Der mit dem Löwen tanzt

Grün wie Smaragd schillert die Haut des Kostüms, doch der Löwe erwacht erst zu voller Pracht, wenn Kevin Käppeli (27) hineinschlüpft. Bild: Beatrix Bächtold

Der König der Tiere schläft. Dann plötzlich – seine Lider zucken, seine Ohren zittern nervös. Der Löwe räkelt sich, steht auf, setzt einen Fuss vor den anderen und bewegt sich zaghaft in Richtung Publikum.

Das «Bumbum, Bumbum» der chinesischen Trommeln klingt wie sein Herzschlag. Als er sich auf seine Hinterbeine stellt, ragt der Kopf gut drei Meter in die Höhe. «Ohhh!», rufen die Zuschauer. Die Bestie geniesst ihren Respekt, wiegt den Kopf hin und her, die Barthaare am Unterkiefer erbeben. Doch keine Angst – dieser Löwe, der hier gerade an einem Hochzeitsfest erwacht, ist zwar aus Fleisch und Blut, aber eben nicht mit Löwen-, sondern mit Schreiner- und Metallbauer-Genen ausgestattet. Denn unter der Haut des beeindruckenden Raubtieres steckt immer ein eingespieltes Team von zwei Personen. Das Vorderteil des Löwen heisst Kevin Käppeli, kommt aus dem aargauischen Muri und arbeitet «im richtigen Leben» als Schreiner. Er gibt die Richtung vor, trägt den Kopf und bedient in dessen Innerem mit einer Schnur die Augenlider. Der Tänzer im Hinterteil der Löwenfigur muss Muskeln haben. In diesem Fall heisst der Kraftprotz Moris Ingenito, ist 25 Jahre alt und Metallbauer. Während der rund 15-minütigen Vorführung des «Lion Dance Team Lushan» stemmt Ingenito also seinen Partner in die Luft, balanciert so mit ihm über eine rollende Kugel oder über ein Holzgestell, das bis zu 6 Metern hoch sein kann. «Ich habe es selbst aus Leichtholz gemacht», sagt Kevin Käppeli.

Während der Vorführung steckt der Schreiner in einem Kostüm und sieht absolut nichts. «Ich muss bei dieser Akrobatik meinem Partner blind vertrauen können», sagt er. Seit einem halben Jahr betreibt er den traditio-nellen chinesischen Löwentanz.

«Der soll das Glück bringen und schlechte Energie vertreiben. Auf mich trifft das zu. Ich habe einen tollen Beruf, eine super Partnerin und meine Tochter», sagt er und erklärt, dass die acht Monate alte Giulia ein richtiger Löwentanz-Fan ist. Zu seinem Hobby kam der heute 27-Jährige vor einem halben Jahr in der Kung-Fu-Schule, in der er seit Jahren das chinesische Kickboxen Sanda betreibt. Seitdem trainiert er pro Woche rund vier Stunden, denn was auf der Bühne leichtfüssig erscheint, ist das Ergebnis eiserner Diszip- lin. Alleine der Kopf des Löwen wiegt mehrere Kilos, obwohl er aus nichts anderem besteht als aus einem mit Folie bespannten Bambusgeflecht. Geübt wird in sogenannten Trockenübungen ohne Kostüm, damit das gute Stück im Falle eines Sturzes schadlos bleibt. Als Schreiner könnte Käppeli das Bambusgeflecht zwar reparieren, doch wenn die Haut reissen würde, so wäre das wirklich ärgerlich. Um die Entstehung des Löwentanzes ranken sich Legenden. Eine besagt, dass vor Urzeiten ein merkwürdiges Tier im Traum eines Kaisers auftauchte.

Die weisen Berater des Herrschers analysierten den Vorfall und kamen zu folgendem Schluss: Ein Löwe wollte dem Kaiser mitteilen, dass dieser ihm rangmäs-sig gleichgestellt sei. An dieses Ereignis erinnert der Löwentanz. In China wird er immer zum Neujahrsfest aufgeführt; bei der Einweihung von Gebäuden, bei Hochzeiten und sonstigen wichtigen Ereignissen ist er Glück bringendes Ritual.

Und wie schafft es Käppeli, die Gefühle eines Löwen so detailgetreu nachzuempfinden und in den Löwentanz einzubringen? Er verrät: «Ich habe meine Tigerkatze Nala beobachtet und viel von ihr gelernt.»

«Der Tanz soll Glück bringen. Auf mich trifft das zu. Ich habe einen tollen Beruf, eine super Partnerin und meine Tochter.»

BEB

Veröffentlichung: 04. Mai 2017 / Ausgabe 18/2017

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