Die Öko-Platte allein genügt noch nicht

Beim Bau einer neuen Küche bestimmen viele Faktoren, wie nachhaltig sie letztlich ist. Ein wichtiger Faktor sind und bleiben die Kosten. Bild: Schäfer Schreinerei AG

Nachhaltigkeit. Lukas Vatter ist Geschäftsführer der Schäfer Schreinerei AG in Dielsdorf ZH. Der Betrieb gewann 2023 den Swiss Kitchen Award der Fachjury. Vatter sagt im Gespräch mit der Schreinerzeitung, was er unter nachhaltiger Produktion versteht und wo es hapert.

Schreinerzeitung: Wie ist es Ihnen als Schreiner und Unternehmer möglich, den CO2-Abdruck zu verkleinern? 

Lukas Vatter: Grundsätzlich ist es wichtig, Produkte zu wählen, die nicht sogleich wieder ersetzt werden müssen. Also keine Materialien nehmen, die schon nach fünf Jahren wieder fällig sind. Wenn man ein gutes Produkt nimmt, dann hält das 40 Jahre.

 

Und das wäre? 

Nehmen wir als Beispiel ein Projekt in einem öffentlichen Gebäude: Hier ist es besser, wenn man sich bewusst für ein wertigeres Produkt entscheidet. Zu Beginn schneidet das gewählte Produkt zwar möglicherweise schlechter ab. So haben Vollkernplatten einen höheren CO2-Fussabdruck als belegte Platten. Weil sie aber weniger Bearbeitungsschritte erfordern, ist
das Endprodukt letztlich besser. Das haben wir in einem Projekt in Zürich gesehen. Die günstigere Platte hätte unzählige Einschnitte erfordert. Wegen des möglichen Ausstosses von Formaldehyd hätten alle Schnittkanten abgedichtet werden müssen. Der Aufwand wäre enorm gewesen und das Endprodukt nur mässig gut. Weil die Wahl dann letztlich auf ein Vollkernprodukt fiel, fiel in der Herstellung massiv weniger CO an. In der Gesamtbilanz fuhren wir ökologisch besser, und das Produkt war erst noch qualitativ hochwertiger. Anfänglich haben wir die Ausschreibung zwar verloren, wogegen wir Einspruch erhoben. In Zusammenarbeit mit dem Hersteller Pfleiderer konnten wir die bessere Umweltbilanz des teureren Werkstoffes nachweisen – und der Auftrag ging letztlich doch an uns. 

 

Diese Zusammenhänge muss man auch erst einmal verstehen. 

Es wird halt häufig nur der Werkstoff für sich angeschaut. Das bemängle ich eben an den öffentlichen Ausschreibungen: Es wird immer nur gesagt: Ihr müsst eine Öko-Platte verwenden, aber das Endprodukt ist dann häufig nicht besonders langlebig. Nachhaltig ist für mich etwas erst dann, wenn es lange eingesetzt werden kann. Oftmals wird auch vergessen, wie viel Energie bei der Produktion in der Schreinerei benötigt wird. Im vorher geschilderten Fall hätte der Öko-Werkstoff x-tausend Meter verleimte Kanten benötigt. Wie sollen später die Kunststoffkanten und der auch nicht ganz problemlose Leim nachhaltig entsorgt werden, wie es die Ausschreibung verlangt  hatte? Vollkernplatten sind da klar besser. Mit der Wahl eines Öko-Werkstoffes ist es eben nicht getan, man sollte sich nicht von Labels und dem Marketing blenden lassen. Es gibt noch weitere Aspekte, die für die Nachhaltigkeit von Bedeutung sind. Warum wird beispielsweise der Anfahrtsweg zur Baustelle nicht berücksichtigt? Da entsteht auch CO. Eine Firma fährt 100 Kilometer zur Baustelle; sie war halt eben ein paar Franken günstiger. Hier mangelt es mir an Konsequenz. 

 

Wie sieht es denn punkto Nachhaltigkeit bei privaten Auftraggebern aus? 

Das interessiert niemanden! Sogar bei allen, die irgendwo einen grünen Daumen haben, entscheidet zum Schluss das Portemonnaie.Hier merke ich praktisch durchs Band: Alle schrecken vor den höheren Kosten zurück. Fragt man die Leute nach ihrer Meinung, ist klar: Es sollte ökologisch sein. Sobald ich sage, das kostet aber so und so viel mehr, ist es mit der Ökologie vorbei. Was ich dagegen eher erlebe, ist, dass Kunden kommen und sagen, sie möchten gern ein Möbel oder einen Schrank aus Massivholz. Dann ist meist Formaldehyd das Argument und weniger das Argument Nachhaltigkeit. 

 

Dann gibt es keine Firmenpolitik, die besagt, dass man ausschliesslich Küchen aus Dreischichtplatten oder gar Massivholz produzieren möchte? 

