Hart und zart

Ivo Schmidig hat während der Coronakrise auf die Produktion von Dildos umgesattelt. Bild: Caroline Schneider

Sextoys.  Die Coronakrise hat zwei Schweizer Schreiner besonders erfinderisch gemacht. Keck haben sie angefangen, aus Holz Spielzeug für Erwachsene zu drechseln. Die Produkte tragen vielversprechende Namen wie Slide, Frontside, Switch, Vallader oder Sursilvan.

Dildos haben eine lange Tradition. Den Darstellungen und Beschreibungen zufolge kannten bereits die Ägypter ihre Wirkung zur Steigerung des sexuellen Lustempfindens. Die Wurzeln der künstlichen Phallen liegen jedoch noch weiter zurück. 2005 wurde in einer Höhle auf der Schwäbischen Alb ein 28 000 Jahre alter, steinerner Phallus ausgegraben. Die Idee von Dildos aus Holz, die seit geraumer Zeit in den Medien kursiert, ist nicht neu. Der Online-Sexshop Kiss-Kiss aus dem Wallis nahm erstmals 2012 einen Holzdildo ins Sortiment auf. «Holzdildos sind nach wie vor Nischenprodukte. Sie verkaufen sich deutlich schlechter als solche aus Silikon, Glas oder Metall», sagt eine Sprecherin. Und dennoch: «Holzdildos sind etwas Spezielles. Sie werden wegen ihres Aussehens und ihrer organischen Haptik sehr geschätzt.» Holzdildos sind keine seelenlosen Massenobjekte, sondern handgefertigte Kunstwerke. Und sie haben während Corona eine Renaissance erlebt.

Ein Recyclingprojekt

An manch einem Schreiner ist die Krise nicht spurlos vorbeigegangen. Der Schwyzer Ivo Schmidig ist einer von ihnen. Er hatte sich vor drei Jahren eine Teilselbstständigkeit als Möbelschreiner aufgebaut. Er brennt für alte, rare Holzobjekte, die er zum Teil aus Abrisshäusern rettet und dann restauriert. «Ich liebe Holz mit Geschichte.» Damit ist Schmidig in einer Nische tätig und spricht vor allem Kunden an, die Freude am Unikat haben. Während des Lockdowns sind bei ihm aber die Aufträge eingebrochen. «In ungewissen Zeiten investieren die Menschen nicht mehr.» Es wurde ruhig. Und langweilig. Und aus Langeweile entsteht Kreativität. Das Recycling von Material ist eine von Schmidigs Spezialitäten. Er haucht alten Objekten nicht nur neues Leben, sondern oftmals auch einen neuen Lebenszweck ein. Das sei für ihn Inbegriff gelebter Nachhaltigkeit. Der 38-jährige Schreiner war früher leidenschaftlicher Rollbrettfahrer. «Ich brachte es nicht übers Herz, diese wegzuwerfen, weil jedes Rollbrett eine persönliche Geschichte erzählt.» Und so ist die Idee entstanden, aus seiner alten Rollbrettsammlung Holzdildos zu kreieren. «Holzdildos gibt es schon länger. Aber ich kenne niemanden, der aus Rollbrettern Lustobjekte macht.»

Rohmaterial aus der Skaterszene

Kaputte Rollbretter sind schwierig zu finden. Man müsse Beziehungen zur Skaterszene haben. So schnell kann seine Idee also keiner nachmachen. Das bunte, geschichtete Holz aus kanadischem Ahorn wird verleimt, gehobelt, geschliffen und mit einem speziellen Lack versehen. Die Farbigkeit gibt seinen Dildos eine einzigartige Optik. Aus sechs Brettern entstehen sechs Dildos. «Der Kunde liefert mir eine Skizze, und ich produziere die gewünschte Form in den entsprechenden Massen.» Eine solche Spezialanfertigung kostet 555 Franken.

Bis ein Dildo entstanden ist, dauert es rund vier Wochen. Darin ist die Zeit zum Austrocknen des Lacks eingerechnet. Effektiv arbeitet Ivo rund drei Stunden an einem Dildo. Kunden können auch aus seiner bestehenden Linie auswählen. Der günstigste Dildo ist für 329 Franken zu haben. Das Spielgerät wird in einem schmucken Holzkistchen verschickt, das von einer Behindertenwerkstatt produziert wird. Der Schreiner verleiht dem Kistchen seinen persönlichen Gruss in Form eines Säckleins voll mit Arvenspänen. «Die Arvenspäne legt man am besten unter das Bett. Sie riechen gut und sorgen für guten Schlaf.»

