Es muss nicht immer drehen
Luftveränderung leicht gemacht: Vor allem dort, wo ein Drehflügel stören würde oder kein Platz ist, kommen Vertikalschiebefenster zum Einsatz. Bild: Sorpetaler Fensterbau
Luftveränderung leicht gemacht: Vor allem dort, wo ein Drehflügel stören würde oder kein Platz ist, kommen Vertikalschiebefenster zum Einsatz. Bild: Sorpetaler Fensterbau
Vertikalschiebefenster. Schiebefenster sind in Gestalt von grossformatigen, horizontalen Varianten äusserst beliebt. Ein Nischendasein führt dagegen seit Jahrzehnten das vertikale Schiebefenster. Dabei bietet diese Sonderkonstruktion auch so manche Vorteile für die Benutzer.
Es sind zuallererst die Szenen aus älteren Hollywood-Filmen, in denen der Flüchtige eilig das Fenster nach oben schiebt und so seinen Verfolgern gerade noch entkommt. Manch einem mag das Vertikalschiebefenster auch von Reisen in den anglo-amerikanischen Raum in Erinnerung geblieben sein. Dort hat das Schiebefenster in vertikaler Richtung auch heute noch einen hohen Stellenwert. Ganz anders verhält sich das in der Schweiz und anderen Ländern Mitteleuropas.
Wie alle verglasten Fenster hat sich auch das Vertikalschiebefenster aus den komplett schliessenden Läden entwickelt. Heute kann man solch original hölzige Zug- und Schiebeläden etwa noch «in Ermatingen TG an mindestens sechs Gebäuden bestaunen», so Hermann Klos, Geschäftsführer der Holzmanufaktur in einem Essay.
Doch: Totgesagte leben für gewöhnlich länger. Als «Nischenprodukt», wie die einzig verbliebene Beschlagherstellerin Hawa AG in Mettmenstetten ZH den heute noch angebotenen Seilzug-Beschlag «Vertical 150» selbst benennt, existiert das Vertikalschiebefenster auch heute noch.
In manchen Fällen ist ein Drehflügel durch die beim Öffnen in den Raum ragenden Flügel nicht besonders geschickt. Etwa wenn sich unterhalb des Fensters eine Küchenabdeckung befindet, oder auch ein Schreibtisch. In solchen Fällen stellt das Vertikalschiebefenster eine vorteilhafte Lösung dar. Immer dann, wenn der Raum nicht eingeschränkt werden soll, wie manchmal in Hospitälern, Verwaltungsgebäuden, Schulen oder Hotels, schwenkt der Blick auf die schiebbare Alternative. Bei Cafés oder Stras- senverkaufslokalen sieht man die Konstruktion ebenfalls öfter. Dabei kommen alle gängigen Rahmenmaterialien und deren Kombinationen zum Einsatz.
Die feine Dosierungsmöglichkeit für Dauer- und Stosslüften ist ein weiterer wichtiger Pluspunkt der Konstruktion. Da die Flügel in jeder beliebigen Öffnungsposition verharren können, ohne das Windbewegungen zu einem Klappern der Flügel führen, bietet das Vertikalschiebefenster diesbezüglich ein deutliches Mehr an Lüftungskomfort für den Benutzer.
Von Zeit zu Zeit erscheinen auch modernisierte Varianten am Markt. Etwa von Huber Fenster im appenzellischen Herisau. Vor gut zwei Jahren präsentierte das Unternehmen eine zeitgemässe Variante des vertikalen Schiebefensters mit verdeckter Seilführung und eigens für diesen Fenstertyp entwickelten Beschlägen. In Richtung «kaum sichtbar» hat auch die Hawa AG ihren Beschlag in den letzten Jahren weiterentwickelt. Dieser erlaubt zudem, das Fenster mit einem hochschiebbaren unteren und einem absenkbaren oberen Flügel auszustatten. «Jeder schiebbare Fensterflügel wird seitlich in Kunststoffschienen geführt und mit einem individuell angepassten Gegengewicht ausbalanciert. So lassen sich auch schwergewichtige Fenster bis 150 kg leicht und nahezu geräuschlos bewegen. Die Seilführung wurde bei der einflügeligen Version mit einer zusätzlichen Umlenkrolle optimiert. Das Seil selbst ist durch eine Führung zwischen Flügelüberschlag und Futter weitgehend unsichtbar verlegt», so das Unternehmen.
