Haben Lösemittel noch eine Zukunft?

Nach wie vor setzen viele Schreiner auf Lacke mit organischen Lösemitteln (VOC). Langfristig wird man sich aber nach Alternativen umsehen müssen. Bild: Adler Lacke

Lösemittel.  Die VOC-Abgabe hat seit der Einführung im Jahr 2000 einiges bewirkt, die Emissionen sind stark zurückgegangen. Doch nun drohen neue dunkle Wolken am Himmel. Die SZ hat einen Experten zu den Entwicklungen bei der Oberflächenbeschichtung gefragt.

Sie sind massgeblich für den Sommersmog verantwortlich: VOC, oder ausgeschrieben Volatile Organic Compounds, sind flüchtige organische Verbindungen, die zusammen mit Stickoxiden unter Einwirkung von Sonnenlicht Ozon bilden. Ozon wiederum ist ein aggressives Reizgas, welches nicht nur die Atemwege schädigt, sondern auch das Gewebe von Menschen, Tieren und Pflanzen. Um die VOC-Emissionen zu verringern – wenigstens den vom Menschen verursachten Anteil –, hat der Bund im Jahre 2000 eine Lenkungsabgabe auf Lösemittel eingeführt. Auswirkungen auf den Schreiner hatte die Einführung vor allem im Bereich Lacke und Farben, setzten doch bis zur Einführung die meisten Betriebe noch auf Produkte mit organischen Lösemitteln.

Schon kurz nach der Einführung der Lenkungsabgabe zeigte die Massnahme Wirkung. Der Verbrauch sank sehr schnell von 151 000 t im Jahr 1998 auf 103 900 t im Jahr 2004. Der Bund erhebt diese Zahlen alle drei Jahre, zuletzt ermittelte er 2007 noch einen Verbrauch von 95 100 t. Diese Menge lag noch 15 000 t über dem ursprünglich definierten Ziel von maximal 80 000 t pro Jahr.

Viele haben umgestellt

Seither ist es um die VOC-Abgabe ruhig geworden. Wie viel momentan emittiert wird, ist unbekannt respektive nicht öffentlich einsehbar. Fachleute gehen aber davon aus, dass der Zielwert, wenn überhaupt, nur knapp erreicht wurde. Die Werte sinken kaum noch, weil alle Industriezweige mit hohem VOC-Verbrauch, etwa das Druckereigewerbe und die Metallbranche, ihre Prozesse sehr früh umgestellt oder zumindest den Verbrauch stark reduziert haben. Bei den verbrauchsschwachen Branchen – dazu zählt auch die Holzbranche – ist der Druck zur Umstellung klein. Die Schreinerbran- che spielte dabei eine eher untergeordnete Rolle und sah sich schon immer als reine Zahlerin der Lenkungsabgabe ohne viel Einsparungspotenzial. Unterdessen fällt pro Kilogramm VOC eine Abgeltung von drei Franken an, die im Einkaufspreis enthalten ist und von den Lackherstellern abgeführt wird. Eine drohende Erhöhung dieser Abgabe ist mit dem Erreichen der Ziele wohl vom Tisch. Das mutmassliche Erreichen des vor mehr als 15 Jahren definierten Emissionsziels hat die SchreinerZeitung zum Anlass genommen, einen Experten zum Thema zu befragen. Auskunft gibt Jack van Leeuwen, Technischer Direktor der Akzo Nobel Coatings AG in Reussbühl.

Schreinerzeitung: Die VOC-Mindestziele des Bundes dürften knapp erreicht sein. Eine Erfolgsgeschichte?

Jack van Leeuwen: Ja, das kann man sagen. Das vom Bund definierte Ziel wurde wohl erreicht, eine ursprünglich diskutierte Erhöhung der Abgabe von drei auf fünf Franken pro Kilogramm ist mittlerweile vom Tisch. Wenn ich die VOC-Abgabe aber mit meinen Kollegen im Ausland diskutiere, verstehen die das Ganze überhaupt nicht.

Warum?

Der Grundtenor ist klar: Was schädlich ist, sollte man nicht verwenden. In der Schweiz ist das anders. Wer bezahlt, kann die relevanten Stoffe uneingeschränkt verwenden. Das eingezogene Geld fliesst dann über die Krankenkassenprämien wieder zurück an die Bevölkerung. Dieses System ist einzigartig und schwierig zu verstehen, die Praxis hat aber gezeigt, dass es sehr wohl funktioniert.

