Wohlklänge als persönliche Wohltat

Stefan Marty (44) hat in anderthalb Jahren sechs Didgeridoos aus einheimischem Holz gebaut – vier davon spielen er und sein Sohn. Bild: Franziska Herren

Über Mittag dringen tiefe, brummige Klänge durch die Räume der Marty Fensterbau AG in Richterswil ZH und erzeugen eine fast meditative Atmosphäre. Stefan Marty, der 44-jährige Inhaber des Familienbetriebs, übt in der Mittagspause regelmässig Didgeridoo. «Wenn ich Didgeridoo spiele, kann ich gut abschalten, ich bin ganz im Moment», beschreibt er. «Es löst bei mir eine tiefe Entspannung aus.» Zum Didgeridoospielen kam Marty, nachdem bei ihm die chronische Lungenkrankheit Sarkoidose diagnostiziert wurde. Da die Krankheit starkes Schnarchen und eine Schlafapnoe auslöste, verschrieben ihm die Ärzte eine Schlafmaske, welche die Atemaussetzer linderte. «Jede Nacht mit einer Maske auf dem Gesicht zu schlafen, war mühsam», schildert Marty. Er suchte nach Alternativen und stiess schliesslich auf eine Studie der Universität Zürich. Darin fanden Forschende heraus, dass man mit regelmässigem Didgeridoospielen Muskeln trainieren kann, welche die oberen Atemwege offen halten und so das Schnarchen und die Schlafapnoe reduzieren können. Marty wollte wissen, ob dies bei ihm funktioniert. Er lehnte das Didgeridoo seines besten Freundes aus und meldete sich für einen Kurs an. «Beim Didgeridoospielen erzeugt man mit der eigenen Atmung, der Zunge oder der eigenen Stimme Töne.» Wie alle Anfänger brachte er zunächst nur einen einzigen Ton aus dem langen Rohr. Marty übte intensiv. Er trainierte auch die Zirkularatmung – eine Technik, die es ermöglicht, während des Ausblasens gleichzeitig einzuatmen.

«Als ich dies beherrschte, gingen viele Türen auf», erinnert sich der Schreiner. Heute, eineinhalb Jahre später, spielt er leidenschaftlich gern Didgeridoo. Das Instrument mit seinen vielfältigen Tonlagen übt grosse Faszination auf ihn aus. Mittlerweile kann er zwischen Klängen variieren – und seine Schlafapnoe ist er mehr oder weniger losgeworden. «Aus meiner Liebe zum Holz und zum Schreinerhandwerk kam mir bald die Idee, selbst Didgeridoos anzufertigen.» Das erste baute er aus Birkenholz zusammen mit seinem achtjährigen Sohn. In Australien wird das traditionelle Musikinstrument der Aborigines aus einem Baumstamm hergestellt, den die Termiten ausgehöhlt haben. «Da es hier keine Termiten gibt, musste ich eine andere Methode anwenden», sagt Marty. Er schnitt einen Stamm in der Mitte auf und höhlte die zwei Hälften aus. Am Schluss leimte er die beiden Hälften zusammen. Keine schwierige Aufgabe für einen Schreiner. «Die Kunst besteht darin, dass die Innenform so gestaltet ist, dass das Instrument in einer bestimmten Tonlage klingt.» Marty las sich durch Foren und entdeckte immer mehr Details. «Mittlerweile arbeite ich mit einer Software, mit der ich die Innenform erproben kann», erzählt er. «Ich zeichne diese Form danach auf die Holzhälften und höhle diese millimetergenau aus – alles in Handarbeit mit Hammer und Stechbeitel.»

Marty verwendet ausschliesslich einheimische Hölzer. Das Holz seines neusten Instruments ist vom Haselstrauch aus Nachbars Garten. «Ich finde es schön, wenn hinter den Hölzern, die ich fürs Bauen der Didgeridoos verwende, eine Geschichte steckt.» Er baut alle für den Eigengebrauch. Dass die Instrumente nicht kommerziell genutzt werden, ist ihm im Moment wichtig. «Das ist für mich eine Abwechslung zu meiner Arbeit als Geschäftsführer. Es gibt mir die Möglichkeit, wieder in der Werkstatt zu stehen, zu experimentieren und das Holz zu spüren und zu riechen.»

«Ich finde es schön, wenn hinter den Hölzern, die ich fürs Bauen der Didgeridoos verwende, eine Geschichte steckt.»

Franziska Herren

Veröffentlichung: 24. April 2025 / Ausgabe 17/2025

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