Endlich läuft der WM-Countdown

Möbelschreiner Elmar Wyrsch und Experte Tobias Hugentobler schauen sich die Werkzeugkiste an. Bild: Nicole D'Orazio

Berufsweltmeisterschaften.  Elmar Wyrsch und Loïc Santschi vertreten vom 10. bis 15. September die Schweizer Schreiner an den World Skills in Lyon (F). Die beiden haben sich in den Betrieben ihrer Experten monatelang auf den Wettkampf vorbereitet und fühlen sich bereit.

Jeder Handgriff muss sitzen. Elmar Wyrsch hat sich viele Gedanken gemacht, wie er das Werkzeug in seiner Kiste anordnen möchte und welche Maschinen er mitnehmen will. Bei den World Skills in Lyon, den Berufsweltmeisterschaften, will er keine Zeit mit der unnötigen Suche nach dem richtigen Utensil verlieren. Vom 10. bis 15. September kämpft der 20-Jährige aus Attinghausen UR um wichtige Punkte und Medaillen. Er tritt in der Kategorie «Möbelschreiner/in» an und wird versuchen, während 22 Stunden, die auf 4 Tage verteilt sind, das Aufgabenobjekt so gut und detailliert wie möglich herzustellen.

«Ich durfte die Werkzeugkisten von früheren Teilnehmenden anschauen und habe mir bei ihnen Tipps geholt», sagt Wyrsch. Mittlerweile ist sein Werkzeug unterwegs nach Frankreich, und er arbeitet mit wenigen Handwerkzeugen, die er im Koffer mitnimmt, noch an einigen Aufgaben, bevor es für ihn auch bald losgeht. An der WM werden die meisten Kleinmaschinen zur Verfügung gestellt. Auch ein Maschinenpark mit Standardmaschinen wartet vor Ort auf die Teilnehmenden.

Bei den Basics begonnen

Seit letztem Februar trainiert der 20-jährige Urner im Betrieb von Möbelschreiner-Experte Tobias Hugentobler in Braunau TG. Dass er an die WM darf, weiss er seit den Swiss Skills in Bern im September 2022, wo er Schweizermeister wurde. Letzten Sommer schloss er seine Lehre ab und konzentrierte sich dann auf die WM-Teilnahme. «Tobias hat mit mir zu Beginn Basiswissen angeschaut wie zum Beispiel Schubladen, einfach viel detaillierter, als ich mir das gewohnt war. Dann haben wir meine Maschinen genau eingestellt», beschreibt Wyrsch. Geübt hat er unter anderem auch das Furnieren oder das Zinken. «Natürlich habe ich auch Möbel produziert.» Drei Testobjekte sind seit einigen Wochen bekannt. Diese bilden die Basis für das Aufgabenobjekt der World Skills. «Wie dieses genau aussehen wird, das weiss niemand. Es ist bekannt, dass es eine abgeänderte Form oder eine Kombination der drei Möbel sein wird. Also hat sich Tobias verschiedene Möglichkeiten ausgedacht, die ich dann ausgeführt habe.» Den WM-Plan werden die Teilnehmenden am Vorbereitungstag erhalten.

«Ich hoffe, dass das Aufgabenstück nicht zu einfach sein wird. Das spielt uns nicht in die Hände», sagt Tobias Hugentobler. Denn die Schweizer seien von der Ausbildung her in allen Bereichen stark. Dann gibt es Nationen wie Südkorea oder China, in denen die Vorbereitung der Kandidaten viel länger dauert und diese die bekannten Techniken und Hangriffe Tausende Male üben. «Für uns ist es gut, wenn die Aufgabe anspruchsvoll ist», sagt Hugentobler, für den es die fünften World Skills als Experte sein werden und der auf einen grossen Erfahrungsschatz zählen darf.

Die Expertinnen und Experten reisen bereits nächste Woche an den Austragungsort, haben Schulungen, Informationen und bereiten alles für den Wettkampf vor. «Alle lernen auch nochmals, wie genau bewertet wird», beschreibt der Thurgauer. In der Regel ginge das sehr fair vonstatten. Gemeldet sind in der Kategorie «Möbelschreiner/in» Teilnehmende und ihre Entouragen aus 22 Ländern.

