Entspannung in Sichtweite

Formaldehyd. Spanplatten mit deutlich reduzierten Emissionen an Formaldehyd sind technisch gleichwertig, aber teurer. Angebot und Nachfrage befinden sich noch auf tiefem Niveau. Dabei ist Gesundheit ein wichtiges Anliegen von Konsumenten, das man auch bedienen könnte.

 

«Der Reizstoff Formaldehyd ist in der Innenraumluft unerwünscht.» So einfach formuliert es das eidgenössische Bundesamt für Gesundheit. Und: Es hat Recht. 

Schreiner können diesem Anspruch nachkommen, indem sie etwa für Innenausbauten Spanplatten verwenden, die besonders wenig Formaldehyd an die Raumluft abgeben oder sogar frei davon sind. Doch das geschieht bislang offensichtlich nicht so häufig, denn die Sache hat mindestens einen Haken: Spanplatten, deren Emissionen gegenüber der Klasse E1 nochmals um mindestens die Hälfte reduziert sind, kosten in der Regel mehr, wenn sie überhaupt zu bekommen sind. Wie hoch die Mehrkosten sind, hängt von der Produktionsanlage und den verwendeten Leimsystemen des Herstellers ab. 

Verhaltene Nachfrage

Die meisten Akteure der Industrie beschränken sich deshalb auf eine Produk­tion auf Bestellung oder beliefern nur die Märkte in Ländern wie den USA oder ­Japan. Beide Nationen haben strengere gesetzliche Vorschriften bezüglich Emissionswerten von Formaldehyd umgesetzt als die Schweiz oder die Länder der Europäischen Union. So bietet etwa Egger eine sogenannte Japan-Platte an. Der Name ist Programm. Die Spanplatte wird ausschliesslich für Kunden in Japan produziert. «Diese Platte wird in Europa aufgrund der Kosten und der ­Eigenschaften nicht nachgefragt. Für formaldehydarme Produkte verzeichnen wir nach wie vor eine verhaltene Nachfrage», so Christina Werthner, verantwortlich für die Kommunikation bei Egger.

Wer in den letzten Jahren zwischendurch nachgefragt hat, dem drängte sich nicht selten der Eindruck eines Schwarzen-Peter-Spieles auf. Und das ging etwa so: Die Industrie produziert wenig formaldehydarme Spanplatten oder bietet diese in Europa nicht an, weil ihre Kunden das Produkt nicht nachfragen und der Handel über solche Platten nicht ausreichend informieren würde. Die Händler wiederum sahen nur wenig Nachfrage und Interesse für form­aldehydarme Spanplatten und eine geringe Bereitschaft bei Kunden, die teureren Produkte tatsächlich zu kaufen. Der Schreiner kannte solche Spanplatten in vielen Fällen wohl gar nicht, weil es nur wenige Informationen dazu gab, und sollte seinen Kunden einen Mehrpreis für etwas verrechnen, mit dessen Argumentation er sich oft alleingelassen vorkam. Auch heute bekommt man noch oft den Hinweis auf das «mangelnde Bewusstsein der Kunden für das Thema» zu hören, freilich jeweils aus der eigenen Sicht auf den eigenen Kunden. 

Bedürfnis erkannt – Gefahr gebannt

Aber inzwischen hat das Thema Formaldehydemissionen von Holzwerkstoffen insgesamt an Bedeutung gewonnen. Einer der Vorreiter auf diesem Gebiet ist die HWZ Kuratle und Jaecker AG. Eine klare Kommunikation über das gesunde Bauen mit geeigneten, formaldehydarmen oder gänzlich ohne den Reizstoff auskommenden Holzwerkstoffen zeigt offenbar Wirkung. Silvia Furlan, verantwortlich für das Marketing, sieht das Unternehmen damit auf dem richtigen Weg. «Der Absatz dieser Produkte wächst, weil Raumlufthygiene und Ökologie bei unseren Kunden wichtiger werden.» Das bestätigt auch Roman Odermatt, Marketingleiter bei der Herzog Elmiger AG. Allerdings beschränke sich das Interesse der Kunden bislang auf emissionsarme OSB- und MDF-Platten. «Bei Spanplatten sind die Alternativen einfach zu wenig bekannt in der Branche», erklärt Odermatt. 

Eine rohe Möbelspanplatte auf dem Niveau E1 Halbe oder sogar darunter bieten beide Handelsunternehmen bislang nicht an. Die Spanplatte hat Nachholbedarf. 

