Aufmöbeln für ein zweites Leben

In der Werkstatt des Möbelhauses H 100 bleiben die Möbelmaximal zwei Tage. Bild: Isabelle Spengler

Restaurierung.  Sie möbeln Grossmutters Sideboard aus den 60ern wieder auf und haben damit einen Nerv der Zeit getroffen. Drei Handwerker, die sich mit Leib und Seele den Midcentury- Möbeln verschrieben haben und diese mit viel Liebe zum Detail wieder salonfähig machen.

Sie grenzen sich klar ab und nennen sich nicht Restauratoren. Denn das, was sie mit den Möbeln und Einrichtungsgegenständen machen, ist nicht eine klassische Restauration. Aber beginnen wir mit dem Grundsätzlichen: Es gibt drei Stufen des Eingriffs, um ein Möbelstück zu bearbeiten: die Konservierung, die Restaurierung und die Wiederinstandsetzung.

Wer etwas konserviert, will die Alterung mit geeigneten Massnahmen unterbrechen oder stoppen, um den gegenwärtigen Zustand eines Gegenstandes so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Beschädigungen werden dabei nicht behoben. So werden die Teile einer griechischen Vase im Museum nur wieder zusammengesetzt, fehlende Stücke aber nicht ersetzt.

Restauratorinnen und Restauratoren gehen da schon weiter. Ihr Anspruch ist es, den ehemaligen Zustand von Kunst- und Kulturgütern wiederherzustellen. Sie versuchen, die Spuren der Alterung so weit zu entfernen, dass die Objekte ihre ursprünglichen Funktionen wiedererlangen. Dabei verwenden sie Materialien, die zu jener Zeit gebräuchlich waren. Zu intensive Eingriffe in die Substanz werden nach Möglichkeit vermieden. Die Spuren der Geschichte und die über die Jahre entstandene Patina werden mit dem nötigen Respekt bewahrt.

Grösseren Spielraum ausnutzen

Beim Wiederinstandsetzen ist der Spielraum viel grösser. Und in diesem Bereich bewegen sich die drei Handwerker, die hier vorgestellt werden. Sie ergänzen den alten Plattenspieler mit einem Bluetooth-fähigen Innenleben, sie verlängern Tischbeine nach Wunsch und verzinken die alte Gartenbank von Grund auf neu. Ziel ist es, den Uni- katen neues Leben einzuhauchen, damit sie weiteren Generationen Freude bereiten und ihre Dienste noch viele Jahre leisten können.

Isabelle Spengler
 

Als Plexiglas noch ein Luxus war

Robert Lenz hat einen Fimmel, ja vielleicht darf man es schon als Besessenheit bezeichnen: Er liebt und sammelt Einrichtungsgegenstände aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Schon als Kind sei er durch Brockenhäuser und Recyclingsammelstellen gezogen und habe sich mit seinem wenigen Taschengeld formschöne Gegenstände aus der Zeit gekauft, zum Unverständnis seiner Mutter. Heute ist der 50-jährige Besitzer des Fachgeschäftes «Bliss modern antiques» in Zürich, in welchem er Midcentury-Antiquitäten instandstellt und vertreibt.

Die Eventagentur an den Nagel gehängt

Die Idee dafür sei sozusagen über Nacht entstanden, erinnert sich Lenz zurück: «Meine Geschwister und ich konnten das Ferienchalet unserer Eltern im Simmental übernehmen. Bevor wir es an Feriengäste vermieteten, wollte ich es wieder herrichten.» Das «Chalet Pony», wie das Haus an der Lenk BE heisst, stammt aus dem Baujahr 1959. Dementsprechend war das Haus auch eingerichtet. Lenz hat die bestehende Möblierung übernommen und begonnen, diese zu restaurieren. «Ich habe schnell gemerkt, wie viel Freude mir diese Arbeitet bereitet, und machte einfach immer weiter – auch als das Chalet fertig war.» Lenz begann dann seine Wohnung mit hochqualitativen Vintage-Möbeln zu verschönern. Bald verkaufte er die ersten Stücke aus seinem Wohnzimmer heraus.

Mit den 70ern kam der Kunststoff

Seinen Beruf als Fotograf und die Arbeit für seine Eventagentur fuhr er immer weiter zurück, bis er vor 12 Jahren den Shop gründete. Heute betreibt er einen Steinwurf vom Bahnhof Wiedikon entfernt ein Ladengeschäft und arbeitet selbst in der Werkstatt am Toblerplatz am Zürichberg. Er habe sich bewusst auf die 50er- und 60er- Jahre spezialisiert: «Denn ab den 70er-Jahren wurde immer mehr Kunststoff verwendet, und die Qualität der Möbel und Einrichtungsgegenstände nahm zusehends ab.» Klar habe man auch schon vorher Kunststoffprodukte verwendet, zum Beispiel Plexiglas, aber das wurde in den frühen 1950ern noch als ein Luxusgut betrachtet.

