Wenn fast alles geht


Auf zum fröhlichen Verleimen: Über 90 % der Teile werden mit PU-Hotmelt nur noch einseitig belegt. Das spart Zeit und Geld. Bilder: Christian Härtel
Auf zum fröhlichen Verleimen: Über 90 % der Teile werden mit PU-Hotmelt nur noch einseitig belegt. Das spart Zeit und Geld. Bilder: Christian Härtel
Plattenbeläge. Die Flächenverleimung mit Polyurethan-Hotmelt bietet viele Vorteile. Mit einer ausgezeichneten Güte der Klebstofffuge können nahezu alle Materialien auch einseitig miteinander verklebt werden. Die Wettstein AG produziert mit dem Verfahren seit drei Jahren.
«Wie Sie sehen, sieht man fast nichts», sagt Urs Fischer, Betriebsleiter der Wettstein AG im thurgauischen Riedt bei Erlen. Vor allem aber sieht man keinen Staub in der Werkstatt. Die Oberlichter lassen viel Tageslicht herein. Auch auf den Ort des Geschehens: die Polyurethan (PU)-Hotmelt-Flächenverleimanlage, eine der vielleicht fünf Anlagen überhaupt in der ganzen Schweiz, weiss Fischer.
Früher, will heissen noch bis vor drei Jahren, habe man für die mittlerweile enorme Materialvielfalt viele verschiedene Klebstoffe gebraucht, um auch ausgefallene Kundenwünsche realisieren zu können. «Und das nicht immer ohne Probleme», so Fischer. Heute ist man bei der Wettstein AG einen grossen Schritt weiter. Möglich wurde dies durch das neue Verfahren bei der Flächenverleimung mit PU-Hotmelt-Klebstoff. Gearbeitet wird heute nur noch mit diesem Klebstoff. «Melt» bedeutet schmelzen. Dafür dient ein Vorschmelzgerät, welches den Klebstoff auf etwa 100 °C erwärmt. Der PU-Klebstoff benötigt die Hitze bei der Applikation, nicht aber beim Pressvorgang. Aufgebracht wird der Klebstoff mittels beheizter Auftragswalze im Durchlaufverfahren. Vorher wird das zu benetzende Material am Aufnahmetisch der Leimstrasse direkt vor dem Einlauf in das Hotmelt-Aggregat abgesaugt und gereinigt. Die benetzte Platte wird dann mit einem Ziehstab an den Anschlag der Belegestation angelegt.
Für die Belagwerkstoffe, die jegliches Material sein können, hat sich das Unternehmen eine Reinigungsstufe ausgedacht. «Die Belegestation ist sehr wichtig. Vor allem wegen möglicher Verschmutzungen. Handelsübliche Systeme waren uns zu heikel in diesem Punkt, weshalb wir ein eigenes Verfahren entwickelt haben», erklärt Fischer. Die Belagwerkstoffe werden dabei durch eine Schleuse geführt, bestehend aus einem Bürstenpaar und einem Druckluftstrom, und so gereinigt. Anschliessend wird das Furnier, HPL, Linoleum, Stahl- oder Aluminiumblech, Glas oder auch Textil aufgelegt. Den Anschlag dafür, an dem man den gewünschten Überstand einstellen kann, hat man bei der Wettstein AG ebenfalls selbst konstruiert.
Einmal leicht mit der Hand über die Fläche gestrichen und ein Verrutschen kann ausgeschlossen werden. Mit fünf Metern pro Minute Vorschub läuft die belegte Platte durch das zweite Herzstück der Anlage, den Kalander. Dabei presst eine Gummiwalze den Belagwerkstoff auf das Trägermaterial. «Durch den kurzen Pressdruck ergibt sich eine hohe Anfangsfestigkeit, die dann über die chemische Reaktion weiter aushärtet», so Fischer. Die fertigen Platten lassen sich sofort stapeln. Am darauffolgenden Tag können die Teile dann weiterverarbeitet werden.
Neben dem Vorteil, dass praktisch alle Werkstoffe mit immer dem gleichen Klebstoff miteinander verleimt werden können, ist für Stephan Wettstein als Geschäftsführer des Unternehmens vor allem die Möglichkeit der einseitigen Beschichtung von gros-ser Wichtigkeit. Ein kunststoffbeschichteter Trägerwerkstoff kann so beispielsweise für die Platte eines Konferenztisches einseitig mit einem edlen Belagwerkstoff wie Linoleum versehen werden. Und das ohne Krümmungen, aber mit erheblicher Zeit- und Kosteneinsparung. «Möglich ist dies deshalb, weil mit dem PU-Klebstoff praktisch keine Feuchtigkeit ins Material kommt», ergänzt Fischer. Selbst Krümmungen, wie sie etwa bei HPL-Schichtstoff materialüblich sind, spielten praktisch keine Rolle.
Geschichte ist heute auch der Leimdurchschlag. Der äusserst dünne Klebstofffilm bei einer Leimauftragsmenge zwischen 60 und 100 g/m2 und das Fehlen der Feuchtigkeit führen dazu, dass es Leimdurchschlag beim Belegen mit Furnier nicht mehr gibt. Der sich nach dem Auftrag schnell ziemlich trocken anfühlende Klebstofffilm füllt auch die relativ groben Poren von Hölzern wie Eiche oder Ulme nicht. «Das führt zu einer natürlicheren Anmutung von furnierten Teilen gegenüber herkömmlichen Klebstoff- und Produktionsverfahren», freut sich Stephan Wettstein.
