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Die Schublade (l.) im klassischen Sechstel- raster des SMS im Vergleich zu einer Schubladenzeile im Masssystem der Alpnach Küchen AG. Bild: Sven Bürki
Die Schublade (l.) im klassischen Sechstel- raster des SMS im Vergleich zu einer Schubladenzeile im Masssystem der Alpnach Küchen AG. Bild: Sven Bürki
Masssysteme. Mit SMS+ wurde die Schweizer Küchennorm im vergangenen Jahr an die heutigen Bedürfnisse und Anforderungen angepasst. Für zwei Unternehmen in der Branche ist die neue Norm jedoch kein Thema, da sie schon seit Längerem mit einem eigenen Masssystem arbeiten.
«Eine reine Schweizer Norm gibt es eigentlich nicht mehr. So gut wie alle Küchenbauer wenden einen gewissen Mix aus SMS, Euro-Norm oder eigenem Masssystem an», sagt Rafael Duss, Leiter Innovation und Vermarktung bei der Veriset AG. Vor rund sechs Jahren hat das Unternehmen aus dem luzernischen Root ihr eigenes Masssystem VMS (variables Mass-System) entwickelt und damit auf die Anforderungen reagiert, welche, laut Angaben der Firma, die heutige Technik und der Mensch an eine moderne Küche stellen. «War die Küche früher ein abgetrennter Raum, ist sie heute der zentrale Ort, an dem das Leben spielt», sagt Duss, der damals bei der Entwicklung des Masssystems federführend war. «Dünnere Küchenabdeckungen, grösseres Geschirr und neue Technologien, wie etwa die Induktionskochfelder oder Kochfeldabzüge, haben bei der Planung mit dem Schweizer Mass-System (SMS) zu Konflikten geführt.» Aber auch der Mensch habe sich verändert. Die Leute sind grösser als noch vor hundert Jahren. Deshalb hat das Entwicklungsteam bei Veriset unter anderem mit Professoren im Bereich der Ergonomie zusammengearbeitet, um die Höhe der Arbeitsplatte und die Erreichbarkeit der wichtigsten Staugüter der heutigen Körpergrössen anzupassen.
Bislang nicht durchgesetzt
Den klassischen Sechstel sucht man beim VMS vergeblich. Vielmehr hat man sich bei der Fronteinteilung am goldenen Schnitt orientiert. Die Höhe der Küchenabdeckung liegt dabei variabel zwischen 880 und 980 mm, aufgefangen werden die Differenzen dabei nicht beim Sockel, sondern mittels der Schubladen. Die fixe Sockelhöhe von 110 mm bietet genügend Platz für die Sockellüftungssysteme bei einem im Kochfeld integrierten Dampfabzug.
Vor rund vier Jahren hat Duss das variable Mass-System der Veriset AG als Mitglied der technischen Arbeitsgruppe des Branchenverbandes Küche Schweiz eingebracht. «Einige Akteure in der Branche waren durchaus sehr offen dafür, aber leider ist man sich damals nicht einig geworden», sagt Duss. Mit dem SMS+ präsentierte der Branchenverband im vergangenen Jahr schliesslich eine Ergänzung zum Schweizer Mass-System, welche die aktuellen Anforderungen und den Stand der Technik berücksichtigt. Rund 1,5 Jahre nach der Einführung habe sich
das SMS+ aber noch nicht durchsetzen können, wie Duss sagt. Auch für das eigene Unternehmen sei es keine Option. «Für uns überwiegen die Vorteile unseres VMS gegenüber SMS+, da wir damit eine grössere Produktflexibilität sicherstellen können.»
Auf in neue Höhen
Ähnlich klingt es bei der Alpnach Küchen AG. Die Küchenherstellerin mit dem Produktionsstandort in Strengelbach AG hat fast zeitgleich mit der Veriset AG ihr eigenes Masssystem AK+85 geschaffen. «Für uns ist die SMS+ einfach zu spät gekommen», sagt Geschäftsleiter Fabian Breisacher. «Mit dem AK+85 fahren wir bisher sehr gut und können damit alle individuellen Wünsche abdecken.» Auslöser für das eigene Mass-
system sei damals ein Kunde gewesen, der sich eine Küche mit einer deutlich höheren Abdeckung sowie einer Frontaufteilung im goldenen Schnitt gewünscht hat. So entstand eine Küche mit einer Unterbaukorpushöhe von 878 mm und einem Sockel von 80 mm. «Beim AK+85 haben wir uns für eine etwas weniger extreme Höhe entschieden», sagt Roland Dössegger, Leiter Technik bei der Alpnach Küchen AG. «Aus der finalen Korpushöhe von 850 mm leitet sich dann auch der Name unseres Systems ab.»
Optisch schön, aber weniger Platz
Für Dössegger liegt einer der grössten Vorteile beim AK+85 in der obersten Schubladenzeile. So kann hier standardmässig eine K-Zarge der Legrabox von Blum verbaut werden beziehungsweise eine M-Zarge unter dem Kochfeld. So finden beispielsweise Gewürze oder auch Teetassen aufrecht Platz in der obersten Schublade.
