägt, da das Brandopfer des Bruders schöner brannte als das eigene. Die Furnierkugel symbolisiere die Flamme selbst, aber auch die erste Mordtat der Menschheit, der Millionen folgen sollten. Die Aussicht, das Werk bald in Jerusalem besichtigen zu können, beeindruckt. Noch in diesem Jahr werde eine israelische Kommission endgültig entscheiden, welches Werk zum Zuge komme, meint Krenz, aber er sei zuversichtlich, dass er den Zuschlag erhalte.
Was die handwerkliche Qualität der Holzkugel betrifft, hat Krenz wohl beste Chancen. Bei näherem Hinschauen erweist sich ihre Oberfläche bezüglich Furnierzusammensetzung und abschliessender Versiegelung als makellos. Zwei Fragen drängen sich dem Betrachter auf: Aus welchem durchsichtigen Material besteht die Kugelhülle, auf welche die Maserfurniere aufgebracht wurden? Und wie passt man die Furnierteile der Kugelform an? Krenz weicht beiden Fragen aus. Vor allem die zweite zielt auf ein Rezept, das der Künstler in jahrelanger Arbeit entwickelt hat und nicht verraten möchte. Dabei geht es um eine Technik, die es erlaubt, Furniere oder Furnierteile dreidimensional zu verformen und in dieser Form aushärten zu lassen.
Plastisch verformbare Furniere
Neben zahlreichen aufwendigen Intarsienarbeiten in Form von Bildern und Möbeln finden sich in den Ausstellungsräumen des Intarsienmeisters viele Objekte, bei denen diese Technik der Furnierverformung zum Einsatz kam. Vor allem eine Reihe furnierter Hüte fällt auf. In die Hand genommen, sind sie erstaunlich leicht, und von ihrer Unterseite gesehen, sind es ganz normale Hüte, die einen entsprechend guten Tragekomfort besitzen. Von oben betrachtet, findet sich eine geschlossene Furnierschicht, welche die Oberfläche des ursprünglichen Hutes genau nachzeichnet; selbst Falten mit einem entsprechend geringen Radius scheinen für das Holz kein Problem mehr zu sein. Aber auch bei wiederholter Nachfrage: Dies ist eine Technik, die Krenz derzeit nicht verraten möchte. Allerdings wäre Krenz bereit, dieses und andere Betriebsgeheimnisse einem ernsthaften Interessenten an seiner alten Handwerkskunst weiterzugeben, da der Sohn beruflich andere Wege beschreitet. Ob Hüte, Tische, Stühle, Schränke, Steine oder Metallobjekte – nichts ist sicher vor den Angriffen seiner meisterlichen Hand. Wie bei den Hüten mischt Krenz die Techniken auf raffinierte Weise: Zuerst werden die Furniere in Form gebracht und mit der Unterlage verbunden, dann werden sie gefärbt und schliesslich mit Intarsien ergänzt. Zum Schluss behandelt er das Werk so, dass seine Oberfläche jenen von 300-jährigen Intarsienarbeiten gleicht.
Detailliebe ohne Ende
Die Technik der plastisch verformbaren Furniere, wie sie sich an den Hüten oder der Holzkugel für das Holocaust-Museum finden, ist nicht die einzige Sache, die dem Betrachter vor Staunen fast den Atem nimmt. Vor allem ein Bild fällt ins Auge, ein in den Details unglaublich reiches Blumenarrangement, das auf der Fläche von fast einem Quadratmeter zu explodieren scheint. Dieses Bild bescherte seinem Schöpfer einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde. Es besteht aus etwa 6500 Einzelteilen, für deren Bearbeitung Krenz über 1000 Stunden benötigte. Auch andere Intarsienbilder ähnlicher Qualität finden sich in den Räumen. Krenz erzählt von einem Schrank, an dessen intarsierter Oberfläche er zwei Jahre gearbeitet habe und der nun im Besitz einer Bank sei. Damit beantwortet er auch die Frage nach potenziellen Geld- und Auftraggebern.
Motivation durch Armut und Natur
Doch was motiviert Krenz, solche Werke zu vollbringen, Werke, deren Vollendung oft einen 14- bis 16-stündigen Arbeitstag abverlangen, und dies mehrere Wochen hintereinander? Das liege mit Sicherheit auch an seiner Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen in der Ukraine, meint der Russlanddeutsche. Seine Vorfahren, die bereits vor 300 Jahren im Holzhandwerk tätig waren, seien vor etwa 200 Jahren aus dem Schwabenland nach Russland ausgewandert, um sich dort in der Intarsienkunst zu etablieren. «In unserer Werkstatt lag überall Holz herum. Damit habe ich als Kind gespielt und mit der Zeit gelernt, es quasi zu lesen. Das heisst, ich habe Gesichter in der Holzmaserung gesehen oder auch Landschaften und Burgen», so Krenz. Dies weckte die kreative Ader des Jungen. Und die Armut schuf die Motivation, mehr zu leisten als der Durchschnitt. Dieser Fleiss vor allem, aber auch die Liebe zum Detail und zur Natur, sei die Basis all seiner Werke.
«Schauen Sie sich doch mal diese Wurzelmaserung an», meint er und hebt ein beliebiges Stück Wurzelfurnier hoch. «Da sind zig Gesichter zu erkennen, schauen Sie, hier ist eine Nase und dort auch das dazugehörige Auge», meint er angeregt und hebt mit einem Stück Kohle die entsprechenden Konturen hervor. Und tatsächlich, nach längerem Hinsehen wird das Holz plötzlich auch an anderen Stellen lebendig, überall zeigen sich Nasen, Augen und Münder, die wie aus dem Nichts entstehen.
