Spezialistenrolle im Aufwind
Fokussiertes Angebot: Für die Kantonspolizei St. Gallen fertigte die Erich Keller AG 2009 Kommandopulte mit integrierter Klimatisierung und entwickelte eine spezielle Bildschirmleuchte. Bild: Erich Keller AG
Fokussiertes Angebot: Für die Kantonspolizei St. Gallen fertigte die Erich Keller AG 2009 Kommandopulte mit integrierter Klimatisierung und entwickelte eine spezielle Bildschirmleuchte. Bild: Erich Keller AG
Nische finden. Wenn sich eine Schreinerei spezialisiert, bringt dieser Schritt weitreichende Veränderungen auf allen Ebenen mit sich. Wann ist eine Spezialisierung sinnvoll? Wo liegen die Chancen, wo die Gefahren im Nischenmarkt?
Wann sollte sich ein Unternehmen über eine allfällige Spezialisierung Gedanken machen? Martin Brübach, Entwicklungsleiter bei der Türenfabrik Brunegg AG in Brunegg und Dozent an der HF Bürgenstock, weiss, was es bedeutet, sich als Betrieb zu spezialisieren.
«Der Entscheid in Richtung Spezialisierung hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ganz am Anfang steht jedoch eine Strategie. Meist erfolgt im Verlauf der Zeit eine schleichende Spezialisierung, ohne dass man diese bewusst verfolgt. Erhält man in einer Produktionssparte mehr Aufträge, verlagert sich das Tätigkeitsgebiet der Firma automatisch in diese Richtung.»
Grundsätzlich sei die Spezialisierung von der Kundenstruktur, dem Einzugsgebiet und der künftigen Entwicklung des Unternehmens abhängig. In Bergregionen beispielsweise mache eine Spezialisierung für eine Dorfschreinerei manchmal weniger Sinn, weil der Kundenkreis für spezialisierte Tätigkeiten in der Regel zu klein sei – ausser, man wolle bewusst expandieren und überregional tätig sein. Gehe es indes zum Beispiel darum, in neue Maschinen zu investieren, müsse sich ein Betrieb gut überlegen, welche Anschaffungen für die künftige Entwicklung sinnvoll sind. «Angesichts des zunehmenden Angebots an Halb- und Fertigprodukten im Holzbereich drängt sich für manche Betriebe eine Spezialisierung auf», sagt Martin Brübach.
Weiterentwicklung und Optimierung
Die über 50 Jahre alte Türenfabrik Brunegg war einst eine Möbelfabrik, die nach Konkurs durch einen neuen Eigentümer übernommen und auf die Produktion von einfachen Türen ausgerichtet wurde. Im Verlauf der Zeit kamen immer wieder neue Türtypen hinzu, darunter auch Brandschutz- und Multifunktionstüren, wie Martin Brübach erzählt. Die Türenfabrik Brunegg mit ihrem Markennamen «Brunex» zählt heute zu den führenden Anbietern in der Schweiz. Die Infrastruktur des Betriebs mit rund 55 Mitarbeitenden ist inzwischen inklusive eines Bearbeitungszentrums komplett auf die Fertigung von Türen und Türsystemen ausgelegt. Mittlerweile bietet das Unternehmen komplexe Türsysteme von A bis Z an, aber nach wie vor auch den traditionellen Türblattrohling für die Weiterverarbeitung in der Schreinerei.
«Es braucht eine permanente Weiterentwicklung und Optimierung des gesamten Betriebs und der Produktpalette, um als spezialisiertes Unternehmen auf dem Markt mithalten zu können», berichtet der Entwicklungsleiter. Dies bedeute auch eine regelmässige Weiterbildung der Mitarbeitenden, um stets auf dem neuesten Stand der Technik zu sein. Hinzu komme eine kompetente und kundenorientierte Beratung.
Der Weg zur individuellen Nische führt über eine fundierte Analyse. Bevor man sich auf ein bestimmtes Gebiet konzentriere, solle man prüfen, ob dafür überhaupt ein Markt vorhanden sei und wie die Chancen und Risiken stünden. «Eine Spezialisierung bringt für den Betrieb viele Veränderungen auf allen Ebenen mit sich. Die Geschäftsführung muss sich überlegen, ob sie bereit ist, diese Veränderungen auf sich zu nehmen», gibt Martin Brübach zu bedenken. Der Kundenkreis verändert sich spürbar, neue Anforderungen an die Produktion, die Betriebsorganisation, das Marketing und die Logistik kommen hinzu. Ausserdem brauche es Mitarbeiter mit den passenden Qualifikationen und Weiterbildungen, um den Kompetenzbereich erweitern zu können.