Was in früheren Zeiten immer wieder als nachteilig angeführt wurde, nämlich die geringe Dichtheit der Systeme, hat man heute weitgehend in den Griff bekommen. «Im Zu- sammenhang mit der allgemein fortschreitenden technischen Entwicklung wurde das Vertikalschiebefenster in seinem bauphysikalischen Leistungsprofil so weit verbessert, dass die heute verfügbaren Modelle in ihrem Leistungsprofil modernen Drehkippfenstern nahezu entsprechen.» Zu diesem Schluss kam Daniel Westenberger in seiner ausführlichen Dissertation über die Vertikalschiebefenster bereits vor über zehn Jahren. Heute angebotene Systeme erreichen wie etwa beim deutschen Hersteller Sorpetaler Uw-Werte von 0,90 W/m2K bei einer Ausstattung mit Dreifachverglasung und einer Rahmenstärke von 78 mm. Die Kunststoffvariante «Bayertherm» der Schreinerei Bayer schafft es gar auf einen Wert von 0,81 W/m2K. Neben der Dichtheit hat man laut Herstellern auch beim Einbruchschutz nachgelegt und ist so auch diesbezüglich auf dem Stand der Technik von Drehkippfenstern.
Als weiterer Nachteil von vertikalen Schiebefenstern wird oft die schwierige Reinigung der Flügel genannt. Aber auch hier gibt es inzwischen Lösungen. Wenn nicht beide Flügelteile beweglich sind, kann zum Beispiel der obere, normalerweise als Festverglasung ausgeführte Teil auch als Drehkippflügel konstruiert werden. So kann dieser zum Reinigen ganz geöffnet werden. «Falls zusätzliche Lüftungsmöglichkeiten gewünscht werden, lässt sich der feste Flügel einfach mit einem Kippflügelbeschlag versehen. So kann dieser im Handumdrehen auch als Putzflügel genutzt werden», so auch die Argumentation von Hawa. Sorpetaler hat sich ebenfalls dieses Nachteiles angenommen und den unteren Flügel mit einer Putzschere ausgestattet, die ein Herausklappen um 30 Grad des sonst schwer zugänglichen Schiebeflügels ermöglicht. Eine Reinigung wird auf diese Weise erleichtert und der Einsatz von Vertikalschiebefenstern so auch in oberen Etagen ermöglicht. Ausserdem hat man die Beschläge verdeckt angeordnet, die Führungsnut in der Breite minimiert und hat keine sichtbaren Bürstendichtungen mehr. Dadurch ist die systembedingte Technik des Vertikalschiebefensters auch gestalterisch ruhiger und unauffälliger geworden. Allgemein werden Vertikalschiebefenster bezüglich Wartung und Pflege historisch bedingt als aufwen-diger beschrieben. Bei der Hawa AG weist man jedoch darauf hin, dass während der letzten 30 Jahre der Beschlag immer wieder verbessert wurde, so dass der «Vertical 150» während «Jahren und Jahren völlig wartungsfrei läuft».
So viel Technik braucht auch etwas Platz. Umlenkrollen und die Gegengewichte am Seilzug bedingen eine entsprechend dimensionierte Rahmen- und Futterkonstruktion. Gewichtiger als dieser Aspekt ist jedoch die konstruktionsbedingte horizontale Teilung der Fensterfläche. In der Regel wird eine möglichst feingliedrige hochformatige Gliederung bei Fenstern bevorzugt. Vertikalschiebefenster sind in diesem Punkt natürlich starr. Mit der gestalterischen Betonung der Horizontalen durch die Teilung der Fensterflügel muss man leben. Andererseits zeigen gerade Beispiele aus der jüngeren Architektur ein interessantes gestalterisches Spiel durch die Kombination der gegensätzlichen Konstruktionsarten von Fenstern. Zumal gerade in der zeitgemässen Architektur auch immer wieder breitformatige Fenster geplant werden.
Bei Sprossenfenstern oder historischem Fensterdesign ist es gestalterisch einfacher, den deutlichen Querstoss der Fensterfläche etwas zu «kaschieren». Nicht selten sind dies deshalb Anwendungsarten von Vertikalfenstern im privaten Bereich.
Das letzte Aufblühen dieser Fensterbesonderheit war übrigens zu Zeiten des Bauhauses. Das Vertikalfenster war «das» Fenster der klassischen Moderne und des Bauhauses. «Erst der starke architektonisch innovative Gestaltungswille der Kunst-, Design- und Architekturschule Bauhaus verschaffte diesem Fenstertyp von 1920 bis 1935 eine kurze Blütezeit», so Klos. Das Nischendasein wird die Konstruktionsart auf absehbare Zeit wohl kaum mehr verlassen. Ein deutscher Hersteller von Vertikalschiebefenstern in Holz hat gerade deren Streichung aus dem Produkteportfolio verkündet.
www.hawa.chwww.huberfenster.chwww.sorpetaler.dewww.bayertherm.de
Veröffentlichung: 19. November 2015 / Ausgabe 47/2015
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