Die Kugel rollt über ausgefallene Bahnen
Die Bahn der Wüthrich Schreinerei ist insgesamt 15 Meter lang. Bild: PD
Die Bahn der Wüthrich Schreinerei ist insgesamt 15 Meter lang. Bild: PD
Thurgauer Schreinerlernende sind für eine neue touristische Attraktion mitverantwortlich: der Rugelreise von Matzingen nach Frauenfeld. Drei von ihnen erzählen, wie sie bei den Kugelbahnen ihres Betriebs vorgegangen sind.
Der Turm ist 4,30 Meter hoch und konnte in der Werkstatt nicht zusammengesetzt und aufgestellt werden. Er besteht aus Eschenholz und ist nicht nur eine kleine Kopie des Stählibucks, einer Aussichtsplattform oberhalb von Frauenfeld TG, sondern auch eine Kugelbahn. Für die Thurgauer Rugelreise, einem Spaziergang von Matzingen nach Frauenfeld dem Fluss Murg entlang, haben neun Schreinereien und ein Forstbetrieb total zwölf Kugelbahnen entworfen und produziert. Vorwiegend als Lehrlingsprojekt. Dieses entstand nach einer Idee von Thurgau Tourismus und wird vom Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten VSSM unterstützt. «Ich finde unsere Bahn die coolste», sagt Linda Meyer und lacht. «Sie sticht heraus. Ich war überrascht, wie hoch der Turm ist, als wir ihn aufstellten. Er ist toll geworden.»
Die 30-Jährige ist bei der Schreinerei Kunz in Frauenfeld angestellt und beginnt nun das dritte Lehrjahr. Schreinerin EFZ ist ihre Zweitausbildung. Die gelernte Polygrafin hat nicht lange im Beruf gearbeitet, sondern Verschiedenes ausprobiert, zum Beispiel in der Gastronomie oder als Dekorationsgestalterin gejobbt. «Dann war es aber Zeit, nochmals etwas Neues zu erlernen», erzählt sie. Schreinerin sei ein toller Beruf, weil er vielseitig sei und viel Wissen vermittelt werde. «Ich bin fasziniert davon, das habe ich beim Turmbau auch wieder erfahren.»
Geplant hat die Kugelbahn ein Mitarbeiter des Lehrbetriebs. Meyer war dafür zuständig, das Material zu richten, zuzuschneiden und zusammenzubauen. «Die Arbeit ist gut verlaufen. Ich musste darauf achten, dass ich die Winkel passend schneide.» Als der Turm stand, sei es dann ein Tüfteln gewesen, dass die Kugel überall gut durchläuft, nicht zu schnell und auch nicht zu langsam wird. Ein Seilzug sorgt dafür, dass das Rund zum Start hochkommt und dann seine Reise antreten kann. «Wir mussten schon ausrücken, weil Passanten Tennisbälle verwendet haben. Aber diese sind zu gross und stecken fest.» Denn für die Rugelreise wurden extra Holzkugeln produziert, die an einigen Orten gekauft werden können. Die Lernende ist stolz, Teil dieses Projekts zu sein. «Von Bekannten und Freunden wurde ich in einem Zeitungsbericht erkannt. Das war schon schön.» Drei Viertel aller Bahnen hat sie sich schon angeschaut. «Ich finde die Rugelreise eine tolle Idee. Ich werde den Weg bestimmt bald mit Freunden begehen.»
Für die Produktion der Kugelbahn der M+E Schreinerei aus Münchwilen TG war Rico Tschirren (kleines Bild rechts) verantwortlich. «Geplant hat sie mein Vorgesetzter, ich habe fast alles produziert und war auch bei der Montage dabei», erzählt der 20-Jährige aus Niederhof bei Bussnang TG. «Eigentlich war es ein Auftrag wie jeder andere. Jedoch hatte ich zuvor noch nie mit Neigungen zu tun und musste etwas pröbeln.» Die Herausforderung sei gewesen, dass der Standort der Bahn kaum ein Gefälle aufweist und sie diese mit der Bahn erschaffen mussten. «Unser Ziel war, eine flache Bahn zu bauen, die eher langsam ist, damit auch kleine Kinder gut an sie herankommen und die Kugel die ganze Zeit verfolgen können. Zum Schluss läuft sie um einen alten Baumstrunk.» Der Plan sei meistens aufgegangen, er habe nur wenig improvisieren müssen. In der Mitte muss die Kugel zum Beispiel einen Zickzack überwinden. Da hätten er und sein Arbeitskollege zuerst nicht gewusst, ob das klappt. Bei der Montage hatte nicht alles sofort zusammengepasst, und sie mussten einige Elemente anpassen.
