Nullfugen mit Schwung

Im Vordergrund befindet sich die automatische Kantenzuführung, im Hintergrund das Laseraggregat. Bild: Philipp Heidelberger

Kantenanleimen.  In der Schweiz gibt es nur eine Handvoll Bearbeitungszentren, die mit einem Laserkanten-Anleimaggregat ausgerüstet sind. Das Beispiel eines Betriebes aus dem Rheintal zeigt, was die Beweggründe für den Kauf waren und wie sich die Anlage bewährt.

Seit dem vergangenen Jahr steht im st. gallischen Sennwald ein für die Schweiz sehr seltenes CNC-Bearbeitungszentrum (Baz): Es ist mit einem Laserkanten-Anleimaggregat ausgerüstet. Nur wenige Maschinenhersteller bieten solche Anlagen überhaupt an. Darunter die in der Schweiz bekannten Hersteller Biesse, Homag und Ima. Das System von Biesse heisst «Ray Force» und funktioniert nicht mit einem Laser, sondern mit Infrarot. Gemäss Herstellerangaben gibt es in der Schweiz zurzeit zwei Anlagen, die damit ausgerüstet sind.

Die Aggregate von Homag und Ima schmelzen die Kanten mittels Laserstrahl auf. Ima will keine Angaben bezüglich der Anzahl der Anlagen machen. Von Homag ist in der Schweiz ein Baz mit Laseraggregat ausgerüstet, und eben dieses steht in Sennwald bei der Sitag AG. Man könnte also durchaus von einem Einhorn unter den Baz in der Schweiz sprechen.

Maschine für Spezialteile

Wie in vielen anderen Möbelfabriken hat man bei der Sitag lange Zeit noch konventionell produziert. So war beispielsweise nach wie vor ein klassischer Doppelender für die Kantenbearbeitung in Betrieb. 2011 wurde dieser durch eine Kantenanleimmaschine mit Laseraggregat von Homag abgelöst. Für die einfachen Bearbeitungen kamen zwei vertikale Bearbeitungszentren, ebenfalls von Homag, hinzu.

Spezialteile wurden schon immer auf einem horizontalen Baz gefertigt. Weil sich die Sitag unter anderem auf die Produktion von Büromöbeln spezialisiert hat, kommen immer wieder runde oder geschwungene Teile vor. Für das Bekanten dieser Teile verfügte das bisherige Baz schon über ein Schmelzkleberkanten-Anleimaggregat. Die Anlage war aber in die Jahre gekommen und entsprach nicht mehr den heutigen Ansprüchen. «Zudem wollen wir auch bei den Spezialteilen die gleiche Kantenqualität anbieten können wie bei Standardteilen», sagt Betriebsleiter Thomas Untersander. Für das Unternehmen war deshalb klar, dass ein neues Baz mit einem Laseraggregat ausgerüstet sein muss. Dies obwohl es eine sehr teure Angelegenheit war – letztendlich machte das Aggregat etwa 20 bis 25 Prozent des Kaufpreises der ganzen Maschine aus. Und auch das Auswechseln eines Lasers, wenn dieser das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, geht ins Geld.

Vieles spricht für den Laser

Es gab aber zahlreiche Argumente, die für diese Investition sprachen: So kann auf der Kantenanleimmaschine und dem Baz das gleiche Kantenmaterial verarbeitet werden. Das vereinfacht die Materialwirtschaft und vergrössert das Bestellvolumen der jeweiligen Kantensorte. «So bekommen wir die besseren Konditionen und haben keine Probleme mit Mindestbestellmengen», sagt Thomas Untersander. Nebst verschiedenen Kunststoffkanten verarbeitet die Sitag auch Holzkanten, die mit einer Funktionsschicht für Laseraggregate versehen sind. Sie machen etwa 10 Prozent des gesamten Kantenvolumens aus. Zudem konnte man beim Einfahren des Baz auf die Erfahrungswerte der Kantenanleimmaschine zurückgreifen. Das Leimen auf dem Baz sei zwar schon etwas anderes, sagt Untersander. «Man muss aber nicht bei Null anfangen.»

Von Erfahrungswerten profitiert

Beim Kantenanleimen haben zahlreiche Faktoren einen Einfluss auf die Qualität. Dazu zählen Parameter wie Luftfeuchtigkeit und Temperatur oder die Einstellungen des Lasers auf das jeweilige Kantenmaterial. So gibt es für fast jede Kante und jede Farbe individuelle Parameter. Deshalb ist es enorm wichtig, dass das Kantenmaterial eine gleichbleibende Qualität aufweist. «Wir hatten auch schon Rollen, bei denen plötzlich die Funktionsschicht fehlte», sagt Thomas Untersander. Mittlerweile hätten die Lieferanten aber auch grosse Fortschritte gemacht, und es gebe nur noch selten Probleme mit der Qualität.

Beim Verarbeiten von Laserkanten auf dem Baz kommen noch weitere Faktoren wie zum Beispiel der Radius hinzu. «Hier braucht es insbesondere beim Vorschub viel Gefühl», sagt Marco Rümmele. Der Avor hat zusammen mit Thomas Untersander die Anlage evaluiert, eingerichtet und in den Betrieb eingebunden. Mit einer 1,5 mm dicken Schichtkante schaffe das Baz heute einen Radius von 60 mm. Je nach Kantenmaterial seien aber sogar bis zu 30 mm möglich, erklärt Marco Rümmele.

