«Das Mittelstück trägt alles»

Der «Cresta Chair» wurde mit dem Design Preis Schweiz ausge-zeichnet. Bild: Jörg Boner, Dadadum

Interview.  Designer Jörg Boner gewann mit dem «Cresta Chair» den diesjährigen Design Preis Schweiz in der Kategorie «Newcomer – Furniture Design». Er entwarf ihn für das junge Label Dadadum. Der Stuhl lebt von seinen speziellen Verbindungen, die vom Mittelstück ausgehen.

SchreinerZeitung: Herr Boner, Sie sagten an der Preisverleihung des Design Preis Schweiz, die Herausforderung am «Cresta Chair» sei es gerade gewesen, auf Innovation zu verzichten. Meinten Sie das wirklich so?
Jörg Boner: Das war natürlich etwas polemisch formuliert. Damit wollte ich sagen, dass Innovation auch im Design nicht zwingend über allem stehen muss. Man hat in der Schweiz die Tendenz, alles über technische Innovation zu begründen. Wenn jemand sagt, er habe es erfunden, ist das oft ein Grund, dass er es machen darf. Das bringt uns nicht immer weiter. Wenn man ehrlich ist, sind die grossen Erfindungen im Holzsektor recht selten. Trotzdem lohnt es sich, neue Formen zu finden, die mit vorhandenen Technologien produziert werden können. Manchmal darf ein Objekt einfach auch nur schön sein.
Was ist speziell an Ihrem Stuhl?

Der Reiz des Projekts lag darin, sich der Stabelle als einem traditionsreichen, alpenländischen Stuhltypus anzunehmen und ihre Form in die heutige Zeit zu transformieren. Zentral bei diesem Stuhl ist das Mittelstück. Es funktioniert wie ein Knoten und trägt alles. Aus dem Mittelstück geht die Lehne hervor, die Sitzfläche, aber auch die Beine sind in ihr verankert.

Erst durch ihre Dreiteilung wird die Sitzschale überhaupt sinnvoll fräsbar. Es würde ja keinen Sinn machen, die gesamte Schale dreidimensional aus einem Stück zu formen. So ist es möglich, die Faserrichtung der einzelnen Segmente entsprechend der Richtung ihrer Belastung optimal auszuwählen. Keilzinken verbinden die Stücke. Die Kombination der drei Elemente erlaubt uns, die Sitzschale dreidimensional auszuprägen. Im Gegensatz zur klassischen Stabelle, die ganz streng genommen aus zwei Brettern besteht, bietet der «Cresta Chair» einen hohen Sitzkomfort.

Sie sagen, der «Knoten» sei das Kernstück. Er verbindet die Teile des Stuhls. Wie haben Sie ihn gestaltet, damit er die entstehenden Kräfte aufnehmen kann?

Der ‹Knoten› ist generell etwas dicker gewählt, um ein Maximum an Stabilität zu erreichen. Ausserdem vollzieht er den Richtungswechsel von der Horizontalen in die Vertikale.

Gibt es versteckte Konstruktionen?

Eigentlich nicht. Die Verzahnung ist zusätzlich gedübelt, um ein Maximum an Stabilität zu erhalten. Die Beine sind oben ebenfalls als dicker Holzdübel ausgeformt und so mit dem ‹Knoten› verbunden.

«Cresta» heisst auf italienisch Kamm. Der Keilzinken ist grundsätzlich eine industrielle Verbindung, wird aber hier sichtbar eingesetzt. Was war der Grund?

Stabellen waren in früheren Zeiten oft mit Schnitzereien verziert. Beim «Cresta Chair» bringen wir auch das Ornament in eine heutige Form. Der Keilzinken ist nicht nur eine Verbindungstechnik, sondern ein modernes, technisches Ornament, das hier betont und gezeigt wird.

Also wurde die Verbindungstechnologie nicht vom Produzenten eingebracht?

