Als Schreiner im Miniatur Wunderland
Die Elbphilharmonie, eines der Wahrzeichen Hamburgs, darf im Miniatur Wunderland nicht fehlen. Bild: Miniatur Wunderland
Die Elbphilharmonie, eines der Wahrzeichen Hamburgs, darf im Miniatur Wunderland nicht fehlen. Bild: Miniatur Wunderland
Miniatur Wunderland. Eine der meistbesuchten Attraktionen Deutschlands beschäftigt gleich acht Schreiner. Sie sorgen dafür, dass die Miniaturlandschaften einen stabilen Unterbau haben. Ein Job, für den es handwerkliches Können, Humor und Fantasie braucht.
«Bitte Mama, können wir da auch hin?» – «Ich glaube nicht. Der Mann arbeitet da.» – Schreiner Tino Janowski nimmt solche Dialoge schon längst nicht mehr wahr. Er quetscht sich ungerührt zwischen Modelleisenbahnlandschaft und Wand durch bis zur geschickt in die Miniaturlandschaft eingepassten Wartungsklappe.
Janowski ist einer von acht Schreinern im Miniatur Wunderland in Hamburg und sie alle sind ständig daran, die gigantische Modelleisenbahnanlage weiter zu verbessern. So kennt er auch alle fürs Publikum verbotenen Zugänge und ist es sich mittlerweile gewohnt, unter den Augen der Besucher zu arbeiten, wenn er neue Landschaften montiert. Die Klappe mitten in den Lavendelfeldern der Provence musste er einbauen, da dort gerne einmal Züge entgleisen. «Oberirdisch läuft alles bestens. Aber auf den vielen fürs Publikum unsichtbaren Gleisen unter der Landschaft, die die Teilstücke miteinander verbinden, kippt gern mal ein Zug aus dem Gleis», erklärt er. Damit nicht alles ins Stauen gerät, muss man an solche Stellen schnell herankommen und das am besten ohne auf allen Vieren unter den Kulissen herumzukriechen.
Seinen Job, den Janowski gegen keinen anderen mehr eintauschen möchte, verdankt er dem Zufall: «Ich war vorher im Messebau tätig. Wer die Arbeitsbedingungen dort kennt, versteht, dass ich auf der Suche nach etwas anderem war», erzählt der Schreiner. «Eines Tages hat mir dann ein Kollege die Stellenanzeige gezeigt. Dann ging alles sehr schnell.»
Insgesamt arbeiten im Miniatur Wunderland heute 360 Angestellte. Und allein im Bereich Modellbau arbeiten sieben Schreiner. Und da es hier vor allem auf exaktes Arbeiten und Fantasie ankommt, sind auch eine Menge anderer Berufe im Modellbau vertreten. Tino Janowski zählt auf: «Da ist zum Beispiel ein Zahntechniker dabei, eine Restauratorin, ein Städteplaner und eine Konditorin.»
Die Schreiner sorgen vor allem für den Unterbau. Den Grossteil ihrer Konstruktionen nehmen die Besuchenden gar nicht wahr. Sie konstruieren die Tragekonstruktion im Untergrund, schaffen die Basis des Landschaftsreliefs, das die Modellbauer dann mit Fliegendraht weiter zu Hügeln und Tälern modellieren, bevor sie die Deckschicht und die Details mit Gips aufspachteln und weiter bearbeiten.
Nur die Hälfte der 16 Kilometer Gleis ist sichtbar, Der Rest verläuft im Untergrund, natürlich auf von den Schreinern auf Mass gearbeiteten Trassees, auf denen die Gleise aufgebracht werden. Auf die Frage, wie viel Holz denn da übers Jahr verarbeitet werde, gerät Janowski einige Zeit ins Rechnen und meint dann: «Hundert bis hundertfünfzig Platten à 2,5 mal 1,25 Meter dürften es schon sein. Gerade bei den Gleiswendeln haben wir viel Verschnitt, da wir versuchen, mit möglichst wenig Stössen auszukommen», erzählt er.
Natürlich gibt es in den Miniaturwelten auch schon längst eine stark geschrumpfte Schweiz. Seit 2007 gibt es das Matterhorn und Bietschhorn auch in Hamburg. Das Matterhorn ist trotz des Miniaturmassstabs sechs Meter hoch. Gigantisch im Vergleich zu den anderen Landschaften. Der riesige Berg passte nur in die Hallen, weil man auf 100 Quadratmetern eigens die Decke durchbrach. Gerrit Braun, einer der Gründer der Miniaturwelten, erklärt: «Der Bau war für uns eine riesige Herausforderung. Die Züge müssen zum Beispiel auf engstem Raum sechs Meter Höhenunterschied überbrücken, damit die komplette Anlage zusammenhängend bleibt.» Allein die Planung des Unterbaus, eines 15 Tonnen schweren Stahlgerüsts, hat über ein Jahr gedauert. Schliesslich musste jeder Steigungswinkel in der Gleisführung millimetergenau berechnet und regelmässig Trittflächen für die nötigen Reinigungsarbeiten eingebaut werden. Die Profile der Berge waren dann wieder Schreinerarbeit. Sie wurden mit Fliegengitter überformt und dann mit kiloweise Gips in Form gespachtelt.
