«Am Schreibtisch wird Geld verschenkt»

Effiziente Abläufe in der Werkstatt, feh-lende Arbeitsteilung im Schreinerbüro – letzteres verursacht oft unnötige Kosten.

Betriebsorganisation.  Vielen Schreinereien sei nicht bewusst, welches Potenzial im Büro brachliegt. Ein versierter Branchenkenner spricht über die Verlagerung der Wirkungsstätte und plädiert für eine durchdachte Spezialisierung und Arbeitsteilung im Büro.

Sind die Auftragsbücher voll und die Produktion läuft auf Hochtouren, kommt kaum ein Inhaber oder Geschäftsführer auf die Idee, sich mit der Betriebsorganisation im Büro zu befassen. Warum auch? Hauptsache, es funktioniert irgendwie. In Schreinereien oder holznahen Betrieben sei dies häufig zu beobachten, wie Rolf Baumann, Product Manager der Triviso AG, konstatiert. Die Folgen einer schwachen Büroorganisation: ungenutztes Potenzial und unnötige Kosten.

Während das Verhältnis von Mitarbeitenden in Büro und Werkstatt früher bei 1:15 lag, trifft Rolf Baumann heute auch auf «hölzige» Betriebe mit einem Verhältnis von 1:1. Für den Branchenkenner ist klar: «Die Arbeiten verlagern sich eindeutig immer mehr von der Werkstatt ins Büro.» Während die Produktionszeit abnehme, sei im Verhältnis mehr Zeit zum Vor- und Nachbearbeiten nötig. Diese Entwicklung wirkt sich natürlich auf die Kosten aus, womit das Büro stärker in den Fokus des Unternehmers rückt.

In der Werkstatt sind die Abläufe ganz selbstverständlich auf höchste Effizienz getrimmt. Man weiss, wie lange die Kantenanleimmaschine für eine bestimmte Anzahl

«Die Arbeiten verlagern sich eindeutig immer mehr von der Werkstatt ins Büro.»

Werkstücke braucht oder der Oberflächenspezialist zum Lackieren. In der Produk- tion ist Arbeitsteilung laut Rolf Baumann selbstverständlich. So wird beispielsweise nie die ganze Belegschaft in eine Weiterbildung zur Bedienung der CNC-Maschine geschickt, man konzentriert sich auf wenige Personen für die Hauptbedienung und die Stellvertretung.

Anders sei die Ausgangslage im Schreinerbüro. Hier sind viele Allrounder am Werk, die einen Auftrag von A bis Z erfüllen. Ob Massaufnahme, Offertenerstellung, Kalkulation, Konstruktion, Werkszeichnung, Kun-denzeichnung, Stückliste, Materialbeschaffung, Telefondienst, Montageplanung – im Büro macht oft jeder alles. Gesteigerte Kundenansprüche und hoher wirtschaftlicher Druck führen häufig zu einer Überforderung. Da kaum ein Projektleiter in jedem Arbeitsbereich stark sein könne, spreche viel für eine gezielte Förderung und Arbeitsteilung im Büro.

Betriebe, die sich diesbezüglich für eine Neuorganisation entschieden hätten, profitierten von einer massiven Produktivitätssteigerung. «Wer die Organisation im Büro professionalisiert hat, will nie mehr zurück», sagt Rolf Baumann. Er weiss aus Erfahrung, dass die teuersten Fehler im Büro

«Die teuersten Fehler passieren im Büro.»

passieren. Eine ungenügende oder fehlende Arbeitsteilung mache sich hier deutlich bemerkbar. Die dadurch verursachten Kosten seien auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen. Zum Beispiel fehlt einem weniger geübten CAD-Zeichner die Routine, was den Arbeitsprozess in die Länge zieht sowie die Fehlerquote erhöht.

Geschenke beim grössten Budgetposten

Rolf Baumann ist erstaunt, welches Potenzial Schreinereien beispielsweise in der Materialwirtschaft verschenken. Bestellen in einem Betrieb beispielsweise alle drei Arbeitsvorbereiter Material, so führe dies zu enormen, oft unbewussten Doppelspurigkeiten. Viele Fragen blieben meist unbeantwortet. Wer baut das Lieferantennetz aus? Wer ist zuständig für den Wareneingang? Wer kontrolliert die erhaltene Lieferung? Wer pflegt den Materialstamm für die Wiederverwendung? Wer hält Muster bereit? Wer informiert sich über neue Werkstoffe? Wer definiert, was und wo überhaupt bestellt wird? Wie fliessen die Materialkosten in die Vor- und Nachkalkulation?

Da die Materialwirtschaft meist der grösste Budgetposten einer Schreinerei ist, lohnt sich ein kritischer Blick. Im Zentrum steht die Frage: Wie lässt sich der gesamte Einkaufsprozess optimieren?

Büro im Abseits – warum eigentlich?

