Schreiner auf Holzweltreise

Diese speziellen Hölzer hat Lucio Wieland (32)auf zahlreichen Reisen gesammelt. Daraus sollen Schachfiguren entstehen. Bild: Beatrix Bächtold

Beim Wort «Souvenir» denkt man an Postkarten, Pins oder ähnliche Dinge. Nicht so Schreinermeister Lucio Wieland aus Küsnacht im Kanton Zürich – er brachte von seinen Reisen Holz mit nach Hause. «Ich verfolge den Plan, daraus Schachfiguren zu drechseln. Jede einzelne aus einem anderen Holz und aus einem anderen Land», sagt er. Bereits vor rund zehn Jahren, als er nach seiner Schreinerausbildung und nach dem Militär hinaus in die weite Welt zog, war klar: Eines Tages wird er gemeinsam mit seinem Bruder Enrico in fünfter Generation die Schreinerei Wieland AG, die älteste Schreinerei der Stadt Zürich, übernehmen. «Im Vorfeld dieser grossen Verantwortung wollte ich reisen, reisen, reisen», sagt Lucio Wieland. Dieser Drang könnte auch genetische Gründe haben. In seinen Adern fliesst nämlich neben Schreiner- auch Abenteurer- und Forscherblut. Immerhin war der bekannte Schweizer Geologe Augusto Gansser sein Grossvater mütterlicherseits. Richtig berühmt wurde der ETH-Professor, weil er als Erster das Gebiet des heiligen Bergs Mount Kailash im Himalaya erforschte und kartografierte. Aber während es der Grossvater bei seinen Expeditionen auf Gesteine abgesehen hatte, jagte sein Enkel den Holzsorten nach. «Schon zu Beginn meiner Weltreise hatte ich eine genaue Vorstellung dieses Schachspiels», sagt er. Die 64 Felder des Schachbretts sollen aus hellem, skandinavischem Holz und dunkler britischer Mooreiche sein. «Sie symbolisieren meine Europareise.» Die 32 Spielfiguren aus Hölzern der ganzen Welt tragen Nummern. So lässt sich, auf dem Rahmen des Schachbretts aus Schweizer Arvenholz, jede Figur einem Land zuordnen.

Wieland stiess durch seine Holzjagd oft an seine Grenzen. Im kalifornischen Death Valley wäre er in seinem Ford Explorer ohne Klimaanlage beinahe verschmachtet. Ein andermal landete er im Spital, als er mit einem motorisierten Zweirad, welches jedes Schweizer Strassenverkehrsamt aus dem Verkehr gezogen hätte, auf der Fahrt von Kon Tum nach Hoi An in Vietnam verunfallte; zwei Kilo Holz im Rucksack. Oft endete die Suche nach Holz auch in verlassenen Industriequartieren oder schummrigen Lagerhallen. Einheimische führten ihn dorthin, als Wieland sie fragte, welches Holz ihr Land am besten repräsentieren würde und wo es zu finden sei. «Ich stiess auf Hölzer, die ich noch nie gesehen hatte. Mir ging das Herz auf. Ein Traum für jeden Schreiner», erzählt er und schwärmt dann von Mandelholz aus Costa Rica, Sandelholz aus Indien, rotem Zebrano aus Sambia, schwerem Eisenholz aus Botswana oder edlem Pink Ivory aus Südafrika. In Südostasien fand er das Holz des Adlerholzbaums. «Meiner Ansicht nach das teuerste Holz der Welt. Die beste Qualität ist teurer als Gold und kostet bis zu 40 000 Dollar pro Kilo», sagt er. Bereits für das kleine Stück der Qualitätsstufe D, das er schliesslich erwarb, zahlte er einen Kilopreis von 500 Dollar.

Im Moment ruhen die hölzernen Schätze in einer Papiertüte, und im Prinzip wäre Lucio Wieland bereit, die Figürchen zu drechseln. «Es wird eine Herausforderung sein, den 16 hellen genau 16 dunkle Hölzer gegenüberzustellen. Die grössere Knacknuss wird es aber sein, Zeit für die Arbeit zu finden», sagt der 32-Jährige, denn im Moment fehlt dem jungen Unternehmer, Ehemann und Vater die Musse. Er sagt: «Das kommt schon noch. Andere verschieben das Reisen, ich verschiebe das Drechseln in den Ruhestand. Dann werde ich das Projekt vollenden. Bis dahin sind die Hölzer einfach schöne Reisesouvenirs.»

«Ich stiess auf Hölzer, die ich noch nie gesehen hatte. Mir ging das Herz auf. Ein Traum für jeden Schreiner.»

Beatrix Bächtold

Veröffentlichung: 27. Januar 2022 / Ausgabe 4/2022

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