«Bootshobel sind nicht zu gebrauchen»

Bilder: Angelo Agosti Die richtige Platzierung und Führung der Beschläge, Schoten und Fallen erfordern viel Erfahrung.

Restaurierung.  Ein Schreiner haucht einem alten Segelschiff aus Holz neues Leben ein. Moderne Maschinen und Fertigungstechniken kann er dafür nicht einsetzen. Es zählen handwerkliches Geschick, Geduld und Erfahrung – wie damals, als das Schiff gebaut wurde.

Computergesteuerte Bearbeitungszentren, Kantenanleim- und Schleifmaschinen – solche Maschinen finden sich auch bei der Agosti Holz-Ideen AG, kamen aber bei diesem Restaurierungsprojekt kaum zum Einsatz. «Ich musste mir stattdessen drei neue Hobel und eine Handsäge kaufen», erzählt Angelo Agosti.

Das spezielle Projekt heisst «Ingrid», wiegt rund 1440 kg, steht in den Wintermonaten im Untergeschoss der Schreinerei zwischen Regalen voller Massivholz und Furnier. Es handelt sich um eine 25 qm grosse Einheitskielyacht aus Holz, Baujahr 1934, gezeichnet vom bekannten Yacht-Designer Henry Rasmussen. Der sogenannte Malteserkreuzer ist eines der letzten noch seetüchtigen Segelschiffe dieser Klasse. «Viele von diesen Booten segelten auf den Seen rund um Berlin. Die meisten fielen dann wohl dem Krieg zum Opfer», sagt Angelo Agosti. Kein Wunder: das im Kiel verarbeitete Blei und andere Materialien waren zu dieser Zeit begehrte Rohstoffe. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass die «Ingrid» noch mit dem originalen Bleigewicht ausgerüstet ist. Daraus leitet Agosti ab: «Das Boot musste also damals einer sehr wohlhabenden oder wichtigen Person gehört haben.»

Wiederholen, bis es passt

Der Kiel stellte bei der Restaurierung auch die erste Herausforderung dar: Der Vorbesitzer hatte mit der Restaurierung begonnen und den ganzen Rumpf überarbeitet, aber den fast 3 m langen und 1 m hohen Flügelkiel hatte er nicht fertiggestellt. Also musste dieser komplett neu aufgebaut und die Befestigungsbolzen sowie das Bleigewicht mussten angebracht werden. Dazu verleimte Angelo Agosti 16 Lagen Eichenholz, die anschliessend in die richtige Form gearbeitet werden mussten. «Zum Glück existiert die Werft noch. In ihrem Archiv gibt es noch die originalen Pläne, an denen ich mich orientieren konnte», sagt Agosti. Der Kiel musste perfekt an den Rumpf angepasst werden. Schliesslich wirken während des Segelns grosse Kräfte auf diese Schnittstelle. Ohne Handarbeit ging jedoch nichts. Mit einem Palettrolli hob Agosti den Kiel unter den Rumpf und nahm Mass. Danach arbeitete er so lange mit dem Handhobel nach, bis der Kiel perfekt passte. «Anders geht es bei solchen historischen Schiffen gar nicht», ergänzt Agosti. Verständlich, damals, 1934, wurde das ganze Boot von Hand gefertigt, Toleranzen und kleine Abweichungen zu den Plänen sind normal.

Dem Radius anpassen

Wer jetzt glaubt, dass es sich bei den eingesetzten Handhobeln um spezielle Schiffs- oder Bootshobel handelt, liegt falsch. Das musste auch Angelo Agosti lernen, als er 2005 für zwei Jahre eine Zusatzausbildung im Bootsbau absolvierte: Diese Hobel seien nicht zu gebrauchen, bläute ihm der Ausbildner ein. Am Bootshobel kann man zwar den Radius relativ genau einstellen. Im Bootsbau sind diese aber nie exakt rund und gleichmässig. Da ist es einfacher, mit einem gewöhnlichen Hobel zu arbeiten und den Schnitt durch horizontales Abdrehen dem Radius anzupassen. «Das braucht halt einiges an Zeit und viel Gefühl», erzählt Angelo Agosti.

Trotzdem versuchte er bei den Restaurierungsarbeiten ab und zu gewisse Teile vorzufertigen – was ja im Schreinermetier üblich ist. Die Versuche kosteten aber fast jedes Mal einiges an Gelduld. «Die meisten Teile passten dann doch nicht und ich konnte wieder von vorne beginnen», schmunzelt Agosti.

Nur von Hand passt es genau

Komplett erneuert werden mussten auch das gesamte Deck, das Cockpit und die Aufbauten. Wie im Schiffbau üblich, kommen dafür mehrheitlich Mahagoni oder Teak zum Einsatz – je nach Anwendung massiv oder als Furnier.

Beim Kajütaufbau wich der Schreiner allerdings ein wenig von der ursprünglichen Konstruktion ab: «Im Original ist die Kajüte zum Cockpit hin eigentlich völlig offen, da es sich um ein Regattaboot handelt. Angelo Agosti hat jedoch spezielle Wände und Türen eingebaut. So lässt sich die Kajüte bei Nichtgebrauch verschliessen. «Beides lässt sich aber mit wenigen Handgriffen demontieren und verstauen.» Die Elemente bestehen aus massiven Mahagonirahmen mit furnierten Füllungen aus Sperrholz.