Was hatte die Abgabe für Auswirkungen, abgesehen von der Kostensteigerung für die Produkte?

Sie hat zu einem Umdenken geführt. Das Sparpotenzial wurde breit genutzt. Zudem hat sich die Erkenntnis etabliert, dass Lösemittel für Mensch und Umwelt ungesund sind und man die Emission einschränken sollte. Was weiter kommt, kann man noch nicht sagen. Ein Teil der Industrie würde wohl lieber die Standards aus der EU übernehmen, weil sie im Moment für die Schweiz und die EU nicht die gleichen Produkte herstellen kann.

Man kann von einer Erfolgsgeschichte in allen Bereichen sprechen. Gilt das auch für die Holzbranche?

Zum grossen Teil schon, ja. Industrielle Betriebe wie Türen- oder Fensterhersteller setzen fast nur noch wasserverdünnbare Produkte ein. Im industriellen Prozess ist die Anwendung der wässrigen Systeme sehr gut kontrollierbar, und darum auch der Einsatz sicher. Sobald die Bedingungen aber nicht mehr kontrollierbar sind, etwa beim Klima, wird es schnell schwierig. Baumaler haben grosse Schwierigkeiten mit der Umstellung. Ab Herbst bis Frühling sind wasserverdünnbare Lacke im Aussenbereich kein Thema.

Und im Innenbereich?

Da sehe ich schon einen Trend hin zu wässrigen Systemen. Schreiner, welche nicht im industriellen Stil produzieren, stellen, wenn überhaupt, jedoch nur sehr zögerlich um. Die Gründe dazu sind wohl vielfältig, für mich aber oft nur schwer nachvollziehbar. Eigentlich weisen Lösemittellacke fast nur Nachteile auf. Die Schichten vergilben zum Beispiel deutlich mehr, die Trocknung verläuft langsamer und die Emissionen sind stark. Dagegen ist die Verarbeitung immer noch einfacher, die offene Zeit länger. Gibt es Läufe, kann man sie – zumindest bei der Pinselbeschichtung – wieder ausgleichen. Viele Anwender sind sich aber nicht bewusst, welche Resultate mit wässrigen Systemen möglich sind. Wir sehen das immer wieder bei unseren Beschichtungskursen, wo wir die Teilnehmer laufend zum Staunen bringen.

Was wird die Zukunft bringen?

Ich sehe für die Lösemittellacke eine düstere Zukunft. Diese Produkte werden kaum noch weiterentwickelt, sondern man folgt nur noch den Veränderungen in der Vorschriftenlage. Man reagiert also nur noch auf Regulierungen. Schwierig wird aber nicht nur der Umgang mit den Lösemitteln, problematisch sind und werden auch ganz andere Inhaltsstoffe wie Schwermetalle als Trockungsmittel in den Lacken oder der Einsatz von Bioziden im chemischen Holzschutz.

Schwermetalle in Farben sind also generell ein Problem?

Ja, viele Stoffe darf man nicht mehr einsetzen, zum Beispiel Bleisikkativ. Im Fokus der Behörden stehen nun auch Kobalt und in einigen Jahren dann auch Mangan und andere Metalle. Dazu gibt es alternative Kombinationen von Kalzium und Eisen, die gut funktionieren. In verschiedenen Produkten haben wir den Wechsel schon vollzogen. Das Trocknungsverhalten hat sich dadurch glücklicherweise eher noch verbessert. In den nächsten Jahren erwarten wir bei vielen Stoffen ein Verbot oder zumindest eine strengere Klassifizierung. Die Konsequenz ist, dass auf vielen bewährten Produkten zum Beispiel ein Totenkopf abgebildet sein wird. Ob die Branche solche Produkte noch will, ist fraglich.

Was passiert bei den Hilfsstoffen?

Zusätzlich kommen die sogenannten Anti-Haut-Mittel unter Beschuss. Das sind Methyl-Ethyl-Ketoxime, die verhindern, dass es im angebrochenen neuen Topf zu einer Hautbildung kommt. Sie stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. In den Vereinigten Staaten dürfen sie teils nicht mehr in Innenräumen verwendet werden, die Stoffe verteilen sich über die Luft im Raum. Diese starke Eingrenzung wird in Europa sicher auch kommen. Generell hängt über vielen Stoffen, die in Lösemittelsystemen enthalten sind, das Damoklesschwert. Irgendwann werden sie verboten und es gibt kaum Alternativen.