Dass wir Keilzinken als verbindendes und schmückendes Element einsetzten, lag im Konzept. Die italienische Firma Mattiazzi konnte den Stuhl schliesslich herstellen. Sie hat mit dem «Osso Chair» von Ronan und Erwan Bouroullec ihre Kompetenzen in Sachen Massivholzstühle bewiesen. Die Firma Mattiazzi setzte als zusätzliche Verstärkung der beiden Keilzinkenverbindungen Dübel ein. Ansonsten ist der Entwurf kaum von Inputs des Herstellers beeinflusst. Die Entwürfe wurden fast genauso umgesetzt. Das ist ungewöhnlich. In der Regel nähern wir uns mit Kartonmodellen in Originalgrösse an die definitive Form an. Der Prozess der Formfindung geschieht dann im Pingpong mit dem Hersteller und kann gut auch einmal zwei Jahre dauern, wie beispielsweise beim Stuhl «Wogg 50». Beim «Cresta Chair» haben wir ohne Modelle direkt am CAD entwickelt.

Auftraggeber Demian Conrad hat sich mit seinem jungen Label Dadadum der Kultivierung von Schweizer Design verschrieben. Wie lief die Zusammenarbeit mit ihm konkret ab?

Das ist eine lustige Geschichte. Demian Conrad, der Gründer des Labels Dadadum, hat tatsächlich eines Abends bei uns angerufen. Daraufhin kam ein Treffen zustande, wo er sehr schön sein Anliegen aufzeigte. Er hatte die Möbelgeschichte der Schweiz aufgearbeitet. Daraus resultierten typische Schweizer Materialien wie Granit, Stahlblech, Aluminium oder eben Massivholz. Bunttöne wurden explizit ausgeklammert, die passten irgendwie wenig zur Schweiz. Dezente Beiztöne könnten allerdings in Zukunft dem Stuhl Farbe verleihen. Die Holzstruktur musste einfach sichtbar bleiben. Zurzeit testen wir, ob die Form auch mit anderen Holzarten machbar ist.

Wenn schweizerische Werte im Konzept derart eine Rolle spielen, weshalb hat man den Stuhl schliesslich nicht in der Schweiz produziert?

Wir wollten einen Produzenten, der auf Stühle spezialisiert ist. Die Firma Mattiazzi ist das zweifellos. Ausserdem hat die CNC-Technologie gut zu diesem Auftrag gepasst. Die Stabelle ist traditionsgemäss ein Einzelstück. Die CNC-Technik hat im Stuhlbereich ebenfalls diesen Charakter. Wäre die industrielle Produktion mit hohen Stückzahlen das Ziel, würden sich andere Technologien und Materialien wie Formsperrholz anbieten. Das darf jetzt nicht falsch verstanden werden. Selbstverständlich ist die CNC-Technik in anderen Bereichen sehr effizient.

www.joergboner.chwww.designpreis.chwww.teojakob.chwww.dadadum.comwww.mattiazzi.eu

Zur Person

Jörg Boner Produktdesign

Der gelernte Schreiner Jörg Boner hat in Basel an der damaligen Schule für Gestaltung die Fachklasse für Innenarchitektur und Produktgestaltung besucht. Gemeinsam mit anderen Schweizer Gestaltern gründete er 1996 die Designgruppe «N2». Als eine der bekanntesten Arbeiten gemeinschaftlichen Schaffens aus dieser Zeit gilt ein Redesign des Stuhls «Classic 1-380» von Horgen Glarus. Der «Beizenstuhl» wurde mit leuchtender Sitzfläche ausgestattet.

Seit 2001 betreibt Jörg Boner ein eigenes Atelier in Zürich. Mit seinen Arbeiten hat er bereits etliche Designpreise gewonnen. Darunter sind Möbel für Wogg genauso wie solche für internationale Produzenten. Die Gestaltung von Leuchten, Produkten und Räumen runden sein Portfolio ab.

MW

Veröffentlichung: 22. November 2013 / Ausgabe 47/2013

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