Immerhin drei Kantone haben es im Miniformat nach Hamburg geschafft: Graubünden in den so genannten «Wunderländer Hochalpen», das Wallis am Fusse des Matterhorns und ein Zipfel Tessin. Verborgen vor den Zuschauern stehen in den Wartungsgängen unter dem Matterhorn mehrere Kühlschränke. Sie enthalten Lindt-Schokoladentäfelchen. In einer Miniatur-Schokoladenfabrik können Kinder einen Knopf drücken und nachverfolgen, wie ihr Täfeli durch die Fabrik transportiert wird, bevor es in ihre Hand ausgeworfen wird. Wie kaum anders zu erwarten, steht eigentlich immer ein Kind erwartungsvoll am Auswurfschacht. Entsprechend muss regelmässig nachgefüllt werden.
Egal wo uns Janowski hinführt – überall haben er und seine Kollegen Wartungsklappen so in die Landschaft eingefügt, dass man sie bei oberflächlicher Betrachtung kaum bemerkt. «Da kommt mir mein früherer Job bei einem Hersteller von Beschlägen zugute. Hier zum Beispiel, im Meer vor Rio de Janeiro, habe ich einen Druckschnäpper zum Einbohren verwendet. So lässt sich die Klappe bequem öffnen, wenn man weiss, wo man drücken muss. Und den Frontliftbeschlag hier im Grand Canyon kennen viele vom Küchenschrank über ihrer Dunstabzugshaube», führt er einen anderen vor, der sich an der Front der Landschaft verbirgt.
Die Arbeit der Schreiner ist vielfältig – egal ob sie den engen Gleiswendel unter dem Matterhorn herstellen, der sich in engen Spiralen sechs Meter hoch zur Bergspitze schraubt und Züge für die Besucherinnen und Besucher unsichtbar zurückführt. Oder ob es die Sixtinische Kapelle sein soll, das Kolosseum oder ein ausverkauftes Open-Air-Konzert mit DJ Bobo auf der Bühne. Alles entsteht im Massstab 1:87 – Millimeterarbeit und Kreativität sind in gleichem Mass gefragt. Manches wird nach vorgefertigten Plänen hergestellt, sehr viel aber basiert auf der Kreativität der Schreiner. Und ganz nebenbei baut Janowski spontan auch mal einen Schubladenschrank, in dem alle Kleber und Farbdosen Platz finden, oder Ordnungskisten, wenn ihm das Chaos der Kollegen im Modellbau zu gross wird. Er schätzt die riesige Freiheit, die hier alle haben: «Hier kann jeder, der eine Idee hat, Figurengruppen zu den vorhandenen Landschaften zufügen. Je origineller und witziger, desto besser.»
Janowski hat gerade eine Bühnenszene der Deutschrockband «Die Ärzte» nachgebaut. Noch sucht er nach dem passenden Standort. Manchmal entwickelt eine Idee auch etwas gar viel unvorhersehbare Eigendynamik. «Neulich hatte ich mit einem Kollegen den Einfall, ein paar Badeenten mit in ein Gewässer in Monaco zu setzen. Die Idee nahm irgendwie immer mehr Fahrt auf und am Schluss sollte es ein ganzer Pool voll sein.» Schliesslich hat er etwa tausend Mal winzige Schnäbel an quietschgelben Entenkörpern orange bemalt und schwarze Augen aufgetupft. Als das endlich geschafft war, ging er daran, eine transparente Wasserfontäne sowie einen möglichst albern aussehenden pinken Bären mittels 3D-Druck zu erstellen. «Der wird nun mit einer gewaltigen Arschbombe ins Entenbecken springen, sodass die Fontäne aufspritzt», berichtet er. Das Ganze findet dann irgendwann im gerade neu entstehenden Miniatur-Monaco seinen Platz.
Das Schöne an der Arbeit im Miniatur Wunderland sei, dass man jederzeit Zeit bekomme, etwas auszuprobieren, auch wenn es nicht zu den Kernaufgaben gehöre. So hat er sich immer tiefer in den 3D-Druck hineingearbeitet – dieser sei einfach schneller als Fräsen, gerade wenn Kurven dabei seien – und auch das Giessen von Epoxidharz übernommen. «Alle Wasserflächen werden aus Holz erstellt, grundiert und dann mit dem Harz ausgegossen. Das Giessen erledigen wir dann jeweils in Nachtschichten. Schon wegen des Geruchs», berichtet er.