Probleme mit Erfindungsgeist lösen

Kunden, die ein Möbel zur Restaurierung vorbeibringen, fragen ihn häufig: «Kommt das wieder gut?» Darauf könne er keine abschliessende Antwort geben. Er wisse nie, wie der Zustand im Innern des Möbels sei, aber schöner sei es danach auf jeden Fall. Diese Ungewissheit mache den Reiz aus: Die sich auftuenden Probleme mit viel Tüftler- und Erfindungsgeist zu lösen. Ausserdem liebe er edle Hölzer, und da die Midcentury-Stücke häufig aus Teak, Palisander oder Nussbaum gefertigt seien, komme er voll auf seine Rechnung.

Röhrenradio mit Spotify

Neben all den Möbeln, Leuchten und Wohnaccessoires hat er sich auch auf das Revidieren und Erweitern von alten Röhrenradios spezialisiert. Mithilfe eines Audiofachmannes werden die Geräte gepimpt. Die Technik bleibt original, wird aber mit DAB+, Wi-Fi-Internetradio, Bluetooth und Spotify ergänzt. So erleben alte Musikanlagen einen zweiten Frühling und können dennoch knisternd Platten wiedergeben.

Isabelle Spengler

www.bliss-shop.ch
 

Eine geballte Ladung Designmöbel

Unter dem Dach des Möbelhauses H 100 vereinen sich an der Hohlstrasse 100 in Zürich auf gut 2500 Quadratmetern Laden- und Lagerfläche die drei Kult-Läden Bogen 33, Viadukt 3, Time Tunnel und der Showroom des Onlineshops Memorie.ch. Im Angebot finden sich hochwertig restaurierte Vintage-Möbel des 20. Jahrhunderts, Designklassiker sowie Neuauflagen von Möbeln aus traditionsreichen Schweizer Manufakturen.

Hinter dieser geballten Ladung Design- Möbel steht Fabio Dubler. Er hat vor bald 20 Jahren den Bogen 33 eröffnet, der die Umgebung des Bahnhofs Hardbrücke stark mitprägte. Dubler erarbeitete sich einen guten Ruf als Experte für Vintage-Möbel und Design-Klassiker aus den 1950er-, 60er- und 70er-Jahren. Später konnte er den Laden Viadukt 3 eröffnen und dann den Time Tunnel übernehmen. Heute hat er alle drei Marken unter einem Dach vereint. «Der Entscheid, alles im H 100 zu vereinen, war in erster Linie ein strategischer», sagt Dubler. Nun habe er Verkaufsfläche, Lager und Werkstatt in Gehdistanz und könne das Team viel einfacher über das aktuelle Geschehen informieren. Das dem Ladenlokal angrenzende Lager macht er für seine Kunden ebenfalls zugänglich. Jeden Donnerstag und Samstag können Möbelliebhaber im «Openstorage» auf 1400 Quadratmetern auf Entdeckungsreise gehen.

Handel mit Jenischen

In dieser Möbelhalle ist auch die Werkstatt untergebracht. Sie ist das Reich von Qemal Qusaj. Der gelernte Zimmermann arbeitet seit einigen Jahren für Dubler und ist für die Aufbereitung der Möbel zuständig. Diese Arbeit sei viel feiner und vielfältiger als die des Zimmermanns, meint Qusaj, und genau das gefalle ihm so gut daran. Viel Zeit kann er den Patienten aber nicht schenken. Maximal ein bis zwei Tage hat er Zeit, um sie wiederherzurichten, dann kommen sie in den Verkauf. Der Warendruck sei zu gross. «Die Marge auf den Möbeln ist ohnehin schon gering. Dazu kommen Lager- und Personalkosten», erklärt Dubler. Damit sich das Geschäft rechne, könne man sich nicht Wochen Zeit nehmen für die Restaurierung. Schliesslich könne er nicht 4000 Franken für einen Beizentisch verlangen. Die Möbel kauft Dubler aus Konkursmassen oder bezieht sie von jenischen Händlern. Die Fahrenden reisen quer durch Europa und handeln auch mit Secondhand-Mobiliar. Qusaj ist ständig in Bewegung – hier einem Tisch die Beine verlängern, da einen Schubladenknauf ersetzen, Stühle schleifen und dazwischen macht er einen grossen Apothekerschrank bereit, der extern abgelaugt werden soll. Er deutet auf ein Regal in der Halle: «Gerade eben habe ich diesen Lounge Chair des Eames-Designerpaars komplett zerlegt und die mit Kirschholz furnierten Sitz- und Rückenschalen wiederaufgefrischt.» Das Leder ist gereinigt und glänzt wieder. Der Sessel wird vermutlich nicht lange auf einen Käufer warten müssen.