Nicht nur Gesichter, auch Vögel, Bäume und ganze Stadtsilhouetten oder Burgansichten werden in den Furnierbildern des Meisters sichtbar. Es sind Bilder, die man auch als «Holzmalereien» bezeichnen könnte, ganz gleich, ob darin Intarsien verwendet werden oder nicht. Ein beeindruckendes Beispiel für diese «Holzmalereien» ist ein Kreuzweg, der die Leidensstationen Christi aufzeigt. Um die Konturen der Gesichter und Gegenstände herauszuarbeiten, grundiert der Künstler die Furniere in der Regel zuerst, um danach bestimmte Stellen des Furniers nachzufärben. Dazu nimmt er oft auch holzeigene Farben, die mit Lösemittel über längere Zeit aus dem jeweiligen Holz extrahiert werden. Oder er färbt das gesamte Furnier ein und entfernt danach die Farbe wieder stellenweise; so oder so, mit dieser Technik werden bestimmte Konturen, wie Gesichter, auch für den ungeübten Natur- und Holzbetrachter sichtbar.
Der Tanz um das Goldene Kalb
Doch der Anspruch an seine Kunst geht über die Interpretation der Natur weit hinaus. Immer wieder finden sich in den Arbeiten von Krenz Symbole, die entweder gesellschaftskritisch eine deutlich moralische Botschaft beinhalten oder direkt auf Stellen in der Bibel hinweisen. Und vor allem dieses Sendungsbewusstsein hebt die Krenz’schen Arbeiten von der kunsthandwerklichen Stufe auf die künstlerische Ebene. So findet sich in einem intarsierten Hut eine eher unscheinbare Dornenkrone, die an den Leidensgang Jesus erinnert; schaut man aber ganz genau hin, so finden sich statt der Dornen kleine an Bomben erinnernde Geschosse, die an die Gewalt der immerwährenden Kriege auf der Erde erinnern sollen. Eine weitere Arbeit in dieser Richtung ist ein Holzkoffer, an dessen Seite eine intarsierte Ein-Dollar-Note zu sehen ist; auch hier muss man genau hinschauen, da der Geldschein statt einer Geldscheinnummer einen Verweis auf eine Bibelstelle trägt. Ein anderes Bild zeigt ein kleines goldenes Kalb, auf das sich die Aufmerksamkeit einiger Holzgesichter richtet. Dieses Bild verweist auf den biblischen Tanz um das Goldene Kalb und die Frage, ob der Mensch lieber Gott oder dem Mammon dienen möchte. Dies ist eines der Grundthemen in Krenz’ Werk, das in vielen Variationen immer wieder auftaucht.
Botschaft an zukünftige Generationen
Krenz hat als Russlanddeutscher mit einer leidvollen Vergangenheit natürlich einen anderen Blick auf die Welt als die meisten Westeuropäer, die zumeist im Wohlstand aufgewachsen sind. Seine Weltsicht ist eher düster. «Geld und Macht regieren die Welt in zunehmendem Masse», meint der Künstler, «die Menschen entfernen sich zunehmend von der äusseren Natur, aber auch von Gott und von den Geboten der Bibel.» Als Mahnung und krönendes Werk schuf Krenz in den letzten zwei Jahren einen Schrank aus über 30 000 Holzteilen. «Die Innenseiten und -türen dieses Schrankes zeigen aufwendig gestaltete Szenen, die unsere westliche Gesellschaft als Spassgesellschaft darstellen.» Der Künstler hofft, dass dieser Schrank die nächsten Jahrhunderte überdauert und somit die Botschaft seines Schöpfers an zukünftige Generationen übermitteln kann. SK
Hintergrund
Das bewegte Leben des Paul Krenz
Flucht und Verfolgung kennzeichnen den Lebensweg dieses Künstlers. 1948 wurde er in einem kleinen Ort in der Ukraine, etwa 250 km westlich von Kiew, geboren. Die Grosseltern, die eine kleine Schreinerei betrieben, wurden während der kommunistischen Revolution verfolgt, gefoltert und ermordet. Der Vater konnte entkommen.
Nach der Schulzeit wurde Krenz an -einer Kunstberufsschule zum Kunsttischler ausgebildet. Nach Umwegen widmete sich Krenz Anfang der 70er-Jahre in Kiew seinem erlernten Beruf. Den politischen Wandel unter Gorbatschow nahm er schliesslich zum Anlass, sich um die Übersiedlung nach Deutschland zu bemühen. Trotz deutscher Papiere verweigerten ihm die -ukrainischen Behörden aber die Ausreise, so dass die Familie Krenz 1991 eine Urlaubsreise in die damalige Tschechoslowakei zur Flucht nach Deutschland nutzte. Nur wenige seiner Werke konnte der Künstler mitnehmen, den Hauptteil musste er in der Ukraine zurücklassen. Krenz baute Mitte der 90er-Jahre in Niederkassel-Rheidt bei Bonn sein Haus zum Wohn-atelier um. Aufgrund der hohen Qualität seiner Arbeiten verlieh ihm die Handwerkskammer Köln den Titel -eines «Staatlich anerkannten Intarsienmeisters». Derzeit sucht Krenz einen Nachfolger, in dessen Hände er sein umfangreiches Wissen legen kann.
Veröffentlichung: 10. März 2011 / Ausgabe 10/2011
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