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Schadensfälle im Betrieb oder auf der Baustelle: Nicht immer ist die Rechtslage zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer glasklar. Bild: Fotolia, Fotogestoeber

Arbeitnehmerhaftung.  Immer wieder landen Streitfälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei einem entstandenen Sachschaden vor Gericht. Ob eine Arbeitnehmerhaftung in einem konkreten Fall zulässig ist oder nicht, lässt sich meistens vorab einschätzen.

Es war so ein typischer Fall von Murphys Gesetz. Einer dieser Tage, an dem alles, aber auch wirklich alles, was schiefgehen kann, einfach schiefgeht. Zuerst sprang das Auto nicht an, dann war der Kollege krank und als Schreiner Roger F. schliesslich allein auf Montage ging, die Korpusteile des raumhohen Einbauschrankes beim Kunden durch das enge Treppenhaus nach oben trug, da fiel auch noch die Vase vom Podest. Ein grosses und teures Stück in Scherben. Und ein Tag im Sinne Murphys, das war klar für Roger.

Unklar blieb aber, wer für den Schaden des Kunden aufkommt, zumal Roger gerade seine Anstellung gekündigt hatte. Sein Chef beglich den Schaden zunächst, zog aber dann die Hälfte der Schadenshöhe in zwei Raten von Rogers Lohn ab. Roger fragte sich, ob das korrekt sei und er für die Hälfte des Schadens aufkommen müsse, den er unabsichtlich und in Ausübung seiner Pflicht verursacht hatte.

Rechtslage ist eindeutig strittig

Eine solche Arbeitnehmerhaftung für Schäden, welche bei der Ausübung des Berufes entstehen, ist nach den Bestimmungen des Zivilgesetzbuches fünfter Teil, Obligationenrecht, geregelt. Und dort heisst es im Artikel 321e eindeutig: «Der Arbeitnehmer ist für den Schaden verantwortlich, den er absichtlich oder fahrlässig dem Arbeitgeber zufügt.» Streit gibt es dagegen oft darüber, was fahrlässig im Einzelfall heisst. «Die Haftung von Mitarbeitenden ist so geregelt, dass üblicherweise nur bei grober Fahrlässigkeit eine Haftung besteht», sagt Werner Rindlisbacher von der Gewerkschaft Syna.

Strittig sind aber häufig Fälle, bei denen von einer mittleren Fahrlässigkeit ausgegangen werden kann. «Die leichte und mittlere Fahrlässigkeit unterscheiden sich von der Grobfahrlässigkeit dadurch, dass zwar keine elementaren Vorsichtspflichten missachtet, aber auch nicht die im konkreten Fall erforderliche Sorgfalt beachtet wird. Der Grad der Fahrlässigkeit ist insofern von entscheidender Bedeutung, als sich danach in erster Linie der Umfang der Schadenersatzpflicht richtet. Je leichter die Fahrlässigkeit, desto geringer die Schadensbeteiligung des Arbeitnehmers, wohingegen bei mittlerer Fahrlässigkeit die Gerichte oftmals eine hälftige Schadensteilung vornehmen», erklärt Philip Thomas von der Unia, der auch Fachrichter am Arbeitsgericht ist. Und: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. «Verhält sich der Arbeitnehmer in Erfüllung seiner Pflichten korrekt, kann man ihn für einen dabei entstehenden Schaden in der Regel nicht haftbar machen», so Thomas. Denn dann würde leichte Fahrlässigkeit vorliegen. Fahrlässigkeit ist ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff. Dieser braucht die Interpretation, die in der Regel durch die angewandte Rechtssprechung erfolgt, sprich die Urteile, die durch die Gerichte ergehen. Denn ob ein Mitarbeiter die nötige Sorgfalt hat walten lassen, muss im Einzelfall geprüft werden.

«Das Mass der Sorgfalt, für die der Arbeitnehmer einzustehen hat, bestimmt sich nach dem einzelnen Arbeitsverhältnis, unter Berücksichtigung des Berufsrisikos, des Bildungsgrades oder der Fachkenntnisse, die zu der Arbeit verlangt werden. Es richtet sich weiter nach den Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber gekannt hat oder hätte kennen sollen», so die Rechtsanwälte Bürgi Nägeli in Zürich. Inwieweit also fahrlässiges Verhalten vorliegt, misst sich auch an den Voraussetzungen, die der Mitarbeitende mitbringt. Einem Auszubildenden kann man kaum Fahrlässigkeit unterstellen, weil es ihm an Erfahrung und Wissen fehlt. Nach dem Mass der Fahrlässigkeit richtet sich im Zweifel das Mass der Mit-Haftung.

Muss Roger F. den Schaden begleichen?

«Wir erleben es im Alltag immer wieder, dass den Arbeitnehmenden, wenn sie gekündigt haben, dann noch ein Schadensfall angelastet wird», so Rindlisbacher. Möglich wird dies ebenfalls durch die langen Verjährungsfristen solcher Schadenersatzansprüche von zehn Jahren. Kündigt ein Mitarbeiter, muss der Arbeitgeber spätestens bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Schadenersatz fordern. Unterlässt er die Forderung, würde dies einer Verzichtserklärung gleichkommen.