Brauchen die wässrigen Systeme keine solchen Zusätze?

Doch, sie enthalten zwar keine Hauthemmer, dafür aber Konservierungsmittel. Diese sind aber weit weniger schädlich. Sie können zwar ebenfalls Allergien auslösen, das ist ein Nachteil der wässrigen Systeme. Zudem enthalten sie auch einen kleinen Anteil Lösemittel, zum Beispiel Glykole oder Aliphate. Die sind nicht unbedingt gefährlich, aber halt auch kein Wasser. Ohne diese geht es gar nicht. Ihr Anteil beträgt je nach Lack 5 bis 8%. Diese bezeichnet man aber nicht als VOC, sondern als SVOC. Die Stoffe sind weniger flüchtig, dafür aber auch länger in der Raumluft nachweisbar.

Hat sich die Zusammensetzung bei den Lösemittellacken verändert?

Ja, man hat die Aromaten wie Xylol oder Toluol weitgehend durch andere Stoffe ersetzt. Dass diese krebserregend sind, weiss man heute. Ersatzweise werden vor allem Aliphate eingesetzt. Es gibt in der Schweiz noch einige kleine Hersteller, die noch Aromaten verwenden, die grosse Masse aber nicht mehr. Zudem hat man den Lösemittelanteil in den Lacken massiv reduziert. Auch wenn die Schweizer Hersteller nicht an die europäischen Gesetze gebunden sind, haben diese natürlich trotzdem Einfluss. Die Reduktion der Lösemittel ist eine Folge davon. Sie sind zwar noch nicht auf das europäische Niveau gesunken, sie nähern sich aber an.

In welchem Bereich liegen denn die Lösemittelanteile heute?

Vor 20 Jahren hatten wir einen Festkörperanteil von 60%, heute kann man von rund 75 bis 80% ausgehen. Zudem riecht man die Lösemittel deutlich weniger, das hat mit der Umstellung weg von den Aromaten hin zu den Aliphaten zu tun. Produkte, die Aromate enthalten, erkennt man sofort am beissenden Geruch.

Und bei den Bindemitteln? Gibt es Weiterentwicklungen?

Die sind deutlich dünner geworden, dadurch sind sie einfacher zu transportieren. Lösemittel dienen ja eigentlich nur als Transportmittel. Wir haben zum Beispiel neue lösemittelhaltige Produkte im Angebot, bei denen ein Teil der Lösemittel durch Wasser ersetzt wurde, ohne dass dies Auswirkungen auf die Qualität hat. Bei der Bindemittelart gibt es auch Weiterentwicklungen. Zuvor hat man im wässrigen Bereich nur auf Acrylate und PU-Acrylate gesetzt. Jetzt kommen vermehrt auch Kombinationen von mehreren Bindemitteln und auch Alkydanteile zum Einsatz. Das bringt die wässrigen Systeme bei den Eigenschaften näher zum Lösemittellack. Die neuen Produkte dringen besser in die Holzstruktur ein. Lasuren werden so zu Emulsionen, zudem wird die Verankerung auf dem Holz zuverlässiger.

Welche Trends sind denn bei den wässrigen Lacken zu spüren?

Wir versuchen heute jedes Lösemittelprodukt eins zu eins in ein wässriges zu übertragen, das heisst, die Eigenschaften zu übernehmen und die Verarbeitung möglichst gleich einfach zu machen wie bei einem Lösemittelprodukt. Nach wie vor noch nicht schnell genug ist das Erreichen der Blockfestigkeit. In diese Richtung wird viel entwickelt. Aber da gibt es physikalische Grenzen, das Wasser muss einfach zuerst aus der Schicht wegtrocknen. Ebenfalls nachteilig bei den wässrigen Systemen war der geringe Streichwiderstand. Wenn man sie mit dem Pinsel verstrich, spürte man sie fast nicht. Auch diese Problematik kann man heute lösen.

Wässrige Lacke decken auch nicht so gut wie Lösemittellacke. Ist da ein Fortschritt in Sicht?