Eine Küche aus Massivholz ist nicht per se ökologischer. Da stellt sich etwa die Frage, wie ich das Holz veredle. Ich müsste ja dann konsequenterweise Wasserlack verwenden, was bei der Einzelfertigung, wie wir sie h­aben, eben nicht unproblematisch ist. In einer industriellen Fertigung gelten strenge Vorschriften, und die Produktionsbedingungen und -abläufe sind nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch optimiert. In einem KMU wie unserem ist dies nicht im gleichen Masse der Fall. Wenn
wir beispielsweise mit lösungsmittelhaltigen Lacken arbeiten, muss das Werkstück bei uns in der Firma sieben Tage auslüften, und es darf dann in öffentliche Gebäuden eingebaut werden und gilt sogar als öko­logisch. Nur der Maler, der direkt auf der Baustelle anstreicht, muss mit lösungsmittelfreien Produkten arbeiten. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist doch das eigentlich schwachsinnig. 

 

Was wäre dann konsequent? 

Das ist es nur, wenn der Kunde von sich aus sagt, ich will das nicht. Dann darf ich auch im Werk nicht mit lösungsmittelhaltigen Farben arbeiten. Vom Gesetz her muss ich das nicht tun. Wenn wir nachhaltiger sein sollen und keine flüchtigen organischen Substanzen mehr ausbringen sollen, müsste hier der gesetzgeberische Hebel angesetzt werden. Ich bin allerdings nicht sicher, ob wir als KMU mit Wasserlack tatsächlich nachhaltiger arbeiten würden. Das Verfahren ist sehr aufwendig. Ich bin im Gegenteil überzeugt, dass wir letztlich wohl mehr CO2 produzieren würden als heute, auch wenn ich das nicht im Detail durchgerechnet habe. 

 

Warum? 

Ich stelle doch häufig fest, dass es zwar viele gute Ideen und Ansätze gibt, diese aber in einer Einzelfertigung, wie wir sie praktizieren, nicht funktionieren. Wir haben weder die Anlage noch das routinierte Personal, wie es ein industrieller Betrieb hat. Das habe ich unlängst in Deutschland in einem Werk gesehen, das auf Wasserlack spezialisiert ist und unter anderem für Ikea produziert. Die machen in der Minute 200 Quadratmeter ... das ist einfach wahnsinnig. Da ist alles perfekt aufeinander abgestimmt. Dort funktioniert das. Für uns im Kleinen besteht da nur eine beschränkte Möglichkeit, etwas für die Menschheit zu tun, davon bin ich überzeugt. Ich kann ja schon sagen: «Geh zum Schäfer, da bekommst du eine ökologische Küche!» Das ist dann häufig aber einfach nur noch Marketing. In Tat und Wahrheit, so glaube ich wenigstens, ist die Sache nicht so einfach. 

 

Sie haben doch gesagt, Ihnen sei die Langlebigkeit der Produkte wichtig.
Wie wollen Sie das erreichen? 

Langlebigkeit ist das Hauptthema für uns. Das verkaufe ich den Kunden. Und das verstehe ich auch unter Nachhaltigkeit. Stand der Technik heute und sofern Produkte gewählt werden, die lange halten, kann ich ­einer Küche garantiert ein zweites Leben geben. Ob das geschieht, hängt vom Kunden ab. Grosse Immobiliengesellschaften reden hier halt auch nur von einer Lebensdauer von zirka 20 Jahren. Wir haben auch schon Küchen nach 15 Jahren wieder rausgerissen, weil es ein neues Konzept für den Innenausbau gab. Und die gingen alle in die Entsorgung. 

 

Man könnte die Einbauten doch wiederverwenden. 

Das geht vielleicht in Deutschland, aber nicht bei uns, wo Küchen passgenau eingebaut sind. Die aktuelle Architektur hilft da der Nachhaltigkeit auch nicht, wie ich gerade bei einem Projekt für eine Wohnbaugenossenschaft feststellen musste. Alles muss passgenau stimmen. Das kann man nie mehr anderswo wieder einbauen. Daher sage ich den Kunden: Qualität wählen und Details so ausgestalten, dass etwas problemlos repariert werden kann oder keine grosse Schäden entstehen können. Zum Beispiel die Ecken mit Massivholz ausführen, damit auch mal ein Kind mit einem Bobby-Car hineinfahren kann und nicht viel passiert. Ein anderes Beispiel sind die Sockel: Wenn der aus Spanplatte beschichtet ausgeführt ist, dann ist der früher oder später hin. Die Oberfläche ist rasch verletzt, nur schon von den Schuhen. Und schon saugt das MDF Feuchtigkeit auf und quillt. Das Problem liegt nicht bei den Beschlägen, sondern bei den Details: beim Sockel, bei der Beschichtungsdicke, der Qualität der Kantenleimung, ist es PU-versiegelt? Noch immer arbeiten viele Schreiner mit EVA-Leim. Das ist völlig veraltet im Küchenbau. PU ist Standard für sauber verleimte Kanten, das sorgt für Nachhaltigkeit. Diese Zusammenhänge sind dem Kunden nur schwer zu verkaufen, da es häufig, wie gesagt, nur über den Preis geht. Da wird hier und dort geschraubt am Projekt und am Preis, und das geht dann zulasten der Langlebigkeit. Wir alle sind dem Markt ausgesetzt, und da besteht auch für uns die Verlockung, den Sockel letztlich aus Spanplatten zu offerieren. Der Kunde sieht es ja nicht. Doch das ist nicht nachhaltig. Die Argumentation muss sein: Schau, wir machen es so und so aus diesen Gründen. Die Küche wird zwar etwas teurer, aber sie hält dafür ein Leben länger. 