«Ich schenke allen Möbeln meine Liebe»

Auf die Frage hin, welche Möbel er denn am liebsten mache, antwortet er mit einem breiten Lachen: «Ich schenke allen Möbeln meine volle Aufmerksamkeit und Liebe.» Er wirft keine alte Schraube weg, bewahrt jeden alten Schranksockel, Knauf oder Regalboden auf. Man könne alles wieder irgendwo wiederverwenden. «Schliesslich wollen die Kunden am Horgen-Glarus-Beizenstuhl aus den 30er-Jahren keine silbrig glänzenden Torxschrauben finden.» Es kämen auch immer wieder Kunden zu ihnen, die eigene Möbel bei ihnen reparieren oder anpassen lassen möchten. Das sei nicht ihr Kerngeschäft, und sie hätten eigentlich gar nicht das nötige Personal dafür, sagt Dubler. Aber Nein sagen könne man dann eben auch nicht. So wird es Qusaj nie langweilig und die Kaffeepause fällt auch an diesem Tag wieder kurz aus. Doch das stört ihn weiter nicht. Im Gegenteil: Zu langes Stillstehen wäre wohl schlimmer für ihn.

Isabelle Spengler

www.h100.ch
 

Das kuratierte Brockenhaus

Mitten in einem Zürcher Wohnquartier befindet sich die kleine Schreinerei. Die Werkstatt des Vintage-Möbelladens Möbel Zürich ist in einem flachen Gebäude untergebracht und gliedert sich im Hinterhof der Genossenschaftssiedlung, zwischen Spielwiese, Teppichstange und Kinderkrippe ein. Der Schreiner Marco Gregori ist seit über zwei Jahren für das kuratierte Brockenhaus, wie sie sich selbst nennen, tätig und geniesst die vielfältige Arbeit sehr. «Wir handeln hauptsächlich mit Vintage-Möbeln und Designklassikern aus dem 20. Jahrhundert», sagt Gregori und stösst die Kellertür zum Lagerraum in Untergeschoss der Werkstatt auf. Hier kommen die neu erworbenen Stücke rein und werden zuerst mal nach Warengruppe und Zustand sortiert und anschliessend gereinigt. Was repariert werden muss, bleibt hier, alles andere geht weiter in den Laden oder das Lager.

Webshop im Lockdown aufgefrischt

Kleiderschränke, Kommoden, Tischplatten, stapelweise Stühle und Bestandteile von Teleskopregalen bilden ein buntes Sammelsurium. Nur in einer Ecke tun sich die Möbel auf, und es öffnet sich eine Lichtung. Dort hat Gregori Platz, um alle Möbelstücke zu fotografieren. «Die Zeit während des ersten Coronalockdowns haben wir intensiv genutzt, um die Website zu überarbeiten und einen professionellen Webshop einzubinden. Alle Möbel sind darin zu finden, und das Tool erleichtert uns zudem das Lagermanagement», erklärt der gelernte Schreiner. Nach der Lehre habe er einige Jahre auf dem Beruf gearbeitet und dann ein Studium im Produktdesign nachgeschoben. Dabei habe er viel über das Fotografieren und die Bildbearbeitung gelernt, was ihm nun zugutekomme. «Die Arbeit hier unterscheidet sich in vielem von der in einer normalen Schreinerei», sagt Gregori weiter. Es fange bei den Arbeitszeiten an und ende bei den täglich wechselnden Möbeln, die er zu bearbeiten habe.

Die Kreislaufwirtschaft ankurbeln

Neuerdings können Kundinnen und Kunden auch direkt über die Website Reparaturanfragen an «Möbel Zürich» stellen. Das beschert Gregori zunehmend Arbeit: «Wir haben diese Dienstleistung eingeführt, weil es unserem Credo entspricht: Reparieren statt wegwerfen. Damit möchten wir der gegenwärtigen Wegwerfgesellschaft entgegentreten und die Lebenszeit vermeintlich ausgedienter Lampen oder Gartenmöbel verlängern.»

Secondhandmöbel für die Beiz

Möbel Zürich wurde vor gut zehn Jahren von Philippe Ernst gegründet und nahm immer mehr an Fahrt auf. Mittlerweile beschäftigt Ernst im Secondhand-Möbelshop acht Personen, die in der hauseigenen Polsterei, der Lampenwerkstatt, im Laden, der Logistik und eben in der Schreinerei arbeiten. Sie betreiben ein Ladenlokal und ein grosses Möbellager im Zürcher Kreis 3, welches für Kundinnen und Kunden auch am Samstag geöffnet ist. Ein besonderes Standbein haben sie sich mit Gastronomiemöbeln aufgebaut. Wer sein Restaurant im Vintage-Stil einrichten will, findet hier grosse Stückzahlen an Beizenstühlen und -tischen. «Für Events kann man die Einrichtung auch nur mieten», erläutert Gregori das Geschäftsmodell. Die Tischplatten für Restaurants haben eine weitere Besonderheit: Sie müssen teilweise so behandelt werden, dass sie den Hygienevorschriften entsprechen. Dafür haben sie in der Werkstatt auch einen kleinen Spritzraum eingerichtet. Doch meistens würden sie die Möbel nur ölen, führt Gregori weiter aus. Die Kundinnen und Kunden wollen heute das Holz wieder spüren und es nicht unter einer dicken Lackschicht verstecken lassen.

Isabelle Spengler

www.moebel-zuerich.ch

Veröffentlichung: 01. Juli 2021 / Ausgabe 27-28/2021

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