Spezialisierungen bringen – je nach Tätigkeitsgebiet – auch Automatisierung und Serienproduktionen mit sich. Das ist laut Erich Keller gerade für ausgebildete Schreiner nicht immer einfach – für manche gar ein Gräuel.
Nikko Citi Tokyo, RWE Essen, Depfa Dublin, Commerzbank Frankfurt – es gibt wohl nur wenige Schweizer Schreinereien, die eine so internationale Kundschaft vorweisen können wie die Erich Keller AG in Sulgen. Die vor über 60 Jahren von Paul Keller Senior im thurgauischen Schönenberg gegründete Schreinerei stützt sich heute auf mehrere Standbeine ab. Mit der Spezialisierung 1981 auf Handelsräume für Banken und Börsen hat sich das Unternehmen innerhalb kurzer Zeit international einen Namen gemacht. Aus dem ursprünglichen Handelstisch, der Platz für sechs Personen bietet und über ein rundes Loch in der Mitte für Telefonkabel bot, wurde ein ausgefeiltes Möbelsystem. «Wir sind innerhalb kurzer Zeit zum Marktleader herangewachsen. Auf Werbung konnten wir verzichten, denn die Kunden kamen automatisch auf uns zu», erzählt der Inhaber Erich Keller.
Inzwischen sind weitere Standbeine hinzugekommen. Denn: «Spätestens nach dem Golfkrieg, dem 11. September 2001 und der Bankenkrise haben wir am eigenen Leib erfahren, wie risikoreich eine zu starke Abhängigkeit unseres Betriebs von einer Branche ist.» Deshalb baute das Unternehmen sein Tätigkeitsgebiet aus und hat sich unter anderem auf Kontrollräume spezialisiert, beispielsweise für die Polizei; eine weitere Nische war gefunden. Die Erich Keller AG liefert auch komplette Klimalösungen für Büros und Gebäude, bei denen die technischen Komponenten in Holzverschalungen eingebaut werden.
Mittlerweile führt der Betrieb ausserdem wieder individuelle Schreinerarbeiten aus, nachdem diese im Rahmen der Spezialisierungen für kurze Zeit fallen gelassen wurden, wie Erich Keller erzählt. «Damals wurden wir von Anfragen nur so überrannt. Deshalb mussten wir aus Kapazitätsgründen auf alle weiteren Arbeiten verzichten.» Heute umfasst der Betrieb rund 90 Mitarbeitende, das sind viermal mehr als noch vor 30 Jahren.
Wer nicht mehr regional, sondern natio- nal oder gar international tätig sein will, braucht einen professionellen Verkauf mit mehrsprachigen Mitarbeitenden.
«Unsere Leute im Verkauf müssen mehrere Fremdsprachen beherrschen, da wir in der ganzen Welt tätig sind. Auch von unseren Monteuren erwarten wir, dass sie eine oder mehrere Fremdsprachen sprechen», erklärt Erich Keller. Solche Mitarbeiter zu finden, sei nicht immer einfach. Hinzu komme, dass monatelange Arbeitseinsätze in fremden Ländern und auf anderen Kontinenten auf Dauer nicht jedermanns Sache seien. Spezialisierte Unternehmen erhalten Einblick in Branchen, mit denen traditionelle Betriebe in der Regel wenig zu tun haben. Das Team von Erich Keller arbeitet unter anderem eng mit der Bankenwelt zusammen und kennt deren Spielregeln. «Ein gutes Netzwerk ist für uns das A und O. Wir brauchen die Kontakte zu den Entscheidungsträgern. Nur so kommen wir an die Aufträge», erklärt Erich Keller.
Welche Bereiche sind besonders erfolgversprechend für Schreinereien, die sich spezialisieren wollen? Gemäss Martin Brübach bieten der Brandschutz und die Gebäudehülle grosses Potenzial, ebenso Sanierungs- und Bestandesarbeiten.
Denn: «Dies sind genau die Themen, bei denen sich der spezialisierte Schreiner mit seiner Fach- und Beratungskompetenz profilieren kann.» Auch die Montage von Fertigelementen sei eine interessante Nische für Schreinereien, die auf einen grossen und teuren Maschinenpark verzichten wollen. Hinzu komme die Weiterverarbeitung von Halbfertigteilen. Eher dünn ist laut Martin Brübach die Luft im Premiumbereich: Doch auch hier bieten sich je nach Ausrichtung und Positionierung gute Chancen.
www.brunex.chwww.erichkeller.comwww.hfb.chVeröffentlichung: 30. August 2012 / Ausgabe 35/2012
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