Urbaner Holzbau. Ein Wohn- und Geschäftshaus an der Badenerstrasse in Zürich wurde konsequent nach den Kriterien der «2000-Watt-Gesellschaft» entwickelt. Dabei setzten die Architekten den Holzbau pragmatisch ein.
Die Ausgangslage für das Objekt in Zürich sah folgendermassen aus: Im Süden grenzt die rund 2700 m2 grosse Bauparzelle an die stark befahrene Badenerstrasse, im Norden an eine 1,8 Hektaren grosse Grünfläche, die derzeit zu einem Stadtpark umgestaltet wird. Seit den 70er-Jahren stand auf dem Areal ein Provisorium der Migros, das im Zuge einer Aufwertung des gesamten Quartiers dem Neubau weichen sollte. Im Erdgeschoss wurde eine Filiale des Grossverteilers vorgesehen, darüber rund 50 Wohnungen für Singles, Zwei-Personen-Haushalte und Kleinfamilien. Die Bauherrin, die Baugenossenschaft Zurlinden (BGZ), erteilte schliesslich Pool Architekten aus Zürich den Auftrag, das Bauvorhaben zu realisieren.
«2000-Watt-Gesellschaft»
Die BGZ, deren Mitglieder vorwiegend kleine und mittlere Unternehmen aus der Baubranche sind, verfolgt bei ihren Bauprojekten die Ziele der «2000-Watt-Gesellschaft». Dabei strebt man innerhalb mehrerer Generationen eine Reduktion des durchschnittlichen Primärenergieverbrauchs auf 2000 Watt an, also 17 500 kWh pro Person und Jahr. In der Schweiz beträgt der Verbrauch heute 6300 Watt (55 188 kWh) pro Person. Richtlinie für das Bauen in der «2000-Watt-Gesellschaft» ist der SIA-Effizienzpfad Energie. Die Vorgabe des Verbands für Ingenieure und Architekten (SIA) basiert auf einem Energiebudget für das gesamte Gebäude. Wie dieses im Bauprozess verwaltet wird, bleibt den Planern überlassen. In Zusammenarbeit mit Nachhaltigkeitsspezialisten überprüfte und optimierte Pool Architekten deshalb laufend die entscheidenden Grössen Verbrauchs- und Grauenergie.
Dicht gepackt, dennoch grosszügig
Auf dem massiv ausgeführten Sockelgeschoss, das die Migros-Filiale beherbergt, sind sechs Wohnhäuser in Holzbauweise angeordnet: drei vorspringende Einheiten mit je sechs Stockwerken gegen die Badenerstrasse sowie drei nach hinten versetzte, je vierstöckige Einheiten. Sie beinhalten insgesamt 54 Wohnungen. Der Umgebung haben die Architekten spezifisch Rechnung getragen. So sind die Baukörper auf der lärmbelasteten Seite geschlossen, auf der Parkseite lösen Balkone das Volumen auf.
Die Häuser mit Breiten von 10,4 beziehungsweise 13,9 m sind längs in zwei Hälften geteilt, so dass schmale, durchgehende und knapp zwanzig Meter tiefe Grundrisse entstehen. Die Wohnungen sind sowohl nach Süden als auch zum Park hin orientiert und bieten ein offenes Wohnkonzept. Das Raumkontinuum ist mit bewusst gesetzten Verengungen moduliert, was ein besonders gutes Raumerlebnis erzeugt und trotzdem eine Unterteilung des Wohnbereiches in mehrere Zonen erlaubt.
Rohbau mit «Top Wall»
Zu Beginn war das komplette Tragwerk als reiner Stahlbeton-/Mauerwerksbau konzipiert. Im Verlauf der Projektierung stellten die Architekten jedoch fest, dass sich die Wohngeschosse auch in Holz realisieren lassen. Die Schottenstruktur mit Spannweiten bis 5,65 m eignete sich gut für einen Holzbau, zudem lieferte dieser optimale Werte hinsichtlich der Nachhaltigkeit. Die BGZ war bereit, die dadurch entstehenden Mehrkosten von 5 bis 7% zu tragen. Die zwei Untergeschosse, das Erdgeschoss sowie die Treppen- und Lifttürme beliess man in Stahlbeton.
Für den Rohbau der Wohngeschosse kam das von Hermann Blumer entwickelte Wandsystem «Top Wall» zum Einsatz. Massgehobelte Fichtenkanthölzer mit den Abmessungen 100 × 195 mm in der Festigkeitsklasse C24 bilden aneinandergereiht die Aussen- und Trennwände. Die Kanthölzer sind einzeln in einem Raster von 200 mm mit Buchendübeln (Durchmesser 20 mm) auf eine Schwelle respektive einen Einbinder aufgesteckt. Zusätzlich wurde auf halber Wandhöhe je ein Dübel zwischen die Kanthölzer gesetzt. Auf diese Weise richteten die Holzbauunternehmen ein Stockwerk pro Tag auf. Die Geschossdecken sind als Hohlkastenelemente ausgeführt. Sie liegen auf den Wänden sowie auf den an Betonkernen verankerten Auflagerschwellen aus Holz auf.
Vermehrt im Rohbau einsetzen
Aus Brandschutzgründen sind die inneren Oberflächen mit gipsgebundenen Holzfaserplatten beplankt. Die hinterlüftete Fassade wurde mit horizontal angeordneten Glasfaserbeton-Elementen verkleidet. Diese enthalten nicht nur wenig Grauenergie, sondern sind auch in ihrem Unterhalt günstig. Zudem erreichten die Architekten damit den massiven visuellen Ausdruck, der für das innerstädtische Gebäude gewünscht wurde. Mathias Heinz von Pool Architekten sagte: «Der Gedanke der Nachhaltigkeit war ausschlaggebend für die Verwendung von Holz. Hoffentlich wird dieses Baumaterial in Zukunft wieder vermehrt für Rohbauten eingesetzt, wie dies früher der Fall war: Viele alte Häuser in Zürich besitzen einen Rohbau aus Holz.» RW
Hintergrund
Daten und Fakten
Bauherrschaft: Baugenossenschaft Zurlinden (BGZ), Zürich
Architektur: pool Architekten, Zürich
Holzbauingenieur: SJB Kempter Fitze, Herisau
Holzbau: Zimmereigenossenschaft Zürich und Jäggi Hafter, Regensdorf
Ausführung: 2008–2010
Bausumme: 35 Mio. Franken
Nutzung: 24 Wohnungen à 2,5 Zimmer; 21 Wohnungen à 3,5 Zimmer;
6 Wohnungen à 4 Zimmer; 3 Wohnungen à 5,5 Zimmer; Ladengeschoss; Tiefgarage mit 100 Plätzen
Veröffentlichung: 14. April 2011 / Ausgabe 15/2011
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