Kajütdach und -seitenwände bestehen ebenfalls aus furniertem Sperrholz. Da aber fast jedes der Bauteile rund ist, hat Agosti sie Schicht für Schicht formverleimt und anschliessend individuell eingepasst. Dasselbe gilt auch für das Cockpitsüll, die Randleiste, welche verhindert, dass Wasser vom Deck in das Cockpit gelangt. Sie geht fliessend in den Kajütaufbau über. «All die Schrägen und Rundungen kann man nur von Hand exakt übernehmen und weiterführen», erzählt Agosti. Die teilweise geschwungenen Planken auf dem Cockpitbo-den wurden aus massivem Teakholz gefertigt und eingepasst.

Gebogen statt geschnitten

Das Deck hat der Schreiner komplett neu mit 6 mm dicken Teak-Leisten beplankt, die der geschwungenen Linie des Rumpfes folgen. Im Gegensatz zu den Planken im Cockpit wurden die Leisten nicht rund geschnitten, sondern gebogen. Dies machte die Arbeit sehr zeitintensiv, da jede Leiste einzeln gespannt und geklebt werden musste. «Pro Durchgang schaffte man etwa zwei bis drei Bahnen. Weil für diese Arbeit ein langsam aushärtender Epoxy-Kleber zum Einsatz kam, betrug die Wartezeit etwa zwei Tage, bis man die nächste Etappe machen konnte», sagt Agosti. Natürlich benötigte auch hier jede Leiste eine individuelle Anpassung an Rundungen und Aufbauten. Hinzu kam, dass aufgrund der 8,57 m Länge des Segelbootes die Leisten mittels Schäftung gestossen werden mussten.

Danach folgte das Verfüllen der Fugen zwischen den Leisten mit Silikon. Anders als bei der gewöhnlichen Kittfuge wird hier die überschüssige Fugenmasse nicht im feuchten Zustand abgezogen. Erst wenn die Masse trocken ist, wird der Überschuss abgeschnitten und allfällige Unebenheiten des Teak-Decks mit dem Hobel geglättet. Danach kommt die Schleifmaschine zum Einsatz. «Nur mit Schleifen würde man keine plane Oberfläche hinbekommen», ergänzt Angelo Agosti.

Den Mast gekürzt

Aus Stabilitätsgründen entschied sich An-gelo Agosti den 10 m hohen Mast aus Lärchenholz abzuändern: Ursprünglich lief der Mast durch das Deck hindurch und stand auf dem Rumpfboden. Bei Regattabooten ist diese Bauweise auch heute noch üblich. Sie erfordert aber eine entsprechend starke Rumpfstruktur und an der Öffnung im Deck kann Wasser eindringen. Die Rumpfstruktur der «Ingrid» ist nach wie vor im Originalzustand und hat somit beinahe 80 Jahre auf dem Buckel. «In Absprache mit meinem damaligen Ausbildner aus dem Bootsbau entschied ich mich dann, den Mast zu kürzen und auf das Deck zu stellen», erzählt Agosti. Dies erforderte einen neuen Mastansatz, der wiederum mit der altbewährten Schäftung mit dem alten Mastteil verbunden wurde. Damit das Deck die Belastungen aushält, wurden die Decksspanten an dieser Stelle zusätzlich verstärkt.

Wie der Rumpf wurden am Schluss alle Anbauteile aus Mahagoni dunkel gebeizt und mit mehreren Schichten Klarlack versehen. Dafür musste Agosti einige der aufwendig eingepassten Elemente nochmals demontieren. Mast und Rumpf wurden ebenso komplett neu lackiert. Letzterer erhielt zusätzlich noch einen speziellen Unterwasseranstrich. Lediglich die Teile aus Teakholz blieben unbehandelt.

Prioritäten setzen

Den Rat seines Ausbildners benötigte Agosti auch bei der Wahl und Platzierung der Beschläge. «Diese zu positionieren, benötigt viel Erfahrung. Denn die Beschläge müssen je nach dem sehr grosse Kräfte aufnehmen, beeinflussen die Segelgeometrie, und somit auch die Segeleigenschaften», sagt Angelo Agosti.

Nach rund 1800 Arbeitsstunden konnte dann die frisch restaurierte «Ingrid» wieder eingewassert werden. Bald darauf nahm Agosti mit dem Schiff an einer ersten Regatta auf dem Bodensee teil. «Es war toll zu sehen, dass selbst bei starkem Wind alles hält und nichts zu Bruch ging.»

Weil Angelo Agosti zusammen mit einem Freund die Schreinerei seines Vaters im sanktgallischen Waldkirch übernommen hat, möchte er die «Ingrid» nun verkaufen. «Auch wenn es schade ist, man muss halt Prioritäten setzen», sagt Angelo Agosti dazu. Dank den gesammelten Erfahrungen im Bootsbau hat man nun auch in der Schreinerei mit Epoxidharzen zu experimentieren begonnen. Erste Erfolge mit furniertem Glas kann die Schreinerei bereits vorweisen. Wie es genau funktioniert, will Agosti aber nicht verraten.

www.agosti-holzideen.ch

ph

Veröffentlichung: 02. Mai 2013 / Ausgabe 18/2013

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