 

Nach 40 Jahren muss die Küche dann aber dennoch entsorgt werden? 

Wir können uns schon viele Gedanken dazu machen, wie wir einem Möbel ein noch längeres Leben schenken könnten. Da hirnten zig Menschen beispielsweise darüber nach, in welcher Form ein altes Büromöbelchen weiter genutzt werden könnte. Der Schreiner sollte eine Lösung parat haben. Es wird hin- und herdiskutiert, sich der Kopf zerbrochen und hin- und hergefahren, um 30, 40 Möbel zu retten. Ein richtiggehender Murks, das Ganze, und wunderschön sieht es in der Regel auch nicht aus. Meiner Meinung nach wäre es schlauer und auch ökologischer gewesen, in der gleichen Zeit die alten Möbel sachgerecht zu entsorgen und ein neues, sauberes Möbel zu entwerfen und zu bauen, das wieder ein langes Leben vor sich hätte. 

 

Also eher weniger Aufwand betreiben, um etwas noch zu retten, dafür etwas Neues umso besser machen? 

Ja, das ist meine persönliche Meinung. Ich sehe da mehr Sinn dahinter. Die erwähnte «Rettungsaktion» bindet Arbeitskräfte, und CO2 entsteht dabei auch. Da ist es doch besser, die Energie in ein wirklich sinnvolles Projekt zu stecken. Da frage ich mich dann vielmehr: Warum werden heutzutage viele Objekte saniert, bei denen es gar nicht nötig wäre, die noch tipptopp beieinander sind? Das finde ich dann wirklich verrückt. Es werden Innenausbauten rausgerissen auch unter dem Aspekt, etwas nachher teurer vermieten zu können, oder weil das Teil rund ist, heute der Trend aber eckig ist. Diese Verschwendung erlebe ich häufig. 

 

Dabei werden ja auch immer relativ junge Küchengeräte herausgerissen. Was halten Sie von deren Wiederverwendung? 

Das ist für uns aktuell kein Thema. Ich rede ja auch ab und zu mit Vertretern der Gerätehersteller. Und was ich hier nicht verstehe: Warum erlässt der Gesetzgeber keine Vorgaben, wie lange beispielsweise ein Kühlschrank funktionieren muss? Es sollte von den Herstellern eine Garantie verlangt werden, dass ihre Geräte 15 oder 20 Jahre funktionieren müssen. Denn technisch ist das schon längst möglich. Wir hatten gerade den Fall eines Kunden, bei dem wir vor knapp acht Jahren einen Kühlschrank montiert haben. Nun sagt der Kunde, die Rückwand habe sich abgelöst. Wie ich nun in Erfahrung bringen konnte, hält die Schäumung nicht respektiv hat austretendes Gas durch lecke Leitungen die Rückwand abgelöst. Dies sei bei allen Marken dasselbe Problem und komme regelmässig vor. Sechs bis acht Jahre sollte ein Kühlschrank halten, sagen die Hersteller. Mit Glück werden es elf Jahre. Das ist doch verrückt. Stefan Hilzinger

www.schaefer-schreinerei.ch 

 

Neue Regelungen zur Stärkung der KreislaufwirtschaftRecycling geht der Verbrennung vor

Recycling geht der Verbrennung vor 

Mitte November hat der Bundesrat beschlossen, verschiedene Gesetzes­änderungen zur Stärkung der Schweizer Kreislaufwirtschaft auf 1. Januar 2025 in Kraft zu setzen, wie dies eine parlamentarische Initiative von der Landes­regierung verlangte.

Ziel der Änderungen ist es laut einer Mitteilung des Bundesamtes für Umwelt «Umweltbelastung und Ressourcen­verbrauch zu reduzieren». Zudem werde angestrebt, die Wettbewerbsfähigkeit und die Versorgungssicherheit der Schweizer Wirtschaft zu steigern. Es sollen sich für Schweizer Unternehmer «zukunftsorientierte Geschäftsfelder mit neuen Möglichkeiten zur Wertschöpfung eröffnen», heisst es in der Meldung weiter. Neu werden die Grundsätze der Ressourcenschonung und Kreislauf­wirtschaft gesetzlich festgeschrieben. Künftig gilt unter anderem, dass Recycling (Wiederverwendung/-verwertung) der Verbrennung grundsätzlich vorgeht. 

 

Grenzwerte für graue Energie 

Im Baubereich erhalten die Kantone den Auftrag, Grenzwerte für die graue Energie bei Neubauten und bei wesent­lichen Erneuerungen bestehender Gebäude festzulegen. Dadurch sollen Anreize für eine umweltschonende Bauweise entstehen. Ausserdem darf der Bund künftig Anforderungen an ressourcenschonendes Bauen stellen. hil

Veröffentlichung: 12. Dezember 2024 / Ausgabe 50/2024

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