«Die Legrabox ist aufgrund der dünnen Zargen zwar optisch sehr ansprechend, sie hat aber gegenüber der Antaro-Schubladenlinie von Blum eine geringere nutzbare Innenhöhe», sagt Dössegger. «Wenn wir bei einer SMS-Küche unter dem Kochfeld eine N-Zarge der Legrabox verbauen, bietet diese gerade mal 38 mm nutzbare Höhe in der Schublade.»
Bei einer AK+85-Küche führen die höheren Zargen in der obersten Schubladenzeile dann aber auch dazu, dass sie etwas teurer ist als eine Küche, die im Schweizer Mass-System umgesetzt wird. Bei einer Ausschreibung wolle man natürlich möglichst günstig sein, und so rechne man da in der Regel mit dem SMS, wie Dössegger sagt.
Nachfrage steigt langsam
Im Objektbereich sei der Standard generell weiterhin das Schweizer Mass-System. «Da man bei Mietwohnungen nicht weiss, wer die Küche benutzen wird, wollen Architekten und Bauherren in der Regel nach wie vor das klassische SMS», sagt Breisacher. Doch auch hier steige die Nachfrage nach höheren Küchen langsam an, und bei Privatkunden sei eine höhere Abdeckung inzwischen so gut wie immer ein Thema. «Vorausgesetzt, man bringt die Thematik bei der Beratung ein», ergänzt Breisacher. Mittlerweile sind rund ein Viertel aller Küchen, die die Produktion in Strengelbach verlassen, im AK+85 ausgeführt.
Egal, ob AK+85 oder SMS; für beide Masssysteme werden gewisse Korpusteile vorproduziert. Mit den zwei Standardfarben Weiss und Anthrazit für die Innenleben liegen somit immer vier Teile des gleichen Typs an Lager. «Die ganze Lagerthematik ist nicht immer einfach, aber als Betrieb in unserer Grösse brauchen wir eine gewisse Effizienz», sagt Breisacher. «Wahrscheinlich werden wir früher oder später auch noch eine andere Korpustiefe dazunehmen. Das zeichnet sich bereits etwas ab.»
VMS als Standard
Bei der Veriset AG steht man schon jetzt vor einer grösseren Umstellung. Hat man bisher mit mehreren verschiedenen Möbelserien gearbeitet, sollen ab März 2025 alle Küchen auf Basis des VMS gefertigt werden. «Es hat für unsere Kunden, aber auch für uns selbst Vorteile, wenn wir den Standard dementsprechend anpassen», sagt Rafael Duss. «So können wir die Vorzüge unseres eigenen Masssystems in Zukunft zum gleichen Preis anbieten, wie bisher die SMS-Küchen.» Mit der Umstellung wird sich insbesondere die Planung vereinfachen. Brauchte der Planer bis anhin drei bis vier Stunden, um bei einer Küche die Möbelserie zu wechseln, soll dies künftig in wenigen Minuten möglich sein. Auch der Wechsel von aufgesetzten Griffen auf Griffmulden ist in Zukunft mit wenigen Klicks getan.
Neues Gewand für den Klassiker
Neu wird es bei der Veriset AG nur noch vier Möbelserien (V1 bis V4) geben. Während V1 dem VMS entspricht, wie es bis anhin schon angewendet wurde, hat man bei V2 und V3 nun die Griffmulden im variablen Mass-System integriert. Bei V4 hat man die klassische Korpushöhe von 762 mm des Schweizer Mass-Systems übernommen und die Fronteinteilung angepasst. So ist die oberste Front neu auch 150 mm hoch, damit die obere Schubladenzeile genügend Platz für die Technik des Kochfeldes bietet. Die Differenz wurde bei der untersten Schublade aufgefangen. Die Möbelserie V4 ist vor allem für Renovationen gedacht, bei denen die Küchenrückwand bestehen bleibt oder etwa eine Steckdose die Höhe der Abdeckung limitiert. «Bei den Möbelserien führen wir zudem einige neue Breiten und zusätzliche Höhen im Hochschrankbereich ein, die es bei uns im VMS bisher nicht gab», sagt Duss.
Tausende Möbel neu aufgebaut
Die Korpusteile im klassischen Schweizer Mass-System werden in den Produktionshallen in Root jedoch nicht sobald verschwinden.
«Einen harten Schnitt können wir nicht machen. Für bereits montierte Küchen müssen wir weiterhin Ersatz oder auch Ergänzungen liefern können», sagt Duss. Auch bei derzeit laufenden, grösseren Projekten müsse individuell mit den Kunden angeschaut werden, wann der Wechsel auf die neue Norm gemacht wird. Man gehe davon aus, dass der komplette Wechsel auf die neuen Möbelserien zwei bis drei Jahre dauern werde, wie Duss sagt.
Was hinter einer solchen Umstellung steckt, zeigen die folgenden Zahlen. So wurden über 2000 Möbel digital neu aufgebaut, damit das Planungstool den Wechsel zwischen den Möbelserien eigenständig machen kann. 85 Standarddekors, 90 Griffe und 6 Griffleisten ergeben zusammen mit den vier Möbelserien 870 Millionen Kombinationen, ohne dass zweimal das gleiche Möbel entsteht. Sven Bürki
Veröffentlichung: 12. Dezember 2024 / Ausgabe 50/2024
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