Der Autodidakt

Hans Knoll am Steuer seines Volvo 122 S. Mit der Restaurierung des Fahrzeugs erfüllte sich der Schreinermeister einen Bubentraum. Bild: Stefan Hilzinger

Leute. Flott fährt der Volvo über die Halenbrücke, dann geht’s rechts weg, die steile Bernstrasse hoch durch Herrenschwanden Richtung Meikirch. Ruhig steuert Hans Knoll (61), Rufname «Hänsu», Schreinermeister, Dozent und Auto-Restaurator im Nebenamt, seinen Oldtimer mit Jahrgang 1959 durch die sommerliche Berner Landschaft.

Kein Ruckeln ist zu vernehmen, kein Rauch steigt in die Nase. Durch die schräg gestellten Fenster beim Armaturenbrett strömt kühlender Fahrtwind ins Innere. Der Vierzylinder mit 1,6 Liter Hubraum leistet 76 Pferdestärken und tut seinen Dienst wie eh und je. «80 PS waren doppelt so viele, wie ein Opel Rekord unter der Haube hatte», sagt Knoll, und auch von einem vollsynchronisierten Vierganggetriebe konnten damals viele nur träumen. Der Volvo, Modell 122 S Amazon, strahlt beim Fototermin mit der Sonne um die Wette. Gut zwei Jahre davor präsentierte sich die Sache noch vollkommen anders. Hans Knoll – vom Volvo-Virus befallen, seitdem er als Bub in Vaters Amazon ans Mittelmeer mitfahren durfte – entdeckte das Fahrzeug als Scheunenfund. Der flotte Schwede schlief im legendären Bestand der Firma Messerli im Gürbetal seit 1984 den Dornröschenschlaf, bis Knoll 2022 den Schlaf nachhaltig störte. Seither sind 2000 Arbeitsstunden ins Land gegangen, und gut 50 000 Franken haben die Hand gewechselt. «Es gibt keine Schraube und kein noch so kleines Teil an dem Wagen, das wir nicht in die Finger genommen haben für die Restaurierung», berichtet Knoll. Das Ziel: Das Gefährt so original wie möglich wieder aufzubauen und alltagstauglich in Betrieb zu nehmen.

«Für alles, was ich nicht professionell selbst machen kann, steuere ich Hilfe an.»

Wie Schreiner sind, geht auch Knoll mit Akribie ans Werk, allerdings kennt er als Nicht-Mechaniker auch seine Grenzen. Der Volvo ist nicht sein erstes Restaurationsobjekt. Er hat sich bei früheren Vorhaben zwar schon viel Know-how angeeignet, und sein handwerkliches Geschick muss er als Schreiner nicht verstecken. Aber er sagt: «Für alles, was ich nicht professionell selbst machen kann, steuere ich Hilfe an.» So steckt im neu-alten Volvo beispielsweise auch sehr viel Wissen und Geschick eines 80-jährigen Automechanikers, der in den 1960ern aus Ungarn in die Schweiz flüchtete. «Gyula ist europaweit eine anerkannte Kapazität, was Volvos angeht.» Und für die anspruchsvolle Bicolor-Farbgebung in Mitternachtsblau und Graubeige setzte er auf das Fachwissen der Firma Interbus in Kerzers FR, wo die Lehrlinge die Karosserie lackierten. «Was ich als ehemaliger Schreinerausbildner in der ‹Lädere› in Bern natürlich besonders toll finde.» Warum hat der Arztsohn aus Bern nicht Mechaniker gelernt, wo er sich doch mit dem 122 S Amazon einen echten Bubentraum wahr gemacht hat? «Ich wusste halt immer, dass ich Schreiner werden möchte, und ich wusste auch früh, dass ich im Gegensatz zu meinen Brüdern nicht Arzt werden will», sagt Knoll.

Vor Kurzem hat er sich selbstständig gemacht, widmet sich seiner Autoleidenschaft und ist als eine Art Stör-Schreiner unterwegs. «Ich bin meine eigene Firma», sagt Knoll. Lediglich eine einfache Website weist auf seine Dienstleistungen hin. «Ich bin ein Mensch, der von Beziehungen lebt», sagt der Vater zweier erwachsener Kinder. Den blauen Volvo mit den Weisswandreifen wird er behalten. «Der kommt in den Nachlass», sagt er mit Bestimmtheit. Vieles, sehr vieles ist original beim veteranengeprüften Fahrzeug, auch der festgehockte Motor liess sich wieder in Schwung bringen. Einzig der Anlasser macht gelegentlich Macken. Und das lässt Knolls Ehrgeiz keine Ruhe.

Stefan Hilzinger

Veröffentlichung: 23. September 2024 / Ausgabe 38/2024

Artikel zum Thema

30. September 2024

Mit Gespür für Hochprozentiges

Leute. Der gelernte Schreiner Daniel Kissling spielt seit 42 Jahren Schwyzerörgeli, hat zusammen mit zwei Geschäftspartnern, eine eigene Whiskybrennerei auf dem Gurten und arbeitet hauptberuflich im archäologischen Dienst in Bern.   

mehr
16. September 2024

Der letzte Meister der Wandtafeln

Leute. Der 64-jährige Adrian Heer füllt sorgfältig die graue RAL-Farbe, gemischt mit einem Härter, einem Verdünner und einem Farbhafter, in den Linierapparat ein.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Leute