Dabei gebe es zwei Herausforderungen: Erstens absolut dichte Ränder und Fugen, dass es bloss nirgendwo rinnt oder tropft – falls doch, heisst es, sehr schnell sein und notfallmässig an kaum zugänglichen Stellen mit Knete abdichten. Und zweitens den richtigen Moment nicht verpassen. Denn die Kräuselung der Wellen wird mit Silikonstempeln aufgebracht. «Dafür habe ich ein Zeitfenster von einer halben Stunde. Eben ist das Harz noch so flüssig, dass der Stempelabdruck wieder zuläuft. Kurze Zeit später ist es so hart, dass man nicht mehr hineinkommt. Je nach Lufttemperatur und -feuchte ist es jedes Mal anders.» Also geht er halbstündlich kontrollieren, ob es endlich so weit ist. Während der Trocknungszeit muss die gegossene Fläche abgedeckt sein. Nur wenn sie absolut staubfrei ist, spiegelt sie später. Schon deshalb muss er solche Arbeiten machen, wenn keine Besucher im Gebäude sind. Erschütterungen und aufgewirbelter Staub machen seine Arbeit sonst zunichte. Im Moment experimentiert er damit, Gischt und Brandung überzeugend mit weiss gefärbtem Harz einzubringen. Noch ist er nicht ganz zufrieden mit dem Ergebnis.
Wenn eine neue Landschaft aufgebaut wird, braucht es dann manchmal durchaus ein etwas dickeres Fell. Denn die Besucherinnen und Besucher verfolgen die Arbeiten immer mit grossem Interesse und manche treten so nahe heran, wie das Absperrband es nur irgend zulässt. Dann heisst es Konzentration bewahren und trotzdem geduldig die interessierten Fragen beantworten – ist schliesslich auch ein Teil des Besuchererlebnisses. Und natürlich prasseln dabei eine Menge Fragen auf die Schreiner ein. Nicht einfach, die Balance zwischen Konzentration auf die Arbeit und dem eigentlich erfreulichen Interesse der Besucherinnen und Besucher zu halten.
Wirklich anstrengend fand Janowski das nur, als er in einem Saal montieren musste, in dem nebenan ein vollbesetztes Stadion stand, samt einer Miniaturversion von Helene Fischer auf der Bühne. «Die hat alle Viertelstunde mit grosser Lautstärke und immer demselben Programm losgelegt. Das haben die Kollegen jetzt leiser gestellt.»
Das Miniatur Wunderland gehört zu den beliebtesten Attraktionen in Hamburg. Den riesigen Erfolg hätten selbst die Gründer nicht erwartet: 21 Millionen Besucher in 21 Jahren. Alles begann mit einem Zürichbesuch im Jahr 2000. Frederik Braun, in seiner Kindheit eifriger Modelleisenbahnfan, stiess dort auf ein Modellbahngeschäft, wie er es aus seiner Kindheit kannte. Ab diesem Moment reifte der Plan: Er wollte zusammen mit seinem Bruder Gerrit die grösste Modelleisenbahn der Welt aufbauen. Der hielt das für Spinnerei, liess sich aber überzeugen. Ganz anders als das Umfeld oder gar die Banken. Gerrit Braun meint trocken: «Wahrscheinlich hätten wir zu dieser Zeit mehr Zustimmung für den Bau von Transportzeppelinen, einer Tamagotchi-Ausstellung oder eines neuen Faxgerätes bekommen. Das Bauen von Modelleisenbahnen galt als antiquiertes Hobby von Eigenbrötlern.» Die beiden gaben nicht auf und konnten schliesslich doch loslegen. Ihr Ziel: 100 000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr. Gleich im ersten Jahr kamen 300 000. Eröffnet wurde das Miniatur Wunderland im Jahr 2001 nach 30 000 Arbeitsstunden. Die Ausstellungsfläche betrug damals bescheidene 300 Quadratmeter. Darin allein steckten schon 10 000 kg Gips für Berge und Landschaften, 20 000 zu Szenen arrangierte Miniatur-Figürchen und 50 000 Bäume. Die witzigen, detailreichen Szenerien begeisterten die Besucherinnen und Besucher. Ziel war damals, das Ganze auf 500 Quadratmeter auszubauen und dort 500 Züge auf 5 Kilometern Gleis fahren zu lassen. Heute sind es 16 Kilometer Gleise mit 1120 Zügen. Und die Ideen gehen noch lange nicht aus. Längst fahren auch Autos die Strassen entlang und Flugzeuge starten und landen. Schon 2012 musste eine zweite Etage dazu gemietet werden. 2020 brauchte es dann eine Brücke ins Nachbargebäude. In dem Ganzen stecken mittlerweile etwa eine Million Arbeitsstunden allein für den Bau der Anlage – Wartung und Betrieb nicht eingeschlossen.
Veröffentlichung: 24. November 2022 / Ausgabe 47/2022
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