Es liegt auf der Hand, dass Büroarbeit nicht zum Kerngeschäft eines Handwerkbetriebs gehört. Die fehlende Arbeitsteilung im Schreinerbüro habe mehrere Gründe. «Es fehlt einfach das Bewusstsein, wie viel Potenzial da brachliegt», sagt der Branchenkenner. Zahlen zu den konkreten Einsparungen fehlen, bis jetzt wurde dieses Thema weder von einem Verband noch von einer Hochschule oder Forschungsstelle auf-gegriffen.

Rolf Baumann findet das Tätigkeitsgebiet des Projektleiters zudem enorm weit gefasst. Die Arbeitsteilung im Büro werde in der Ausbildung allenfalls am Rand thematisiert. «Die Schreinerbranche hat in diesem Bereich oft Scheuklappen an», so Rolf Baumann. Ausserdem seien die Tätigkeiten im Büro meistens weder sichtbar noch greifbar. Am Ende eines Arbeitstages liegt kein Produkt vor. «Der Schreibtisch sieht abends gleich aus wie am Morgen», illustriert er.

Zu guter Letzt fehle vielleicht der Mut, etwas zu verändern, weil es der Nachbarschrei-ner und andere Berufskollegen schliesslich auch nicht anders machen. Bei aufgeteilter Büroarbeit gibt es mehr Schnittstellen, weil eine Arbeit einem anderen Mitarbeitenden übergeben wird. Das bedingt zwar mehr Teamarbeit, bringt aber so den Vorteil einer internen Qualitätskontrolle. Ausserdem wird dank einer sinnvollen Arbeitsteilung die Qualität bei den einzelnen Mitarbeitenden gefördert. Ein CAD-Zeichner, der sich tagtäglich mit seinem Arbeitsinstrument befasst und in den Genuss von geziel-

«Die Schreinerbranche hat in diesem Bereich oft Scheuklappen an.»

ten Weiterbildungen kommt, verfügt über viel mehr Know-how, Routine und oft auch Motivation als ein Allrounder. Das wirkt sich positiv auf die Produktivität des Betriebes aus. Heikel sei der Aufbau von gewissen Abhängigkeiten. Wichtig sei, die Weiterführung des Betriebs zu sichern, falls ein Mitarbeiter krank wird oder kündigt.

Anzeichen, aktiv zu werden

Interessanterweise würden Unternehmen ihr Büro meist nicht bewusst reorganisieren, sondern aufgrund äusserer Faktoren, beispielsweise wenn ein Mitarbeiter offensichtlich nicht mit den gesteigerten Anforderungen mithalten kann, beobachtet Rolf Baumann.

Die Indizien, dass man als Schreinerunternehmer den administrativen Bereich neu planen sollte, kämen schleichend. «Arbeitsmenge und Komplexität nehmen langsam zu, es wird hektischer, Dinge gehen vergessen. Da ist oft eine Initialzündung nötig, bevor man eine Veränderung ins Auge fasst.»

Wie Kräfte bündeln?

Wie stark eine Spezialisierung stattfindet, hängt von den personellen Möglichkeiten des Unternehmens ab. Arbeitsbereiche wie Verkauf, Kalkulation, Entwurf, Konstruk- tion, CAM/CNC, Auftragsbearbeitung, Stückliste, Termin- und Einsatzplanung, Einkauf, Finanzen, Controlling, Personal, Administration und Marketing werden idealerweise nach eingesetztem Werkzeug gruppiert. Typisch sind ERP-Branchenlösung, CAD/CAM sowie Finanzlösung. Alternativ oder zusätzlich kann auch eine Spezialisierung nach Produkten stattfinden. In kleinen Schreinereien oder auch für Kleinaufträge seien jedoch Generalisten weiterhin sinnvoll.

Neu-Organisation im Büro

Knacknuss: Faktor Mensch

Die grösste Herausforderung ist bei organisatorischen Veränderungen ge- mäss Rolf Baumann, Product Manager der Triviso AG, fast immer der Faktor Mensch. «Viele haben einfach Angst vor Veränderung», so der Branchenkenner. Diese Angst könne sich ganz unter- schiedlich äussern, etwa in Form von Kritik oder destruktivem Verhalten. «Ängste ernst nehmen und Sicherheit geben, das ist schon die halbe Miete», ist er überzeugt. Wird jemandem eine Arbeit weggenommen, die er gern ge- macht hat, kann dies äusserst demotivierend sein. Umgekehrt könne es einen Motivationsschub auslösen, wenn ein Mitarbeiter sich voll seinem Steckenpferd widmen kann. Gefragt sei diesbezüglich Gespür seitens der Führungsperson. Dazu gehöre auch zuzulassen, dass jemand in einem Thema besser Bescheid weiss als an- dere – auch besser als der Chef.

Eine Neu-Organisation des Schreiner-büros sei auch ohne externe Hilfe möglich. Der Veränderungsprozess werde aber durch eine klassische Un- ternehmensberatung beschleunigt und die heikle Kommunikationsaufgabe sei so ein Stück weit delegierbar. Das Posi- tive an einer organisatorischen Veränderung: «Es ist keine Infrastruktur nötig, man muss Massnahmen einfach definieren und dann umsetzen.»

VB

Veröffentlichung: 19. September 2013 / Ausgabe 38/2013

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