Damit die Produktion von furnierten Teilen so gelingt, braucht es ein etwas abgewandeltes Verfahren. Anstelle der Pressung durch den Kalander kommen die mit PU-Leim furnierten Teile in die Kurztaktpresse. Eine Wärmezufuhr ist dabei ebenfalls nicht erforderlich, die Presszeiten sind trotzdem minimal. «Die Teile werden in der Kurztaktpresse 60 Sekunden kalt gepresst. Man könnte auch kürzer pressen, das macht aber keinen Sinn, weil nach dieser Zeit erst das nächste Teil vom Beleimen bereitsteht», erklärt Fischer.
Damit Unregelmässigkeiten und Dickentoleranzen im Furnier nicht zu Kürschnern führen, wird eine flexible Zulage in der Kurztaktpresse verwendet. Auch hier zeigt sich, wie wichtig die praktische Erfahrung und das daraus resultierende Know-how mit dem Verleimverfahren sind. Denn was alles ganz einfach klingt und auch vor Ort so aussieht, ist in Wirklichkeit ein längerer Weg. Zwar verhalten sich die Materialien aufgrund der ausbleibenden Feuchtigkeitszufuhr gutmütig. «Bis man aber weiss, wie und wann man Teile etwas überspannen muss, wie sich welcher Werkstoff mit welchem Belag verhält, muss man viel Erfahrung und Wissen sammeln», erzählt Fischer. Deshalb wurden viele Muster gefertigt, auch schon im Vorfeld der Investition beim Anlagenhersteller. Da man nahezu alles mit dem einen Klebstoff verbinden kann, schreibt die Wettstein AG das «Lehrbuch» der PU-Flächenverleimung auch ständig fort.
An der Maschine sind deshalb nicht nur Handlungsanweisungen für die Mitarbeiter platziert, sondern auch Formblätter, auf denen regelmässig äussere Parameter gemessen und notiert werden. «Im Winter verhält sich das Verfahren anders als in den Sommermonaten. Und die chemische Reaktion des PU-Klebstoffes braucht etwas Feuchtigkeit zum Abbinden», sagt Fischer. Wenn alle Parameter wie Leimtemperatur, Materialfeuchte, Luftfeuchte und Raumtemperatur stimmen, sei das Verfahren sehr prozesssicher. Dieser Aufwand, für optimale Bedingungen zu sorgen, macht auch vor der Materialwirtschaft nicht halt. «Wir sind durch den dünnen Leimfilm darauf angewiesen, dass die verwendeten Furniere hohen Qualitätsanforderungen genügen», so Fischer. Das Unternehmen definiert deshalb die Masstoleranzen entsprechend beim Furniereinkauf.
Da das Verfahren äusserst rationell ist, spart die Wettstein AG heute viel Zeit beim Flächenverleimen; daneben auch Material und Geld durch die Möglichkeit der einseitigen Belegung. «Für unsere gesamte Produktion läuft die Anlage derzeit nur etwa zwei Tage die Woche», so Fischer. Der Betriebsleiter sieht noch viel Potenzial in weiteren Anwendungen. Etwa der Fertigung von Sandwich-Konstruktionen für grosse Empfangstheken und Ähnliches. Dazu hat man das Maschinenlayout entsprechend eingerichtet, denn der Kalander steht auf Rollen und die Anlage ist mit 155 cm Durchlassmass breiter als üblich. «Das war uns wichtig, weil wir gerade für Konferenztische häufig eine Breite in diesem Bereich haben», sagt Wettstein. «Müssen fünf Meter lange Platten etwa mit HPL belegt werden, dann drehen wir den Kalander einfach um 90° und können so auch sehr lange Teile bewältigen», so Fischer.
Die offene Zeit des Klebstoffs von sechs Minuten erlaubt dem Unternehmen auch die Produktion von Sandwich- oder Wabenkonstruktionen. Eine Fläche wird beleimt, die Konstruktionshölzer aufgesetzt, dann die zweite Platte beleimt, aufgelegt und das Ganze dann durch den Kalander gelassen. Fertig.
Stephan Wettstein (r.) und Urs Fischer sind dem Fortschritt mit Tradition im 1946 gegründeten Unternehmen ver- pflichtet. Mit der Flächenverleimung mittels PU-Hotmelt hat man sich neue Möglichkeiten erschlossen. Bereits 90 % aller Beschichtungn werden so heute nur noch einseitig ausgeführt. Mit den beiden Betätigungsfeldern «elements» und «unic» fertigt die Wettstein AG sowohl eigene Produktreihen mit namhaften Desigern als auch Teile als Zulieferer für Geschäftskunden und bietet das Belegen jeglicher Materialkombinationen auch den Schreinerkollegen an. Das Begreifen und Vermitteln der neuen Möglichkeiten durch das PU-Hotmelt-Verfahren sehen beide als grosse Herausforderung an.
Veröffentlichung: 19. März 2015 / Ausgabe 12/2015
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