«Es ist kein Allheilmittel»

Beim Dämmen eines Dachstockes sind die Vorabklärungen der Details entscheidend, damit es nicht zu bösen Überraschungen kommt. Bild: Flumroc AG

Bauphysik.  Beim diffusionsoffenen Bauen wird oft über die Vor- und Nachteile diskutiert. Im Interview mit der SchreinerZeitung räumt ein Experte mit Gerüchten auf, nennt die Vorteile dieser Bauweise und sagt, wo ihre Grenzen und Knackpunkte liegen.

SchreinerZeitung: Welche Irrtümer treffen Sie an, wenn es um diffusionsoffenes Bauen geht?
Christoph Geyer: Häufig werden verschiedene physikalische Prozesse miteinander vermischt. Das eine ist der Wasserdampftransport durch das Bauteil. Das andere ist der Einfluss einer diffusionsoffenen Bauweise auf das Raumklima.
Und, hat die diffusionsoffene Bauweise einen Einfluss auf das Raumklima?
Der Einfluss der äusseren Schichten von Aussenbauteilen auf das Raumklima wird bei den heutigen Wärmedämmstandards meistens überschätzt. Zum Beispiel: Ein wirksames Absenken der Raumluftfeuchten durch eine Abfuhr der Feuchte durch diffusionsoffene Aussenbauteile ist praktisch nicht möglich.
Wie steht es um den Feuchte- puffereffekt?
Der Feuchtigkeitspuffer hat mit der diffu-sionsoffenen Bauweise kaum etwas zu tun. Viel entscheidender sind die oberflächennahen Schichten einer Wand. Diffusionsoffene Materialien wie Putz oder auch Holz können eine gewisse Menge Feuchtigkeit aufnehmen und somit die Feuchtespitzen brechen. Dabei muss man aber auch daran denken, dass diese Puffer nur eine gewisse Aufnahmefähigkeit haben. Man muss sie also regelmässig durch Absenken der Raum-luftfeuchte wieder entleeren, zum Beispiel durch Lüften.
Welche Rolle spielen die Diffusionseigenschaften des Dämmstoffes?
Sie beeinflussen das Austrocknen der Baufeuchte bei Neubauten in Massivbauweise. Hier befindet sich durch den Herstellungsprozess oft eine grosse Menge Feuchtigkeit im Bauteil. Dieses trocknet in den ersten Jahren nach der Fertigstellung nach aussen und nach innen ab. Eine auf der Aussenseite aufgebrachte dampfdichte Wärmedämmung behindert die Abtrocknung nach aus- sen, somit trocknet die Wand länger in den Raum ab. Dies führt in den ersten Jahren zu einer erhöhten Raumluftfeuchte, die durch vermehrtes Lüften abgeführt werden muss.
Da im Holzbau beim Herstellungsprozess nur wenig Feuchtigkeit in die Bauteile eingebracht wird, kann man diesen Effekt hier vernachlässigen.
Wie sieht es damit bei Sanierungen aus?
Bei Sanierungen ist die Bestandsaufnahme enorm wichtig. Das wird manchmal leider immer noch vernachlässigt, weil niemand die Kosten dafür übernehmen will.
Was gilt es zu überprüfen?
Man muss abklären, wie feucht die Bausubstanz ist, weil sich danach auch die Wahl des Dämmstoffes richtet. Ganz wichtig ist das im Bereich des Kellers. Damit ist es aber noch nicht getan, man muss sich dann auch fragen, woher die allenfalls vorhandene Feuchtigkeit kommt, und die Abdichtung erneuern.
Und bei einer Dachstocksanierung?
Hier steht und fällt es mit der Bestandsaufnahme und der Planung. Folgende Punkte müssen geklärt werden: Wo kann ich die Luftdichtheitsebene einbauen? Wo befinden sich die bestehenden Luftdichtheits-ebenen des Gebäudes? Kann ich an diese anschliessen? Wie sieht das Detail aus? An welche Durchdringungen muss angeschlossen werden?
Wie sieht es damit in der Praxis aus?
Viele Firmen werden unter Druck gesetzt, möglichst schnell anzufangen und sich nicht lange mit der Bestandsanalyse und der Planung aufzuhalten. Wird dann angefangen, ohne dass die Details geklärt sind, tauchen oft während der Sanierung Einzelheiten auf, die nicht mehr fachgerecht ausgeführt werden können. Das sind dann die Ecken, in denen zig Dosen Bauschaum oder rollenweise Klebeband zum Einsatz kommen.
Was gibt es zu den Dampfbremsen zu sagen? Hier fand ja auch ein Wandel statt.
