Zwei auf gleicher Schienenlänge

Schreiner Jürg Keller (52, links) und sein Kollege Marco Rossi nehmen ihr Hobby zwar ernst, haben aber trotzdem viel Spass mit 150 Metern Gleis und 53 Weichen. Bild: Beatrix Bächtold

Tief im Keller einer Gewerbeliegenschaft in Embrach ZH findet man Berge, Täler, Brücken, Dörfer und noch viel mehr. Auf 40 Quadratmetern präsentiert sich geografisch ein Mix aller Regionen der Schweiz – und das Wichtigste: 15 Zugkompositionen, von der Dampfbahn über Güter- und Sonderzüge bis hin zur S-Bahn, schlängeln sich relativ rasant durch die kleine Welt im Massstab 1:87. Dieses Paradies hat der Schreiner Jürg Keller zusammen mit seinem Kollegen Marco Rossi, den er vom Kindergarten her kennt, innerhalb von gut 20 Jahren erschaffen. Die Aufgaben sind geteilt: Während Rossi als Inhaber einer Autogarage mehr fürs Elektrische zuständig ist, kümmert sich Keller vor allem um die Holzkonstruktionen. So hat der Schreiner beispielsweise den hölzernen Unterbau erstellt und die Anlage mit der Spurweite H0 auf einen Meter hohe Stelzen platziert. «Heute würden wir die Nullebene um einige Zentimeter anheben. Mit dem Alter sind wir etwas bequem geworden und bücken uns nicht mehr so gerne», sagt er. Unter der Anlage, in der Minusebene, warten die inaktiven Zugkompositionen in Schattenbahnhöfen auf ihren Schaltbefehl. Viele der Miniaturgebäude fertigt der Schreiner in der Ernst Keller GmbH in Glattfelden, welche er vor 16 Jahren von seinen Eltern übernommen hat und gemeinsam mit seiner Frau führt.

Sein neuester Coup sind 20 massstabgetreue blaue WC-Häuschen, die er nun beispielsweise am «Badesee», im Zeltlager der Pfadi oder an einer Baustelle platziert. Missfallen dem Schreiner Teile der Anlage, so greift er schon mal zum Hammer und zerstört, was später neu entstehen soll. An zehn Stellen hat er Ausstiegsluken für die Wartungsarbeiten eingerichtet, die sich mitsamt den darauf befindlichen Häuschen und Figürchen hochklappen lassen.

Angefangen hat alles an Weihnachten 1996, denn genau dann haben die beiden Kollegen beschlossen, eine Anlage zu bauen. «Wir studierten alle möglichen Gleispläne. Einer ist uns gleich ins Auge gestochen, denn er hatte nicht wie üblich einen geraden Bahnhof, sondern lag an einer grossen Gleiskurve. Er sollte das Herzstück unserer Anlage werden», erzählt Keller. Und so werkelten die beiden zehn Jahre lang um diesen Bahnhof herum. «Dann erst war die Strecke geschlossen, und wir konnten erstmals die Hauptbahn ausfahren. Bis dahin wussten wir nicht, ob es funktioniert und ob wir alles richtig gemacht hatten», erzählt Keller, während er die legendäre SBB-Lokomotive «Krokodil» durch einen Tunnel surren lässt. Diesmal hat das, wie meistens, geklappt. «Es sind aber schon kleinere Unfälle passiert», erzählt Keller und fügt schmunzelnd hinzu, «aber nie mit Verletzten. Und Materialschaden gibt uns wieder die gewünschte Beschäftigung.» Expandieren kann das Ganze nämlich nicht mehr. Bereits jetzt ist jeder Zentimeter des Raumes verbaut und die beiden bedienenden Herren in der Mitte der Anlage müssen auch schon recht den Bauch einziehen, um aneinander vorbei zu rangieren. Ungefähr einmal pro Woche treffen sich die Mittfünfziger zum «Spielen».

Dann wird getüftelt, gesägt, lackiert, aber auch einfach nur genossen. Für Jürg Keller ist die Anlage ein Refugium, ein Ort ohne Termine und ohne Pflichten, denn auch die Rentabilität fährt hier auf der Nullebene. Er sagt: «Irgendwann braucht man auch als Mensch einen Schattenbahnhof zum Abstandhalten und Kopflüften. Danach kommt man wieder frisch ans Tageslicht und kann erholt auf den Schienen des Alltags laufen.»

«Es sind aber schon kleinere Unfälle passiert, aber nie mit Verletzten. Und Material- schaden gibt uns wieder die gewünschte Beschäftigung.»

beb

Veröffentlichung: 26. Oktober 2017 / Ausgabe 43/2017

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