Die Wunschliste war lang

Das Laseraggregat stellte zwar eine wesentliche Komponente bei der Evaluation der ganzen Anlage dar, aber nicht die einzige. Die Wunschliste war ganz am Anfang relativ lang. «Dann mussten wir uns überlegen, was es wirklich braucht und ob es auch im Budget liegt», erzählt Marco Rümmele. So hat man sich zum Beispiel bewusst gegen eine 5-Achs-Spindel entschieden, weil solche Bearbeitungen doch eher selten vorkommen. Für alle Fälle ist das Baz aber für den Einsatz eines «Flex 5» vorbereitet. Viel Wert legte man dafür auf das Bohraggregat, damit die Bohrungen, wie sie im Büromöbelbereich oft vorkommen, effizient ausgeführt werden können.

Ebenfalls ein Thema war gemäss Marco Rümmele der Werkzeugwechsler: «Am Anfang stand ein 36er- oder sogar 72er-Kettenwechsler zur Diskussion.» Es zeigte sich aber, dass mit der vorgesehenen Werkzeugbestückung sowieso nicht alle Plätze im Kettenwechsler hätten genutzt werden können. Aufgrund der grossen Werkzeuge hätte man jeweils einzelne Plätze frei lassen müssen. Am Ende entschied man sich für einen 18er-Tellerwechsler. Dieser reicht für die überwiegende Mehrheit der Bearbeitungen aus und ist einiges günstiger und platzsparender als ein Kettenwechsler. «Falls es doch einmal ein Spezialwerkzeug braucht, wechseln wir es einfach von Hand aus», sagt Marco Rümmele.

Wichtig war ausserdem, dass das Baz einen effizienten Pendelbetrieb ermöglicht. Mit einer Maschinentischlänge von sechs Metern muss der Mitarbeiter zwar eine relativ weite Strecke zurücklegen. Dank des Bumper-Systems kann er sich aber während der Bearbeitung frei am Tisch bewegen. Zudem ist die Anlage so platziert und vorbereitet, dass in Zukunft auch eine automatische Beschickung nachgerüstet werden kann.

Weniger Aufwand für die Wartung

Gerade weil es sich um eine teure Investition handelt und das Freiformkantenanleimen eine diffizile Angelegenheit ist, spielt die Wartung eine wichtige Rolle. Beim alten Baz war das Schmelzkleberaggregat auf der Maschinenrückseite angebracht. «Die Reinigung, das Nachfüllen sowie Wechseln der Kanten und des Schmelzklebers war deshalb ziemlich aufwendig und mit längeren Unterbrüchen verbunden», erzählt Thomas Untersander. Bei der neuen Anlage sind das Laseraggregat und das Kantenmagazin mit Platz für fünf Rollen von vorne zugänglich. Durch den Wegfall des Schmelzklebers hat sich auch der Reinigungsaufwand stark reduziert.

Ein regelmässiger Service durch den Maschinenhersteller ist bei der Sitag zudem Pflicht. «Aus den Erfahrungen mit der Laserkanten-Anleimmaschine wissen wir, dass sich das lohnt», sagt Untersander. Seit man zwei statt nur einen Service pro Jahr machen lasse, seien die Stillstandzeiten nochmals merklich zurückgegangen und das Qualitätsniveau gestiegen. Immerhin wird bei der Sitag in zwei Schichten gearbeitet, da kommen einige Laufmeter zusammen.

Nicht jeder braucht ein Einhorn

Selbstverständlich ist die Lasertechnologie nur für wenige Betriebe überhaupt ein Thema. Die Einhörner unter den Baz werden also vermutlich bis auf Weiteres rar bleiben. Letztendlich geht es um die Nullfuge – mit welcher Technologie diese erreicht wird, ist eine andere Frage, die nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Mit Laseraggregat ausgerüstete Bearbeitungszentren zeigen aber, welche Möglichkeiten es inzwischen gibt.

www.sitag.chwww.homag.comwww.biesse.ch

Über das Unternehmen

Die renommierte Schweizer Büromöbelherstellerin Sitag AG bietet seit über fünf Jahrzehnten hochwertige Büroeinrichtungen an. Aktuell sind 125 Mitarbeitende am Unternehmensstandort in Sennwald SG und in den Showräumen in Bachenbülach ZH und Nyon VD beschäftigt. Die Sitag AG gehört seit 2015 zur Nowy Styl Group mit Hauptsitz in Polen. Die Gruppe ist in Europa einer der führenden Hersteller und Anbieter von Komplettlösungen für Büros und öffentliche Räume.

www.nowystylgroup.com

ph

Veröffentlichung: 04. Juni 2020 / Ausgabe 23/2020

Artikel zum Thema

02. Mai 2024

Automatisiert auf engstem Raum

Kleinroboter.  Ob Bestücken, Palettieren, Schleifen, Lackieren, Bohren oder Schrauben: Die Anwendungsbereiche von Kleinrobotern in Handwerksbetrieben sind vielfältig. Die Schreinerzeitung hat einige Hersteller und Roboter genauer angeschaut.

mehr
02. Mai 2024

Damit kein Loch aus der Reihe tanzt

Bohrautomaten.  Wo gebohrt wird, entstehen Löcher. So viel ist sicher. Wie gebohrt wird, ist hingegen je nach Betrieb unterschiedlich. Die Nachfrage bei den Händlern zeigt, dass CNC-gesteuerte Maschinen Standard sind. Aber es gibt sie noch, die klassischen Bohrautomaten.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Maschinen