Hauptsache aussen

Sonne und Hitze aussperren, aber Luft und Licht hineinlassen. Klappläden mit Lamellen können das. Bild: Chrisitian Härtel

Interview.  Julia Bachinger ist seit zehn Jahren bei der Holzforschung Austria in Wien tätig und leitet dort den Bereich Fenster. Im Gespräch erklärt die Expertin, worauf es beim Sonnenschutz in der Praxis ankommt, und ordnet verschiedene Massnahmen mit ihren Auswirkungen.

Mit dem Forschungsprojekt «Coole Fenster» versuchte ein österreichisches Team, das Fenster als passives Haustechnikelement mit seinen Zusatzkomponenten wie dem Sonnenschutz besser zu verstehen. Die zehn goldenen Regeln dazu sind ein Ergebnis dieser Arbeit, die mittels Simulationsstudien erstellt wurde. Federführend dabei war Julia Bachinger, die wichtige Aspekte für wohltemperierte Räume benennt.

schreinerzeitung: In alten Gebäuden braucht man die Energie zum Heizen und in neuen Gebäuden zum Kühlen. Stimmt die Aussage?
Julia Bachinger: Jein. Ältere Gebäude sind oft schlecht gedämmt, weshalb man sie dann deutlich stärker beheizen muss als ein jüngeres Gebäude. In der Planung und Ausführung beschäftigt man sich intensiv mit dem Heizfall im Winter und der Absenkung des Energiebedarfs beim Heizen. Aber wir beschäftigen uns sehr wenig mit dem Sommer.
Manche Gegebenheiten, wie die solaren Energiegewinne durch die Sonneneinstrahlung durch grosse Glasflächen im Winter, wirken sich im Sommer negativ aus. Wir wollen für den Winter möglichst gute, sprich niedrige U-Werte und möglichst hohe g-Werte haben. Im Sommer ist es umgekehrt.
Die Schlussfolgerung daraus ist, dass wir einen Mittelweg brauchen, der für die kalte und die heisse Jahreszeit funktioniert. Wenn man sieht, dass unser Fokus beim Neubau immer noch auf die Heizperiode gerichtet ist, dann stimmt die Aussage in der Tendenz, weil dann oft eine Klimaanlage die Energiebilanz beeinflusst.
Steht die aktuelle Architektur einem solchen vernünftigen Mittelweg entgegen?
Wieder Jein. Grundsätzlich kann man grosse Glasflächen auch sommertauglich hinbekommen. Dazu brauchen diese ein ordentliches Sonnenschutzkonzept. Wenn man sich nicht damit beschäftigt, geht es meist schief. Aber man muss sich inzwischen damit beschäftigen. In Österreich haben wir die OIB-Richtlinien, die den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich, kurz Muken, ähnlich sind. Darin ist festgehalten, dass es einen aussen liegenden Sonnenschutz braucht. Mit diesem ist der Nachweis der Sommertauglichkeit erfüllt. Gibt es diesen nicht, müssen wir rechnen und herausfinden, welche Massnahmen zum gewünschten Ergebnis führen. Die Architektur hat sicher einen Einfluss auf das Thema. Sie ist aber nicht der einzige Faktor. Manche Fehler halten sich auch hartnäckig. So denken manche Planende, dass es keinen zusätzlichen aussen liegenden Sonnenschutz braucht, wenn ein Vordach oder ein auskragender Balkon über dem Fenster ist. Das ist natürlich nicht so, weil der Schutz nur dann gegeben ist, wenn die Sonne genau im Süden steht. Auch die spiegelglatte Glasfassade funktioniert nicht im Sinne des sommerlichen Hitzeschutzes. Es braucht zwingend einen aussen liegenden Schutz.
Dann ist nicht die zeitgenössische Architektur für den Hochlauf der Klimaanlagen verantwortlich, sondern der unzureichende Sonnenschutz?
Die Architektur findet durchaus Lösungen, grosse Glasflächen mit einem wirksamen Sonnenschutz zu verbinden. Das können etwa Balkone sein, die schon auf dieser Ebene Sonnenschutzelemente haben. Man sieht immer mehr Beispiele, wo dies gelingt. Hoch gebaute Glaspaläste mit Klimaanlagen gehören nicht zu diesen zukunftsweisenden Lösungen.
Man hört in Bezug auf Glasfassaden immer wieder, dass Sonnenschutzgläser eingesetzt würden.
Ein Sonnenschutzglas reduziert die solare Einstrahlung in den Innenraum, im Sommer genauso wie im Winter. Durch den niedrigen g-Wert erreicht man im Winter nur wenig solare Zugewinne im Innenraum, die in der kalten Jahreszeit aber erwünscht wären.