Und plötzlich ein Onlineshop

Durch Zufall hatte eine Zeitung von Schmidigs Dildos Wind bekommen und darüber berichtet. Innert kurzer Zeit baute er danach einen Onlineshop auf. Es folgten weitere Berichte – und die Besuche in seinem Webshop steigerten sich um das Zweitausendfache. Doch die Bestellungen seien noch bescheiden. Schmidig ist aber voller Ideen, wie er sein Holzspielzeug an den Mann und die Frau bringen möchte. Derzeit ist er in Verhandlungen mit einem amerikanischen Onlinehändler, der am Schweizer Sexspielzeug Interesse bekundet hat. Zur Vermarktung setzt er ausserdem auf die sozialen Medien. Mit seinem Instagram-Kanal erzielt er viel Aufmerksamkeit. Gleichzeitig tüftelt er an der Weiterentwicklung seiner Dildos. Er ist zum Beispiel am Abklären, ob sich der Lack erwärmen lässt, sodass der Dildo die Wärme über eine bestimmte Zeitdauer behalten kann. Er möchte ausserdem Gleitmittelhersteller anfragen und mit ihnen eine Kooperation eingehen, damit jedes seiner Unikate die Werkstatt zusammen mit einer Tube Gleitmittel verlässt. Schmidig kann sich auch eine günstigere Produktelinie vorstellen mit Dildos aus Nussbaumholz. Dieses sei zeitsparender in der Herstellung.

Auch Tino Andri ist während der Coronakrise auf die Idee der Holzdildos gekommen. Der Schreiner aus Ardez im Unterengadin verspürte keine Lust mehr, auf konventionellem Weg weiterzuschreinern. Wie so oft entsprang der Funke dem Zufall. Als die Beziehung einer Kollegin auseinanderbrach, wollte er sie aufmuntern und fertigte für sie einen Holzdildo aus Nussbaumholz an. «Ihre überaus positive Reaktion gab den Anstoss zur Geschäftsidee.» Es sei ein ganz anderes Erlebnis als mit herkömmlichen Dildos aus Silikon, habe sie ihm berichtet. Diese enthalten häufig gesundheitsschädigende Weichmacher. «Demgegenüber ist das Naturprodukt Holz unbedenklich und hat seine ganz eigene Schwingung.» Wenn er etwas mit Herzblut mache, übertrage sich das auf sein Produkt und erziele eine andere Wirkung. Davon ist der Bündner überzeugt. Das sei vergleichbar mit Kochen. «Ein Menü, das mit viel Liebe, Geduld und Zeit zubereitet worden ist, schmeckt viel besser», sagt Andri. So habe er weitere Dildos produziert, sie in seinem Umfeld testen lassen und weiterentwickelt.

Angebot für jedes Bedürfnis

Später holte Andri einen Kollegen an Bord, der sich dem Marketing annahm. Eine Kollegin stieg als Design-Verantwortliche ein. Das Trio stellte innerhalb von zwei Monaten das Dildo-Business auf die Beine. Andri hat inzwischen fünf Modelle im Sortiment, darunter einen Analplug. Jedes Stück ist ein Unikat und variiert mit Maserung, Farbe und Beschaffenheit des Holzes.

Bei mehreren Onlinehändlern

Die Dildos sind nach rätoromanischen Idiomen benannt, sie heissen beispielsweise Tuatschin (Sedrun), Jauer (Val Müstair) oder Vallader, benannt nach dem Idiom, das in Ardez gesprochen wird. Diese drei Modelle schafften es auch, bei einem der grössten Sexshops ins Sortiment zu kommen. Auch der Onlinehändler Galaxus verkauft sie.

Aktuell verlässt ein Dildo pro Tag die «Manufucktura» in Vulpera. Der 34-jährige Andri sucht sich das unbehandelte Nussbaumholz jeweils selbst aus, trocknet es, schneidet es zu und spannt es auf die Drehbank. «Hinter den Dildos steckt viel Schleifarbeit.» Sie sind nicht lackiert. Andri ölt sie mehrere Male mit einer speziellen, natürlichen Mischung. So bleibe die natürliche Atmung des Holzes bestehen, sagt er.

Die Botschaft dahinter

Andris Stosshölzer sind viel mehr als bloss ein kunstvolles Lustobjekt. Er will mit ihnen eine wichtige Botschaft in die Welt hinaustragen. «Ich stelle immer wieder fest, wie stark Männer auf ihr eigenes Ego fokussiert sind. Die Frauen erhalten meiner Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit in ihrer Sexualität.» Auch das Tabu Selbstbefriedigung möchte der Bündner brechen. Das sei etwas vom Natürlichsten, sagt er, und trotzdem spreche heute kaum jemand offen darüber. So seien seine Dildos Brücken, um einen bewussteren Umgang mit der eigenen Sexualität zu finden. «Alle positiven sexuellen Erfahrungen beginnen damit, sich selbst zu lieben.»

www.ivo-wood-art.com
www.manufucktura.com

Caroline Schneider

Veröffentlichung: 06. Mai 2021 / Ausgabe 19/2021

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