«Einen verdienten Mitarbeiter wird man kaum einen – zumal geringen – Schaden in Rechnung stellen. Die Gerichte beschäftigen Fälle, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird und dann Schadenersatzforderungen den Abgang begleiten», sagt auch Philip. Zum Fall mit Roger F. meint der Fachrichter: «Durch sein fahrlässiges Verhalten hat F. eine Pflichtverletzung in Form der Zerstörung der Vase begangen. Dem Arbeitgeber dürfte in diesem Fall auch ein Organisationsmangel angelastet werden, da solche Arbeiten grundsätzlich durch zwei Fachkräfte ausgeführt werden müssen. Dies dürfte zu einer klaren Reduktion des Schadenersatzes führen», so Thomas. Ginge der Fall vor Gericht, würde dieses aber auch prüfen, ob sich Roger F. hätte weigern müssen, die Schrankseiten allein die Treppe hinaufzutragen. Und dabei wäre es wiederum entscheidend, wie viel Berufserfahrung Roger zum Zeitpunkt des Geschehens hatte. «Eine Reduktion des Schadenersatzes um mindestens die Hälfte halte ich im Fall Roger F. für realistisch», mutmasst Thomas. Und damit hatte sich der Arbeitgeber im Beispielfall korrekt verhalten.

Einfach versichert

Roger F. verzichtete auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit seinem Ex-Chef und bezahlte seinen Anteil, denn als Nichtgewerkschaftler hätte er die Kosten für das Prozedere selbst tragen müssen. Stattdessen reichte er eine Schadensmeldung bei seiner Haftpflichtversicherung ein. Die winkte jedoch ab mit dem Hinweis, dass der Schaden während der Ausübung des Berufs entstanden sei und somit kein Versicherungsschutz über die Haftpflichtversicherung bestand.

«Schäden, die während der beruflichen Tätigkeit als Schreiner verursacht werden, sind über die Privathaftpflichtversicherung nicht versichert», bestätigt Jürg Thalmann von der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG den Sachverhalt. «Das Schadensbeispiel ist aber über die Betriebshaftpflichtversicherung grundsätzlich versichert. Grundsätzlich deshalb, weil im Einzelfall geprüft werden muss, ob ein allfälliger Deckungsausschluss wegen Arbeiten im unmittelbaren Tätigkeitsbereich geltend gemacht werden müsste. Etwa wenn ein Schreiner beim Montieren einer Tür den Türrahmen beschädigt», so Thalmann. Auch für solche Fälle bietet die Mobiliar inzwischen eine Zusatzversicherung an.

«Viele Unternehmen versichern nur den schlimmsten Fall, sonst sind die Prämien einfach zu hoch», vermutet Thomas. Aber zahlreiche Betriebe haben keinen Versicherungsschutz, sonst würden nicht so viele Fälle vor Gericht kommen. So auch Rogers Chef. Gewiss ging es im Fall einvernehmlich zu, doch Ärger kann es immer wieder geben. Denn Murphys Gesetz gilt, das ist sicher.

Voraussetzungen für eine Arbeitnehmerhaftung

Will ein Arbeitgeber seinen Arbeitneh-mer für einen Schaden, der in Ausübung seiner Tätigkeit entstanden ist, haftbar machen, braucht es dafür formale Voraussetzungen. Eine Schadenersatzpflicht des Mitarbeitenden setzt neben dem Schaden (ein gefühlter Schaden ist keiner) und des Kausalzusammenhanges (es muss eine logische Verbindung zwischen Handeln und Schaden bestehen) auch eine Vertragsverletzung (Sorgfaltspflicht oder Missachten von Anweisungen) voraus. Letzte und strittigste Voraussetzung in der Praxis: Es muss ein Verschulden vorliegen (fahrlässige Handlung). Mittlere Fahrlässigkeit führt meistens zu einer Teilschuld. Ist aber formal eine der Voraussetzungen nicht gegeben, kann der Mitarbeitende nicht für einen Schadensersatz herangezogen werden.

Bewertungen bei der Beurteilung des Umfanges der Haftung

Bei der Haftungsbemessung und der Haftungsquote werden das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer berücksichtigt. Es wird dann auch geprüft, ob die Arbeitnehmeraus-wahl geeignet war, die Instruktion und Überwachung des Vorganges einwandfrei und auch der Schwierigkeitsgrad der Arbeit bewertet war. Ebenfalls, ob der Mitarbeiter unter Zeitdruck stand, kann einen Einfluss auf die Bewertung haben. Zu solchen Haftungsaspekten besteht eine ausgedehnte Gerichtspraxis in der Schweiz. Diese zeige aber auch, dass die Arbeitnehmerhaftung von den Gerichten schwankend beurteilt wird, so die Rechtanwälte Bürgi Nägeli. Als besonders häufige Fälle der Arbeitnehmerhaftung nennen die Experten die Mankohaftung, wenn etwa bei der Inventur Differenzen auftauchen, Schäden am Geschäftswagen und Kalkulationsfehler.

www.admin.ch www.arbeitnehmerhaftung.ch www.law-news.ch

ch

Veröffentlichung: 02. Mai 2013 / Ausgabe 18/2013

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