Ein weiterer Nachteil der Gläser: Mit einem Sonnenschutzglas kommt man auf einen g-Wert von etwa 0,3. Beim aussen liegenden Sonnenschutz kommt der g-Wert bis auf 0,1 runter. Der aussen liegende Sonnenschutz ist also deutlich wirksamer, und man muss im Winter nicht auf die solaren Zugewinne verzichten.
Ausserdem: Das Sonnenschutzglas mit reduziertem g-Wert verändert das Spektrum der Lichtfrequenzen, die durchgehen. Deshalb gibt es verschiedenfarbige Sonnenschutzgläser. Sie nehmen also Einfluss auf die Lichtfarbe, die Qualität und die Lichtmenge im Innenraum. Deshalb muss so etwas geplant werden. Man kann also einen aussen liegenden Sonnenschutz nicht durch ein Sonnenschutzglas ersetzen. Das ist nicht das Gleiche und führt zu unterschiedlichen Effekten.
Wiederum kann der Einsatz von Sonnenschutzgläsern zum Beispiel dort, wo die Anbringung eines Schutzes schwierig ist, durchaus sinnvoll sein. Etwa bei Sonderformaten von Fenstern.
Wie bedeutsam sind eigentlich die solaren Zugewinne durch Glasflächen im Winter?
Die sind sehr wichtig, siehe etwa den Minergie-P-Standard. Ohne die solaren Zugewinne wäre eine Zertifizierung nach Minergie P nicht möglich. Wie wichtig sie sind, sieht man auch bei der Sanierung des Gebäudesbestandes. Bei bestehenden Gebäuden hat man nur eine beschränkte Kapazität an möglichen solaren Einträgen, weshalb es schwer ist, bezüglich der Energiebilanz der Gebäude die gewünschten Reduktionen insgesamt zu erreichen. Gut dämmen kann man im Bestand, gute Fenster kann man ebenso installieren – aber die solaren Einträge im Bestand zu steigern, das ist schwierig.
Können Sie etwas zur Eignung der verschiedenen Typen von aussen liegender Beschattung sagen? Gibt es eine beste Lösung?
Dabei geht es schnell um Details, die ich anhand eines Beispiels erklären kann. Zu Hause habe ich drei verschiedene Typen von aussen liegendem Sonnenschutz. Jede Variante ist an ihrem Ort richtig. Zunächst ist da zum Wohnraum hin ein aussen liegender Raffstore. Bei diesem kann ich die Lamellen so einstellen, dass ich die Sonne aussperre, aber Tageslicht und Luft verfügbar habe. Im Schlafzimmer dagegen ist ein Rollladen, der gut schliesst und richtig dunkel macht, angebracht. An anderer Stelle an einem alten Kastenfenster waren sowohl Raffstore als auch Rollladen nicht optimal. Dort ist ein Textilscreen, der aussen aufgesetzt ist und den man unten ausstellen kann. Man nennt den Typ auch Markisolette. Was bautechnische Gründe hatte, bringt auch eine andere Raumqualität und ein anderes Licht gegenüber dem Raffstore. Man muss sich also überlegen: Was passiert in dem Raum hinter dem Sonnenschutz, und welche Auswirkungen hat der Sonnenschutz auf die Licht- und Luftzufuhr?
Ganz nüchtern in Bezug auf den Sonnenschutz betrachtet, sind die aussen liegenden Varianten als nahezu gleichwertig anzusehen. Die Unterschiede in der Wirksamkeit der verschiedenen Varianten sind gegenüber anderen Einflussfaktoren, wie etwa der Steuerung oder Nutzung des Sonnenschutzes, als sehr gering anzusehen.

www.holzforschung.at

Christian Härtel

Veröffentlichung: 04. Juli 2024 / Ausgabe 27-28/2024

Artikel zum Thema

04. Juli 2024

Der Schein trügt nicht

Beschattung.  Die entscheidenden Parameter für angenehme Temperaturen hinter Glas und Fenstern sind keine Geheimsache, auch wenn es manchmal den Anschein hat. Forschende in Österreich haben die zehn goldenen Regeln für «coole Räume» formuliert.

mehr
04. Juli 2024

Schnittstellen benötigen Koordination

Marktentwicklung.   In der Zukunft müssen im Bereich Fensterbau Fachbereichsgrenzen geöffnet werden. Ein Gespräch darüber mit dem Geschäftsleiter des Schweizerischen Fachverbandes Fenster- und Fassadenbranche zeigt laufende Veränderungen und Chancen auf.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Fenster