Er hat sich persönlich weiterentwickelt

Wyrsch freut sich, dass die World Skills übernächste Woche endlich beginnen. «Teilweise musste ich mich in der Vorbereitungszeit etwas durchbeissen und mich immer wieder neu motivieren. Klar hat man ein Ziel, es ist aber nicht immer einfach, sich jeden Tag zu fokussieren und Vollgas zu geben.» Im Betrieb von Hugentobler gefällt es ihm gut, er hat in den Pausen Anschluss zu den Angestellten, sonst arbeitet er für sich in seinem Bereich. Unter der Woche wohnt der Schreiner nahe der Werkstatt und fährt am Wochenende nach Hause. «Ich habe mich auch persönlich weiterentwickelt, bin reifer geworden. Das Alleine- Wohnen war schon eine Veränderung», sagt er und grinst.

In Lyon darf sich der Innerschweizer über eine grosse Fangemeinde freuen. Neben seiner Familie und Freunden haben sich auch Vertreter seines Lehrbetriebs (Mengelt & Gisler AG, Flüelen UR) angekündigt. «Ich freue mich über die Unterstützung, will mich aber nicht ablenken lassen», sagt er. Auch der Experte will schon im Vorfeld mit den Fans sprechen und sie um etwas Rücksicht und Abstand bitten, damit sich sein Schützling gut auf die Arbeit konzentrieren kann.

Wenn die 22 Stunden in Lyon vorbei sind, möchte Wyrsch in erster Linie mit seinem Möbel und seiner Leistung zufrieden sein. «Ich hoffe, meine volle Leistung und mein Können abrufen zu können. Zu welchem Ergebnis das reicht, sehen wir dann», sagt er. Die hohe Erwartungshaltung der Schweizer Verantwortlichen, die schon viele Erfolge feiern durften, verspürt er zwar etwas, kann aber damit umgehen.

«Wir fahren nach Lyon, um etwas zu gewinnen», sagt der Experte. «Das wird aber nicht einfach. Die Spitze ist breiter geworden. Zwischen 10 und 15 Länder mischen mittlerweile vorne mit. Nur schon ein kleiner Fehler kann den Spitzenplatz kosten.» Er erwartet einen spannenden, fairen und engen Wettkampf. Wyrsch hat sich in den letzten Wochen sehr gut entwickelt. «Ich bin sehr zufrieden. Wenn er seine Leistung abrufen kann, ist alles möglich.»

Die Aufgabe ist eine Überraschung

Im Gegensatz zu Wyrsch weiss Loïc Santschi überhaupt nicht, was für eine Wettbewerbsaufgabe ihn in Lyon erwartet. Erst zwei Tage vor dem Start wird das Objekt den Teilnehmenden und ihren Expertinnen und Experten bekannt gegeben. «Bei den Massivholzschreinern wurde das auf dieses Jahr hin geändert», erklärt der 21-Jährige aus La Chaux-de-Fonds NE. Bisher war es gleich wie bei den Möbelschreinern mit den drei bekannten Objekten. «Ich finde es aber gut. Für mich ist es ein Vorteil, da ich Herausforderungen mag und gerne nach Lösungen suche.» Schweizer Schreiner könnten auf das ganze Repertoire des Handwerks zurückgreifen. «Ich bin gespannt, was gefordert wird.» Antreten wird er gegen 18 Konkurrenten.

Seit seine Werkzeugkiste Mitte August verladen wurde, trainiert der Neuenburger reduziert. «Einige Utensilien habe ich doppelt, und es gibt noch Dinge, an denen ich arbeiten kann. Aber wir nehmen es ruhiger.» Er ist seit April bei seinem Experten im Training. Bei Roger Huwyler in Bex VD. Der Neuenburger wohnt unter der Woche ebenfalls nahe der Werkstatt und fährt am Wochenende nach Hause. «Das Training ist gut verlaufen, und ich verstehe mich mit Roger sehr gut. Er hat mir viel beigebracht», schätzt Santschi ein. Der Experte habe immer wieder neue Objekte vorbereitet und ihn mit diesen herausgefordert. «Das sind zum Beispiel Fensterbögen, Räder oder andere Fragmente.»

Er arbeitet gerne alleine

Für ihn sei es nicht schwierig, alleine oder nur mit Huwyler zu trainieren, sagt Santschi. Sonst ist niemand in der Werkstatt. «Es ist ein Vorteil, wenn man ungestört arbeiten kann. Zudem konzentriere ich mich gerne auf mich selbst.» Was ihn im halben Jahr Training in etwa erwartet, wusste er. «Ich habe guten Kontakt mit dem vorhergehenden WM-Teilnehmer, Romain Mingard. Er hat mir von seinen Erfahrungen berichtet und Tipps gegeben.»