Die Bahn besteht aus Lärchenholz, weil dieses sehr witterungsbeständig und ideal für draussen sei. «Ich habe es bei der Produk- tion extra nass gemacht, damit es beim Biegen weniger reisst. Das hat gut geklappt.» Tschirren hat rund zwei Wochen an der Bahn gebaut. «Das Projekt finde ich speziell, und ich hatte Freude an der Arbeit. Einige der anderen Bahnen habe ich gesehen. Sie sind teilweise ganz anders als die unsrige. Aber das macht ja den Reiz aus. Die Leute haben sicher Spass, die verschiedenen Bahnen zu bestaunen und auszuprobieren.» Einige Freunde und seine Eltern hätten den Weg schon absolviert und nur Gutes berichtet. Wenn er Zeit habe, werde er das auch machen.
Rico Tschirren hat nun das vierte Lehrjahr begonnen. In seinem Lehrbetrieb ist er seit fünf Jahren. «Ich habe zuerst die Ausbildung zum Schreinerpraktiker EBA gemacht. Das erste Jahr in einem anderen Unternehmen, dann bin ich zur M+E Schreinerei gekommen», erzählt er. Die EFZ-Lehre absolviert er in vier Jahren, nicht um ein Jahr verkürzt. Der Thurgauer ist zufrieden, wie es läuft. Die Teilprüfung hat er kürzlich bestanden. «Allerdings bin ich nur mässig zufrieden. Es hätte besser laufen können. Ich war sehr nervös. Hauptsache bestanden.» Er freut sich, dass er nun auf die Zielgerade kommt. Sechs Jahre seien eine lange Zeit. Seinen Lehrbetrieb mag er. «Wir sind 6 Lernende und insgesamt rund 45 Angestellte. Im ersten EFZ-Lehrjahr war ich hauptsächlich auf dem Bau, danach aber mehr im Betrieb.» Zukunftspläne für nach dem Berufsabschluss hat Tschirren noch keine konkreten. «Sicher möchte ich zuerst einfach mal arbeiten und Geld verdienen.»
In genau dieser Situation befindet sich Pascal Odermatt (kleines Bild unten) gerade. Nächste Woche beginnt er seine neue Arbeitsstelle bei der P. Baumgartner AG in Ettenhausen TG. «Dort sind wir nur zu fünft in der Schreinerei, und ich werde für die Produktion mitverantwortlich sein», erzählt der 19-Jährige aus Aadorf TG. «Ich freue mich. Aber ich schaue sehr gerne auf meine frisch beendete Ausbildung zurück.» Diese hat er in der Wüthrich Schreinerei AG in Aadorf absolviert. «Ich hatte eine gute Zeit, und in den vier Jahren hatte ich kein Down.» Abgeschlossen hat er mit einer Note von 5,1. «Damit bin ich sehr zufrieden», sagt er. Er habe viel gelernt und durfte eigene Projekte realisieren. Wie die Kugelbahn.
Zusammen mit den Lernenden Ramon Grimm und Lyn Reiser hat Odermatt an der Bahn gearbeitet. «Im Februar waren wir drei erstmals am Standort und haben dann Skizzen erstellt. Wir hatten genug Ideen. Eigentlich wollten wir noch einen Looping einbauen. Für diesen hat leider die Zeit nicht gereicht», erzählt er. Die Hauptverantwortung lag bei ihm. Die Produktion dauerte etwa eineinhalb Wochen. «Die Bahn ist eigentlich erst vor Ort ganz entstanden. Die Elemente hatten wir zwar dabei, haben sie aber vor Ort ans Gefälle angepasst, gepröbelt und improvisiert. Das war noch lustig, und wir haben einiges gelernt.»
Den Start bildet eine Treppe, die zu einem grossen Holz-Eichhörnchen führt, von wo die Kugel ins Rollen kommt. «Wir haben zum Beispiel eine Wellenbewegung oder einen Zickzack mit einem W für Wüthrich Schreinerei eingebaut, zudem gibt es eine löchrige Platte, bei der die Kugel nach unten fallen soll. Wir mussten einige Elemente ausprobieren und mehrere Übergänge ausbessern und anpassen. Insgesamt ist die Bahn 15 Meter lang.» Sie besteht aus Lärche und Douglasie. Letztere ist ebenfalls gut für draussen geeignet, harzhaltig und wehrt damit Käfer ab. Da die Kugelbahn öffentlich zugänglich ist, musste Odermatt einiges beachten. «Es gab relativ viele Vorgaben. Die Bahn muss natürlich sicher und für alle bedienbar sein. Ich fand es ein spannendes Projekt, das vielen Leuten Freude bereitet. Es macht mich schon stolz, einen Teil dazu beigetragen zu haben.»
Nicole D'Orazio
www.kunz-schreinerei.chwww.me-schreinerei.chwww.wuethrich-schreinerei.chwww.thurgau-bodensee.ch/rugelreise
Veröffentlichung: 01. August 2024 / Ausgabe 31-32/2024
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