Emissionsarme Spanplatten sind teurer

Wie jede Umstellung oder Neuentwicklung, kostet auch der Schwenk zu formaldehyd­armen Spanplatten Geld. Allerdings schon heute weniger, obwohl noch gar nicht marktüblich, als noch vor wenigen Jahren. So berichtete Timber Online 2007 über Produktionsverteuerungen um bis zu 52% in den USA, weil der sogenannte Carb-Standard in Kalifornien eingeführt wurde. Eine Meldung aus dem letzten Jahr mit der flächigen Umsetzung des Standards mit reduzierten Emissionen in den USA, bedeutet dann nur noch eine Teuerung um 15% bei der Produktion. Dies ist auch die Grössen­ordnung, mit der die Kronospan Schweiz AG bei der neuen Kronoswiss-Eco-Platte rechnet, die hinsichtlich Formaldehyd-Emissionen deutlich unter E1 Halbe liegt. Die Spanplatte soll zur Hausbau- und Energiemesse Ende November in Bern erstmals öffentlich präsentiert werden. Und: Der Werkstoff ist nicht als Nischenprodukt bei grösseren Bestellungen gedacht. «Wir produzieren die Spanplatte standardmässig und werden diese auf Lager haben», erklärt Mauro Capozzo. Der CEO des Schweizer Holzwerkstoffherstellers sieht eine Entwicklung hin zu sensiblerem, nachhaltigerem und bewussterem Konsumverhalten, die mit der Eco-Spanplatte bedient werden soll. Dies dürfte Auswirkungen auf den Schweizer Markt für Spanplatten haben und die Dynamik verstärken.

Auch Stephan Nepf, Marketingleiter bei der Wodego AG, erwartet einen weiter wachsenden Markt für emissionsarme Spanplatten. «Nachhaltigkeit und Gesundheit wird bei den Konsumenten immer wichtiger, und damit auch für die Holzwerkstoffhersteller», so Nepf. Man wolle deshalb künftig noch mehr Produkte in diese Richtung lancieren. Allerdings verweist auch Nepf auf die Problematik, dass die Abnehmer derzeit noch selten bereit seien, einen Mehrpreis zu bezahlen. Doch die höheren Kosten für ein solches Material sei bei einer Schreiner­arbeit im fertigen Objekt eher unerheblich, etwa bei einer Küche oder für eine Büroausstattung. Stephan Nepf räumt auch ein, dass die Hersteller noch Hausaufgaben zu machen hätten. Er sieht allerdings auch die ganze Wertschöpfungskette in der Pflicht, weil Plattenhersteller nicht direkt mit den Konsumenten kommunizieren. «Es ist erklärungsbedürftig, und hier müssten Handel, Möbelindustrie und Handwerk mit einsteigen.» 

Schluss mit Schwarzer Peter

Schreiner sind nicht diejenigen, die für das Gros an Spanplattenverarbeitung sorgen, aber einige von ihnen sind offensichtlich weiter, als manche meinen. «Wir verarbeiten oft formaldehydarme Spanplatten. Unsere Kunden sind bereit, dafür einen Mehrpreis zu bezahlen», sagt Michael Wiedmer von der Schreinerei Röthlisberger AG in Schüpbach. Allerdings sei das Ganze er­klärungsbedürftig gegenüber den Kunden, bestätigt Wiedmer. Und bei der Freba-­Möbel AG in Weisslingen fragen Kunden sogar danach. Der Inhaber Peter Baumann fühle sich auch gut zum Thema informiert durch den Holzwerkstoffhandel. 

Nur zwei Beispiele, wie es sein könnte. Mutmasslich ist die Mehrheit eine andere. Aber Hinweise, dass es gut funktionieren kann, sind solche Stimmen allemal. Und glaubt man den Trendforschern, dann sind Gesundheit und Nachhaltigkeit die Trends, die ein Jahrzehnt und länger anhalten werden. 

Das bei Kindern so beliebte Schwarzer-Peter-Kartenspiel wurde übrigens im Gefängnis erfunden. Später war es dann ein Trinkerspiel. Wer den Schwarzen Peter hatte, musste die nächste Runde bezahlen. Dass die Holzbranche sich nun anschicken könnte, sich davon zu befreien, würde nicht nur denjenigen, die Möbel und Ausbauten an Konsumenten verkaufen, vielleicht schon bald als gewichtiges Argument dienlich sein. Denn wer will schon verspannte Kunden wegen etwas Formaldehyd haben? ch

www.egger.ch

www.hwz.ch

www.herzog-elmiger.ch

www.kronospan.ch

www.wodego.ch

 

Spanplatten und Formaldehyd

Die Alternativen

Möbelspanplatten der Emissionsklasse E1 werden in der Regel mit einem Kondensationsharz auf der Basis von Harnstoff-Formaldehyd (UF-Harze) hergestellt. Alternative Leimsysteme wie etwa Isocyanat basierte PMDI, modifizierte Phenol-Formaldehyde (PF)  sowie Aminoplastharze aus Melamin, Harnstoff und Formaldehyd (MUF--Harze) können die Emissionen des für Menschen reizenden Stoffes mehr als halbieren oder sogar noch weiter absenken. Die meisten Alternativen werden jedoch für Spanplatten bislang nur bei Anforderungen an eine höhere Feuchtebeständigkeit eingesetzt. Auch ein Emissionswert an Formaldehyd bei Spanplatten analog zu naturbelassenem Holz ist bereits möglich.

 

Veröffentlichung: 22. September 2011 / Ausgabe 38/2011

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