Zur Berufung gefunden

Roger Jungo (41) schleift an einer100 Kilo schweren Tischplatte. Bild: Caroline Mohnke

Leute. Betritt man die Werkstatt von Roger Jungo im bernischen Niederbipp, stechen einem die Tische ins Auge. «Schreiner wäre als Jugendlicher mein Wunschberuf gewesen», erzählt Jungo in seiner Werkstatt am grossen Tisch aus Olivenholz und Epoxidharz.

Der Tisch sei sein allererstes Werk gewesen, erzählt er und fährt stolz mit der Hand über die Oberfläche. Doch nicht nur der Tisch ist etwas ganz Besonderes, auch die Lebensgeschichte seines Schöpfers, der heute ein gefragter Designer ist. «Das Leben meinte es in der Kindheit nicht so gut mit mir», sagt der 41-Jährige, der in Düdingen im Kanton Freiburg aufgewachsen ist und mit seiner Mutter eine Zeit lang in Frankreich lebte. «Mit 16 Jahren machte ich meine ersten Drogenerfahrungen.» Er sei ein «Saugoof» gewesen, gibt er zu. Er lacht schelmisch unter seinem Basecap hervor und erzählt von seiner abgebrochenen Detailhandelslehre. 17 Jahre steckte er in der Drogenszene fest, lebte teilweise auf der Strasse. Doch dann gelingt ihm nach all den Jahren glücklicherweise der Entzug. «Ich bin ein Mensch, der vorwärtsschaut», sagt er und zeigt die Tätowierung seitlich seines Mittelfingers: «13. 04. 2015». «An diesem Tag habe ich die Entzugsklinik verlassen und bin mit meiner grossen Liebe Stefanie zusammengezogen.» Von da an habe er sein Leben in die Hand genommen.

«Am Schönsten ist die Krone eines Baumes für einen Tisch. Die ist wie ein wilder Fluss.»

«Ich machte quasi eine Suchtverlagerung und begann zu trainieren», erzählt er. Plötzlich wog er 110 Kilos anstatt 70. Kraft und Energie brauchte er auch für seine Arbeit: «Ich war im Bühnenbau tätig und im Spezialtiefbau.» Die ganze Woche sei er unterwegs gewesen, was sehr viel Energie gekostet habe. Es folgte ein Burnout. Nachdem es wieder aufwärts ging, machte er die Lastwagenprüfung und arbeitete als Saugbaggerfahrer. Eines Tages habe er einen Tisch entdeckt, mit Epoxidharz gegossen. Dieser sei ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und er wollte der Sache nachgehen.

«Tag und Nacht habe ich getüftelt», erzählt er. Er habe sich in die Themen eingelesen und experimentiert, was das Zeug hält. Dabei habe er auch viele Fehler gemacht. «Doch aus Fehlern lernt man», meint er. Ein Schreinerkollege habe ihm zudem wertvolle Tipps gegeben. Schliesslich wagte er den Sprung in die Selbstständigkeit. In den ersten Jahren habe er Schneidbretter angefertigt, dann kleine Tische, und heute habe er Anfragen aus der ganzen Welt. Ein Tisch bewege sich preislich zwischen 2000 und 30 000 Franken. Beliebt sind seine Kurse in Holz- und Epoxidharz-Verarbeitung. Er bietet auch Menschen, die noch in einer Sucht stecken, Gelegenheit für einen Einblick in sein Schaffen. In seiner Werkstatt «Jungo Design» befindet sich nebst viel Schweizer Holz auch Nussbaum aus Afghanistan, Olivenholz, 2500-jährige Mooreiche und sogar Eiche aus einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg. «Ich halte auf der ganzen Welt Ausschau nach Holz.» Sein Schwiegervater sei Forstwart in Obwalden. Von ihm beziehe er auch ab und an Holz.

«Am Schönsten ist die Krone eines Baumes für einen Tisch», schwärmt Jungo und fügt an: «Die ist wie ein wilder Fluss.» Nebst seiner Werkstatt führt Jungo den Onlineshop Woodloft.ch, über den er Holzöl und andere Sachen für die Holzbearbeitung verkauft, sowie einen Werkzeugladen. Seine Frau kümmert sich um die Büroarbeit. Auf die Frage, ob er noch Freizeit habe, sagt er lachend: «Aber sicher, immer sonntags ist Vater-Sohn-Tag.» Der 5-jährige Jayden freue sich besonders darüber, denn da stehe Skifahren, auf Indoor-Spielplätzen herumtollen oder mit dem Quad herumkurven auf dem Programm. Und es gilt: «Hauptsache wir beide haben Spass.»

Caroline Mohnke

Veröffentlichung: 13. März 2023 / Ausgabe 10/2023

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