«Meine Stärke ist die Schnelligkeit», findet der Neuenburger. «Allerdings muss ich aufpassen, nicht zu schnell zu sein. Sonst geht das auf Kosten der Präzision.» Der Wettkampf ist auf dreieinhalb Tage verteilt. «Ich will mir jeweils ein Tagesziel setzen.» Nervös ist er noch nicht und fühlt sich bereit. «Ich habe meiner Familie und meinen Freunden gesagt, dass sie nicht die ganze Zeit vor meinem Arbeitsplatz stehen sollen. Das würde mich ablenken.» Er plant, morgens die Stimmung aufzunehmen und dann in seine Arbeit einzutauchen.

Dass die Schweizer Schreiner schon viele Erfolge feierten, erzeugt zwar einen gewissen Druck, gibt aber auch Vertrauen. «Unsere Ausbildung und Trainings sind gut. Es ist möglich, gut abzuschneiden.» Santschis Ziel ist es, zu gewinnen. «Es wird schwierig, und man weiss nie, was kommt. Ich möchte mein Bestes geben und tolle Erfahrungen sammeln.» Ob es dann Gold oder eine andere Medaille gibt, wird man sehen. «Ich finde, man darf sich hohe Ziele stecken. Das spornt mich an.»

Arbeitsablauf braucht Priorität

Für Roger Huwyler sind es die zwölften und letzten Weltmeisterschaften als Experte. Von seinem Schützling hat er eine hohe Meinung. «Seit den Schweizermeisterschaften 2022 hat er sich enorm verbessert. Er muss aber aufpassen, dass er dem Arbeitsablauf genügend Priorität gibt», sagt der 64-Jährige. «Er arbeitet sehr schnell, jedoch mit kleinen Ungenauigkeiten. Wenn er das Trainierte umsetzen kann und nicht in alte Muster zurückfällt, traue ich Loïc eine sehr gute Leistung zu.»

Während des Wettkampfs wird Huwyler mit den anderen Experten die verschiedenen Arbeitsschritte der Kandidaten bewerten und darauf achten, dass alles fair zugeht und niemand Santschi stört. Während des Wettkampfs darf er ihn allerdings nicht coachen. «Wir tauschen uns morgens und abends aus. Ich warte dabei immer, bis er mir Fragen stellt.»

Edelmetall sei zwar immer schön und wertvoll, jedoch für ihn nicht das Wichtigste, betont Roger Huwyler. «Ich will erreichen, dass mein Schützling alles gegeben hat. Dann bin ich zufrieden.»

Zuerst geht es nach Genf

Vom 4. bis 7. September weilen Elmar Wyrsch und Loïc Santschi mit dem Swiss Skills National Team in Genf im Vorbereitungslager. Dann geht es für alle endlich nach Lyon, wo sie ein paar Tage zum Akklimatisieren haben. Am 10. September findet die Eröffnungsfeier statt, ehe vom 11. bis 14. September die Wettkämpfe stattfinden. Die Resultate werden im Rahmen der Abschlussfeier am Sonntag, 15. September, bekannt gegeben.

www.worldskills2024.com

Das Swiss National Team

Die bisher grösste Delegation

Das Schweizer Nationalteam fährt mit 45 Berufstalenten an die World Skills nach Lyon (F). Sie werden in 41 Berufen um Edelmetall kämpfen. Das sei die bisher grösste Delegation, wie die Organisation Swiss Skills mitteilt. Nicht weniger als 17 Kantone und 3 Sprachregionen sind vertreten. An der WM werden über 1500 Talente, die höchstens 22 Jahre als sind, aus 65 Nationen teilnehmen. Total finden 59 verschiedene Wettkämpfe statt. Dazu gehören Berufe wie Floristik, Cyber Security, Schweissen, Kleidungsgestalten oder Hotel Reception.

Das Schweizer Vorbereitungsprogramm umfasst mehrere gemeinsame Teammeetings. Dabei werden neben wettkampfspezifischen Aufgaben auch Teambildung, physische und mentale Aspekte sowie der Umgang mit den Medien geschult. Die tollen Resultate der Vergangenheit lassen das Nationalteam auf viele Erfolge hoffen.

www.swiss-skills.ch

Nicole D’orazio, ndo

Veröffentlichung: 02. September 2024 / Ausgabe 35/2024

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