«Und plötzlich war alles schwarz!»


Für Architekten und Bauherren ist es sehr schwierig abzuschätzen, in welchen Baustoffen bedenkliche Komponenten enthalten sind.
Für Architekten und Bauherren ist es sehr schwierig abzuschätzen, in welchen Baustoffen bedenkliche Komponenten enthalten sind.
Gesundheit. In modernen Bauten werden immer mehr synthetische Produkte eingebaut. Das kann zu dramatischen Folgen führen: Fogging entsteht, wenn sich Weichmacher und schwer- flüchtige Lösemittel in der Luft anreichern und ausgeschieden werden.
Für Brigitte Bolli aus Flamatt war es ein Schock. Kurz vor Weihnachten 2011 färbten sich in ihrer neu renovierten Wohnung plötzlich Wände und Decken schwarz und auf vielen Flächen setzte sich ein ölig-schwarzer Film ab. Seither kämpft sie gegen das Phänomen Fogging (Fog, englisch für Nebel), welchem auch mit Putztüchern und Reinigungsmitteln nicht beizukommen ist. Bolli wurde unschuldiges Opfer eines Vorgangs, der selbst unter Fachleuten schwierig zu erklären ist. Fogging wird auch «Black Magic Dust» genannt und bedeutet, dass sich ein russig-nebliger, geruchloser, zuweilen schmieriger, schwarz-grauer Film auf Wände, Decken und Gegenstände legt, ohne dass die Ursachen geklärt wären.
Fogging tritt bereits seit den frühen Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts auf. Trotzdem ist es bis heute nur teilweise gelungen, das Rätsel zu lösen und die Ursachen zu bestimmen. Klar ist jedoch, dass der Ursprung bei schwerflüchtigen Lösemitteln und Weichmachern zu suchen ist. Es handelt sich dabei um Zusätze wie sie heute in vielen Farben, Kunststoffbelägen und in verschiedenen Artikeln des täglichen Gebrauchs zu finden sind. Dass die schwer flüchtigen Lösemittel vermehrt Eingang in moderne Produkte finden, hat zum Teil mit dem gestiegenen Umweltbewusstsein und fehlendem Umweltwissen zu tun. Anstelle von leichtflüchtigen (volatilen) Lösemitteln (VOC) verwenden Farbenhersteller heute zunehmend schwerflüchtige (SVOC), weil man diese nicht deklarieren muss und auch keine Umweltabgaben zu leisten sind.
Selbst in als lösemittelfrei deklarierten Farben können erhebliche Anteile dieser Stoffe enthalten sein. Die Meinung, dass leichtflüchtige Lösemittel gesundheitsschädigend sind, hat sich in der Öffentlichkeit etabliert und wird kaum infrage gestellt. Im Gegensatz zu den schwerflüchtigen lassen sie sich aber recht schnell «weglüften» und bergen für die Nutzer deshalb kaum gesundheitliche Risiken. Schwerflüchtige Komponenten emittieren dagegen sehr langsam, aber stetig und sind deshalb schwer zu kontrollieren. Schwerflüchtige Lösemittel sind in Farben, Lacken und Klebstoffen zu finden.
Weitere verdächtige Stoffe sind Weichmacher aus Kunststoffen. Einige Phtalate sind schon seit längerer Zeit in das Visier der Gesundheitsbehörden geraten und gelten als gesundheitsgefährdend. Zum Foggingproblem steuern aber auch diejenigen bei, die eigentlich als unbedenklich gelten. Weichmacher sind zum Beispiel in Kunststoffbelägen wie Vinylbelägen, Folien und in Teppichen zu finden. Kunststofffenster tragen zusätzlich zur Belastung bei. Weit mehr steuern aber die Innenfarben mit organisch-chemischen Bindemitteln zur Luftbelastung bei. Diese Stoffe emittieren kontinuierlich in kleinsten Mengen aus den Materialien. In der Luft stellen sie isoliert kaum ein Gesundheitsrisiko dar. Bis zu 5000 Teilchen mit wenigen Mikrometern Teilchendurchmesser pro Kubikzentimeter Raumluft sind normal, ohne dass man dies spüren würde.
Trifft die Teilchenwolke aber auf eine geeignete Oberfläche, schlägt sie sich darauf nieder. Der entstehende Film ist je nach Menge der Teilchen unterschiedlich schwarz. Tritt das Fogging auf, lässt sich der schmierige Film nur noch von sehr glatten Belägen entfernen. Gestrichene Wände und Decken sind meist nicht mehr zu retten. Als einziger Ausweg bleibt das Sanieren, sprich Überstreichen der Wände und Decken. Vor der Renovation muss man aber unbedingt die Ursachen abklären und verdächtige Baustoffe entfernen, sonst tritt der Befall spätestens in der nächsten Heizperiode wieder auf. Zusätzlich sollen betroffene Bewohner unbedingt andere Feinstaubquellen vermeiden. Kerzen und Öllampen können den Schadstoffcocktail in der Raumluft weiter anreichern, gelten aber nicht als Auslöser.
Vom Foggingeffekt betroffen sind meistens eher gering gedämmte Wände und Kältebrücken. Ein Foggingbefall deckt solche Schwachstellen schonungslos auf. Aufgrund ungestörter Strömungsverhältnisse verdunkeln sich kaum ganze Wände, sondern zuerst die Bereiche um aufgehängte Bilder, Lampen oder Gestelle an den eher kühlen Wänden. Gefährdet sind generell Ecken, weil dort die Oberflächentemperatur im Vergleich zu freien Flächen tiefer ist. Fogging tritt denn auch deutlich häufiger im Winterhalbjahr auf, also dann, wenn die Luft aufgrund der Wärmezuführung stark in Bewegung ist und damit auch die Schmutzpartikel rege umgewälzt werden.
Welche Quellen in Kombination mit den Raumluftbedingungen zu einem Fogging führen, ist noch nicht restlos geklärt. Fest steht aber, welche physikalischen Grundlagen zur Anwendung kommen. Bei der Thermoporese folgen die Teilchen den Temperaturgradientkurven und lagern sich mit der Volumenänderung der Luft beim Abkühlen in den weniger warmen Bereichen ab. Foggingbeläge setzen sich ebenfalls häufig auf PVC-Oberflächen, zum Beispiel auf Fensterflächen, ab. Dies darum, weil auch die statische Aufladung eine wichtige Rolle spielen kann. Unabhängig von der Oberflächentemperatur setzen sich die Teilchen auf den geladenen Flächen ab.
Die beste Prophylaxe gegen Fogging ist der Verzicht auf Materialien mit schwerflüchtigen Lösemitteln und auf Kunststoffe mit Weichmachern. Im modernen Spekulationswohnbau hat dieses Anliegen leider keine Chance. Viele Architekten sind sich kaum bewusst, wie viele belastende Materialien sie in Form von Kunststofffenstern, Bodenbelägen, Kunststoffverputzen und synthetischen Farben in ihre Bauobjekte einbauen lassen. Zusätzlich gelangt auch eine ansehnliche Menge Zusatzstoffe in die Bauten. Haftbrücken, Ausgleichsmassen, Reaktionsbeschleuniger und Frostschutzmittel in und auf Beton, Mauerwerk, in Mörteln und Verputzen verschärfen die Probleme. Es gibt heute im Hochbau kaum einen Baustoff ohne synthetische Zuschläge. Die einzelnen Materialien scheinen auf den ersten Blick harmlos. Erst die Menge von Problemstoffen verursacht Schäden.
Veröffentlichung: 03. Mai 2012 / Ausgabe 18/2012