Nach wie vor zu lösen ist der Festkörperanteil. In wässrigen Farben kann man ihn noch nicht so hoch einstellen wie in den Lösemittellacken. Doch auch da kommen wir dem Ideal immer näher. Unser Ziel ist klar: Wir wollen alle Produkte ohne Nachteile wässrig anbieten. Im Spritzbereich ist man generell weiter als bei der Handapplika- tion. Beim Spritzen lassen sich die Parameter einfach besser kontrollieren. Die Industrie bewegt sich aber schon in Richtung Gleichwertigkeit: In Zukunft soll der Maler in der Handapplikation keinen Nachteil mehr haben, wenn er wässrige Produkte verwendet.

Fungizide und Insektizide in Form von Bioziden sind unter Beschuss. Welche Entwicklungen sind absehbar?

Viele Biozide sind mittlerweile verboten, was bereits für viele Holzschutzprodukte das Aus bedeutet hat. Rund 50 bis 60% sind nicht mehr im Verkehr. Der Trend geht in Richtung biozidfreie Produkte. Man versucht einfach, durch eine gute Grundierung das Holz trocken zu halten, so dass kein chemischer Schutz nötig ist. In verschiedensten Ländern lässt man in vielen Produkten Biozide schon jetzt weg. Wenn alle Parameter stimmen, das Holz nicht schon zu Beginn nass ist und auch später nicht feucht wird, passiert wenig, braucht man keine zusätzliche Chemie. Zudem deckt man die Grundierung mit einem filmbildenden Produkt, das schützt zusätzlich. Auch wir haben mittlerweile nur noch einige wenige Holzschutzmittel im Angebot. Das Aufgeben der vielen Produkte hat aber auch damit zu tun, dass man heute die ausgelobte Funktion, zum Beispiel den Bläueschutz, auch nachweisen muss. In der Vergangenheit konnte man das viel einfacher auf das Gebinde schreiben, ohne es nachzuweisen. Es gibt Lackproduzenten, die ausloben, ihr Lack biete Schutz gegen Bläuepilz und Fäulnis. Decklacke bieten aber keinen Schutz in diese Richtung, das ist irreführend. Lacke und Lasuren muss man auch nicht gegen Bläue schützen.

Momentan noch umfangreich ist das Angebot bei den Insektenschutzmitteln. Das ist aber nur eine Frage der Zeit, bis in diesem Bereich eine starke Bereinigung erfolgen wird.

Persönlich

Zwischen Entwicklung und Anwender

Jack van Leeuwen ist technischer Direktor der Akzo Nobel Coatings AG in Reussbühl. Der gebürtige Holländer hat sich zum Entwickler im Bereich Farbchemie ausbilden lassen und hat Erfahrungen in allen Bereichen der Beschichtungsbranche. In der Schweizer Niederlassung von Akzo Nobel wird zwar nicht entwickelt, Jack van Leeuwen ist aber für den technischen Austausch zwischen Entwicklung, Vertrieb und Anwender zuständig. Zudem ist er technisch verantwortlich für alle in der Schweiz verkauften Produkte in Bezug auf die Vorschriften, Regulierungen und die korrekte Etiketierung. Neben dem Farblabor ist er auch für die Anwendungstechnik zuständig. Produkte von Akzo Nobel Coatings werden unter verschiedenen Marken wie zum Beispiel Swisslack, Herbol oder Sikkens vertrieben.

www.akzonobel.com

Verbrauch eindämmen

Recycling durch Destillation?

Verunreinigte Lösemittel kann man ganz einfach durch Destillation wieder zurückgewinnen. Solche Geräte sind bei verschiedenen Herstellern erhältlich. Dieses Verfahren schont einerseits die Umwelt aufgrund des geschlossenen Kreislaufes, zusätzlich ist es auch finanziell interessant. Ein Berechnungsbeispiel auf der Website der TT Transtechnik zeigt auf, wie bares Geld gespart werden kann, Wiedergewinnen lassen sich bis zu 98% des eingesetzten Lösemittels. Mit Vorsicht zu verwenden ist das Recyclat beim Verdünnen von Lacken. Theoretisch wird das Lösemittel durch die Destillation nicht verändert, aus den abgespülten Lackprodukten in der verschmutzten Flüssigkeit können aber auch andersartige Lösemittel in das recyclierte Destillat gelangen. Die Destillieranlage kann nicht zwischen erwünschten und unerwünschten Lösemitteln unterscheiden.

www.tt-gmbh.ch

wi

Veröffentlichung: 22. August 2013 / Ausgabe 34/2013

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