Wo der Schuh nicht drücken soll
Der 3D-Druck hat sich als echte Alternative zu gefrästen Schuhsohlen erwiesen. Dies genau so auch bei Schuh- leisten und Einlagen. Bild: Monika Hurni
Der 3D-Druck hat sich als echte Alternative zu gefrästen Schuhsohlen erwiesen. Dies genau so auch bei Schuh- leisten und Einlagen. Bild: Monika Hurni
SIcherheitsschuhe. Fussverletzungen sind im Schreinergewerbe nicht selten und allzu oft auf mangelhaftes Schuhwerk zurückzuführen. Um unnötige Unfälle zu vermeiden, sollten sich Schreinerinnen und Schreiner frühzeitig mit der Wahl des passenden Schuhs auseinandersetzen.
Stolperunfälle, gequetschte Zehen oder Verletzungen durch spitze oder scharfkantige Gegenstände. Dies sind die Gefahren, an die Schreinerinnen und Schreiner bei der Auswahl ihrer Arbeitsschuhe in der Regel als Erstes denken. Doch daneben sollten noch ganz andere Faktoren beachtet werden: «Viele ignorieren ihre individuelle Fussform bei der Auswahl von Sicherheitsschuhen. Ein Schuh, der für den normalen Fusstyp gut passt, kann für jemanden mit einer Fussdeformierung unangenehm oder sogar schädlich sein», sagt Melanie Wicki-Amrein, Inhaberin und Geschäftsführerin der Helvesko AG in Reiden LU. Eine grosse Rolle spiele auch die Dämpfung, führt sie weiter aus. «Eine unzureichende Dämpfung kann zu Gelenk- und Rückenschmerzen führen, auch wenn die Schuhe anfangs bequem erscheinen.»
«Wo die Leute am meisten Zeit verbringen, da geben sie am wenigsten Geld aus – beim Bett und bei der Arbeit», sagt Edwin Kryenbühl. Der Orthopädie-Schuhmachermeister spricht aus Erfahrung. «Die Leute sind bereit, überteuerte Preise zu bezahlen für trendige Sneakers, sparen aber bei den Arbeitsschuhen und gefährden damit ihre Gesundheit.» Kryenbühl spricht damit insbesondere langfristige Haltungsschäden an. Gemeinsam mit seinen beiden Brüdern hat er die Swissbiomechanics AG, ein Spin-off der ETH Zürich, gegründet und diese ins familieneigene Schuhgeschäft Kryenbühl Schuhe, Sport & Orthopädie integriert.
An zehn Standorten in der Deutschschweiz und im Tessin bieten Sport- und Bewegungswissenschlaftler verschiedene Analysen, wie etwa Fuss-, Lauf-, Haltungs- oder Rückenuntersuchungen, an. Soll beispielsweise ein individueller Arbeitsschuh gefertigt werden, so wird dafür eine statische Fuss- und Körperanalyse sowie eine dynamische Fussdruckmessung gemacht. Aufgrund der Ergebnisse werden in der Folge individuelle Einlagen gefertigt.
Der individuelle Schuhleisten ist das Kernstück für die Anpassung eines Mass-Schuhs. Die Leisten werden im 3D-Druckverfahren als exaktes Abbild des Fusses gedruckt. Dabei hat das Traditionsunternehmen mit Hauptsitz in Einsiedeln SZ eine ungewöhnliche Lösung gefunden: Denn das Filament für den 3D-Druck besteht zu 100 Prozent aus recycelten Skischuhen. Die alten Skischuhe werden in der Argo-Werkstatt in Davos GR von beeinträchtigten Menschen demontiert und in kleine Kunststoffteile zerkleinert. «Mit diesem neuen Verfahren haben wir viel weniger Materialabfall, und die Herstellung ist zeit- und ressourcensparend», erklärt Kryenbühl. Die Weiterverarbeitung erfolgt im Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK) in Rapperswil SG. Mit der Wiederverwendung der Skischuhe schliesst sich ein Kreis, denn vor gut 60 Jahren hatte Edwin Kryenbühl, der Vater der heutigen Inhaber, in Unteriberg SZ eine eigene Schumacherwerkstatt aufgemacht und mit einer Vespa die Schuhe in den umliegenden Dörfern eingesammelt, um sie zu reparieren. Drei Jahre später wurde die Werkstatt um das Schuhgeschäft erweitert – inklusive Skischuhen.
Eine Alternative zu angepassten Sicherheitsschuhen können die Masseinlagen des Unternehmens sein. Diese werden anhand der Daten einer 3D-Fussvermessung gefertigt und sorgen sowohl in Arbeits- als auch in Freizeitschuhen zur richtigen Haltung und damit zu einer dauerhaften körperlichen Entlastung.
Die Grundlagen für das Tragen von Sicherheitsschuhen am Arbeitsplatz sind in der Verordnung über die Unfallverhütung (VUV) in Artikel 5 festgehalten: «Können Unfall- und Gesundheitsgefahren durch technische oder organisatorische Massnahmen nicht oder nicht vollständig ausgeschlossen werden, so muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmern zumutbare und wirksame persönliche Schutzausrüstungen wie Schutzschuhe usw. zur Verfügung stellen.» In der Holzverarbeitung gibt es keine allgemeine Tragpflicht für Sicherheitsschuhe. Es liegt deshalb in der Verantwortung der einzelnen Betriebe, das Gefahrenpotenzial einzuschätzen und eine entsprechende Schutzausrüstung einzusetzen. Maschinenhersteller hingegen halten in der Bedienungsanleitung der jeweiligen Maschine Vorgaben über das Tragen von Sicherheitsschuhen fest. «Sind Sicherheitsschuhe notwendig, so müssen diese vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt und bezahlt werden», sagt Urs Sager, Geschäftsführer der Zentralen Paritätischen Berufskommission (ZPK) und deren Sicherheitskommission (Siko). Dies gelte auch für temporäre Mitarbeitende oder Schnupperlernende. Wer hingegen die Kosten einer orthopädischen Anpassung aufgrund einer Fussdeformation übernehme, hänge von der Ursache der Deformation ab. Infrage kommen Invalidenversicherung, Krankenkasse oder Unfallversicherung. Sager rät, die Ursache einer Fussdeformation ärztlich abklären zu lassen und danach Kontakt mit der zuständigen Versicherung aufzunehmen.