Ja, die Entwicklung weg von den dichten Dampfsperren hin zu diffusionsoffenen und mittlerweile auch feuchteadaptiven Dampf-bremsen war sicher sinnvoll. Der Grund für diese Entwicklung war eine Reihe von Bauschäden. Wenn während der Bauzeit aufgrund einer Havarie oder durch Löcher in der Luftdichtheitsebene grosse Mengen Wasser in die Konstruktion gelangen, kann dieses Wasser bei diffusionsdichten Konstruktionen nicht mehr austrocknen. Dies kann dann zu Bauschäden führen.
Inwiefern?
Ein Beispiel: Ich wurde als Experte bei einem Schadenfall an einem neuen Turnhallendach beigezogen. Dort wurde die Holzkonstruktion über die Wintermonate ungenügend geschützt. Während dieser Zeit sog sich die gesamte Konstruktion mit Wasser voll. Im Frühjahr baute man die Wärmedämmung, eine dichte Dampfbremse und die Innenverkleidung ein. Im Sommer wies die Verkleidung erste Wasserflecken auf.
Was ist passiert?
Die Sonne erwärmte die Dachkonstruktion, das Wasser diffundierte aus dem Holz in den unteren Bereich der Wärmedämmung und kondensierte dort. Als wir für Stich-proben die Decke öffneten und die Dampfbremse aufschnitten, lief uns das Kondenswasser entgegen. Deshalb gilt heute der Grundsatz: so dicht wie nötig, so offen wie möglich.
Wo liegen die Grenzen von feuchte- adaptiven Dampfbremsen?
Sie dürfen nicht in Räumen mit dauerhaft erhöhter Luftfeuchte eingesetzt werden. Die feuchteadaptive Dampfbremse ist natürlich auch kein Allheilmittel für grobe Fehler bei der Planung oder Ausführung.
Man hört hier manchmal gewisse Vorbehalte, es könne dann auch Feuchtigkeit von aussen eindringen.
Dies ist meiner Ansicht nach unbegründet, da beim Schweizer Klima im Winter die Wasserdampfmenge der Aussenluft geringer ist als die Wasserdampfmenge der Raumluft. Deshalb erfolgt die Wasserdampfdiffusion im Winter von innen nach aussen. Im Sommer kehrt sie sich dann um. Das hat aber nichts mit feuchteadaptiven Dampfbremsen zu tun.
Wenn allerdings Havariewasser in die Konstruktion eindringt, dann soll die Dampfbremse ja öffnen, damit die Konstruktion auch zum Raum hin austrocknen kann.
Was ist bei der Ausführung einer Dampf- bremse wichtig?
Die Funktionsfähigkeit der Luftdichtheitsebene steht und fällt mit einer sorgfältigen Planung, insbesondere der Details. Dabei muss die Anzahl der Durchdringungen minimiert werden. Die verbleibenden Durchdringungen und die Anschlüsse an die übrigen Teile der Luftdichtheitsebene, wie bei-spielsweise die Aussenwand, sind sorgfältig auszuführen.
Warum sind diese Details so wichtig?
Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass man sich eine bestimmte Anzahl von Löchern in der Luftdichtheitsebene erlauben könne. Hiervon ist abzuraten, denn durch die Konvektion im Winter kann in sehr kurzer Zeit bereits durch kleine Löcher eine grosse Wasserdampfmenge in die Konstruk-tion gelangen. Daher muss die Luftdichtheitsebene lückenlos und luftdicht hergestellt werden.
Wie beurteilen Sie die künftige Entwicklung im Bereich der Dämmung?
Ich denke, am heutigen Umgang mit Dampfbremsen und Dämmungen wird sich in nächster Zeit nichts Grundlegendes ändern. Was uns aber noch lange beschäftigen wird, ist die Sanierung des Gebäudebestandes. Hier haben wir zwar inzwischen ausgefeilte Berechnungsmethoden. Es fehlen uns aber die entsprechenden Materialdaten, ins-besondere für historische Baustoffe.
Wenn Sie ein Haus bauten, für welche Dämmung würden Sie sich entscheiden?
Ich würde eher kein neues Haus bauen, sondern ein altes sanieren. Ich würde dann nach dem Gebäudetyp entscheiden, welcher Dämmstoff sich am besten eignet.
www.flumroc.ch

Zur Person

Christoph Geyer ist Professor für Bauphysik und unterrichtet seit 2010 an der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau (AHB). Zuvor unterrichtete er an verschiedenen Schulen sowie Universitäten in Deutschland und arbeitete seit 1994 in diversen Bauunternehmungen als beratender Ingenieur. Geyer hat sich insbesondere auf die Gebiete Wärme- und Feuchteschutz, energieeffizientes Bauen, Schall- und Immissionsschutz sowie Raumakustik spezialisiert.

www.ahb.bfh.ch

ph

Veröffentlichung: 15. Februar 2013 / Ausgabe 7/2013

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