Bei den Arbeitsschuhen wird zwischen Berufsschuhen, Schutzschuhen und Sicherheitsschuhen unterschieden. «Für Schreinerinnen und Schreiner kommen aber nur die Sicherheitsschuhe infrage», sagt Urs Sager. «Sie bieten den höchsten Unfallschutz und sind gemacht für den gewerblichen Gebrauch.»
Sicherheitsschuhe entsprechen der Norm EN ISO 20345 und zeichnen sich durch Zehenkappen aus, deren Schutz gegen Stosseinwirkungen mit einer Prüfenergie von mindestens 200 J und gegen Druck bei einer Druckbeanspruchung von mindestens 15 kN geprüft wird. Die Schuhe werden in folgende Schutzklassen eingeteilt:
Für die Werkstatt empfiehlt Sager mindestens Schutzklasse S1, im Zweifelsfall sogar S1P. Auf dem Rohbau sollte ein Schuh der Schutzklasse S3 getragen werden.
Bei der Auswahl des passenden Schuhs gilt es so einige Kriterien zu beachten: «Grundsätzlich sollte sich der Schreiner überlegen, ob er knöchelhohe Schuhe oder Halbschuhe bevorzugt. Knöchelhohe Schuhe mit einem höheren Schaft bieten dem Träger einen besseren Halt, schützen ihn vor dem Umknicken und im Bereich der Knöchel. Halbschuhe bieten hingegen mehr Bewegungsfreiheit und sind etwas leichter», sagt Patrick Biefer, Aussendienstmitarbeiter der PSA Hasler + Co. AG in Winterthur ZH. Eine wichtige Rolle spiele auch die Wahl der richtigen Schuhgrösse, führt Biefer weiter aus. «Generell gilt die Regel, dass beim angezogenen Schuh noch ein Zeigfinger Platz haben sollte. Dies kann überprüft werden, wenn die Einlegesohle entfernt wird und der Schreiner sich auf die Sohle stellt.» Ebenfalls sollte sich der Schreiner die Frage stellen, auf welchen Untergründen er sich bewegt. «Das Einsatzgebiet ist massgebend», bestätigt Patric Eisele, Leiter Geschäftsentwicklung bei der ANWR-Garant Swiss AG, einer Dienstleistungsfirma für den Fachhandel. «Der Anspruch eines Sicherheitsschuhs in der Werkstatt ist nicht der gleiche wie derjenige auf der Baustelle, wo es auch mal rutschig sein kann.»
«Der Schuh wird das ganze Jahr getragen, daher ist eine frühzeitige Planung für alle Jahreszeiten sinnvoll. Man sollte darauf achten, dass der Schuh den unterschiedlichen Anforderungen wie Wärme, Kälte und Atmungsaktivität gerecht wird», sagt Renato Censori, Leiter Bereich Arbeitsschutz bei der Brütsch/Rüegger Werkzeuge AG in Urdorf ZH. Daneben streicht er die individuellen Bedürfnisse heraus: «Häufig übersehene Faktoren wie starkes Schwitzen, Fehlstellungen des Fusses wie Hallux oder die Notwendigkeit von orthopädischen Einlagen sollten angesprochen werden, um den Komfort und die Gesundheit des Trägers zu gewährleisten.»
Gewisse Schuhe sind heutzutage gar so konstruiert, dass sie die Faszien im Fuss permanent leicht stimulieren, wodurch Spannungen gelockert werden und die Muskulatur aktiviert wird.
Nicht zu vergessen bei der Auswahl des Schuhs ist die Akzeptanz der Trägerin oder des Trägers. Die Schuhe werden nur dann getragen, wenn die jeweilige Person von deren Notwendigkeit überzeugt ist und sie sich darin wohlfühlt. Zu einer grösseren Akzeptanz führt auch eine ansprechende Optik des Schuhwerks. Diese sollte auf keinen Fall das entscheidende Kriterium bei der Auswahl sein. Doch die heutigen Schuhmodelle zeigen, dass Funktionalität und Optik nicht mehr zwingend zwei Paar Schuhe sein müssen.
www.helvesko.chwww.swissbiomechanics.chwww.hasler.chwww.agsag.chwww.brw.ch
Die Sicherheitskommission (Siko)leistet bei jedem Kauf von Sicherheitsschuhen einen Beitrag von maximal 100 Franken pro Paar und dem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterstellten Arbeitnehmenden. Dieses Angebot gilt für Schuhe mit Zehenschutz ab der Schutzklasse S1, welche durch den Arbeitnehmenden oder den Arbeit- gebenden in den letzten zwölf Monaten beschafft wurden. Die Aktion läuft bis Ende August 2025. Das Vorgehen ist einfach: Im Frühjahr versendet die Siko an alle dem GAV unterstellten Betriebe ein Rückerstattungsformular. Dieses kann dann ausgefüllt und mit einer Quittung versehen eingereicht werden.
www.siko2000.chVeröffentlichung: 16. Januar 2025 / Ausgabe 3/2025
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